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Tag der Deutschen Einheit: Ein DDR-Zeitzeuge aus Dillingen erzählt aus seinem Leben

Tag der Deutschen Einheit

Ein DDR-Zeitzeuge aus Dillingen erzählt aus seinem Leben

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    Norbert Körber durfte im Oktober 1985 zusammen mit seinen Eltern aus der DDR ausreisen und erhielt einen Fremdenpass für Staatenlose (links). Mit seinem ersten Reisepass der Bundesrepublik (rechts) bereiste er die Welt.
    Norbert Körber durfte im Oktober 1985 zusammen mit seinen Eltern aus der DDR ausreisen und erhielt einen Fremdenpass für Staatenlose (links). Mit seinem ersten Reisepass der Bundesrepublik (rechts) bereiste er die Welt. Foto: Polednia

    Schon als Kind ist Norbert Körber mit seinen Eltern gerne verreist. Doch als Staatsbürger der Deutschen Demokratischen Republik stand einem nur ein kleiner Teil der Welt offen. In den Urlaub ging es somit in ideologienahe Ostblockstaaten wie Polen und die Tschechoslowakei. Die Körbers fühlten sich in diesem repressiven Umfeld alles andere als wohl. „Mein Vater wollte schon vor dem Mauerfall unbedingt in den Westen.“ Und so wuchs sein Sohn mit einem kritischen Bewusstsein auf. „Ich hab schon als Kind gewusst: Das ist nicht mein System.“

    DDR: Reisen war vor der Deutschen Einheit nicht einfach

    Das Leben der Familie in der DDR war für damalige Verhältnisse nicht von Armut geprägt. Sie hatte ein Auto und einen Telefonanschluss, damals eine Seltenheit, sowie einen Garten. Doch die Körbers fühlten sich eingeschränkt. Verwandte und Bekannte im Westen einfach zu besuchen: Das ging nicht.

    In Körbers Kinderlexikon spiegelt sich die Ideologie der DDR wider, etwa im Beitrag zur Bundesrepublik.
    In Körbers Kinderlexikon spiegelt sich die Ideologie der DDR wider, etwa im Beitrag zur Bundesrepublik.

    Schon in der Schule wurden Norbert Körber und seine Mitschüler einem ganz bestimmten Weltbild ausgesetzt. Die DDR durfte nicht angezweifelt werden. Der Klassenfeind hinter der deutsch-deutschen Grenze war verpönt. Zum Beweis zeigt er sein abgewetztes Kinderlexikon von damals. Die Definition der BRD gleicht der grauen Welt aus dem Michael Endes Buch „Momo“. Von Imperialisten und der Macht der Geldbanken ist dort die Rede.

    Ein Auszug:

    "Bundesrepublik Deutschland (BRD)

    Die BRD wird von den Herren der mächtigen Industriebetriebe und Großbanken, den Imperialisten, beherrscht. Nach ihrer Niederlage im Zweiten Weltkrieg sollte ihnen in ganz Deutschland die Macht genommen werden, denn in ihrem Auftrag war von der faschistischen Regierung und den Generalen Krieg geführt worden."

    Schon Schulkinder wurden in der DDR indoktriniert

    „Mit solchen Begriffen wurde man schon als Kind indoktriniert“, erinnert sich Körber. In seinem Abschlusszeugnis ist vermerkt, dass er sich „unsachlich“ über politische Themen geäußert hätte. Die Gedanken sind damals alles andere als frei. Westware wie Zigarren und Feinstrumpfhosen, die Verwandte aus dem Westen mitbrachten, zeigten dem jungen Norbert Körber, dass er in einer Mangelwirtschaft aufwächst. Viel schlimmer als der materielle Mangel war für die Familie die Sehnsucht nach der Freiheit und nach dem unbeschwerten Reisen.

    Wie das Schicksal es so wollte, wird das Reisen die Lösung ihrer Probleme sein. Denn in einem Campingurlaub in der Tschechoslowakei Ende der 1970er Jahre lernte die Familie ein dänisches Ehepaar kennen. Es entwickelte sich eine Freundschaft, die die Familien in Briefform pflegten. Dabei reifte ein Plan. Der Plan zur Ausreise. Die Dänen waren nicht nur hilfsbereit, sie hatten auch gute Kontakte in dänische Politikerkreise, bis hin zum damaligen Ministerpräsidenten.

    Mit 19 Jahren gelingt die Ausreise aus der DDR nach Dänemark

    Es vergeht noch eine Weile, aus dem reiselustigen Kind Norbert wird ein Facharbeiter. Mit 19 Jahren, und zwei Tage nach seinem Abschluss zum Galvaniseur, beantragt er mit seinen Eltern die Ausreise aus der DDR. 15 Monate sollen vergehen, in denen die Familie mehrfach zur Volkspolizei vorgeladen und bei der Arbeit befragt wird. Androhungen oder gar Folter habe es jedoch nicht gegeben. Die Familie wird beobachtet. Das hat sie damals schon geahnt.

    2016 beantragt Norbert Körber Einsicht in seine Stasi-Unterlagen und seine Vermutung bewahrheitet sich. Fast schon lächerlich seien die minutiösen Angaben über ihr Leben gewesen. „In den Aufzeichnungen steht zum Beispiel, dass wir eine Garage hatten.“

    Dann kommt plötzlich die Mitteilung: Sie dürfen jetzt gehen. Mit einem Fremdenpass der DDR in der Hand – die Körbers waren nun staatenlos – und einem vollbepackten Skoda ging es mit der Fähre von Warnemünde nach Kopenhagen. „Wir durften mit diesem Visum nur nach Dänemark ausreisen“, erinnert sich Körber. In der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland beantragten sie problemlos Reisepässe. Freunde der Dänen in Hamburg nahm die Familie im Anschluss auf. Dort fand Norbert Körber Arbeit bei der Lufthansa. Endlich in Freiheit, konnte sein Leben und damit auch das Reisen für ihn beginnen.

    Tag der Deutschen Einheit: Dillinger verpasst Mauerfall und bereut es nicht

    Den Mauerfall hat er übrigens wortwörtlich verschlafen und bereut dies auch nicht. „Ich hatte mein Ziel ja schon erreicht.“ Vier Jahre länger hätte er nicht auf ein Leben in Freiheit verzichten wollen.

    Heute lebt der 54-Jährige mit Frau und Kindern bereits seit 16 Jahren in Dillingen und hat schon viele Stempel in seinen Reisepässen der Bundesrepublik Deutschland gesammelt. Papiere, mit denen sich fast alle Länder dieser Welt bereisen lassen. In der DDR wäre das unmöglich gewesen. Norbert Körber weiß das aufgrund seiner eigenen Lebensgeschichte besonders wertzuschätzen.

    Dass einige Menschen Einschränkungen der Freiheitsrechte mit der Diktatur der DDR vergleichen, ärgert ihn. Auch deswegen möchte er über sein Leben in der DDR aufklären. Im Dezember ist sein nächster Vortrag in der Vhs Aalen geplant. „Wenn Corona es zulässt“, fügt er hinzu.

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