Es sind rund 60 Arbeitsschritte, die Norbert Wörle für eine einzige Pfeife braucht. Die meisten davon muss der Orgelpfeifenbauer aus Syrgenstein auch heute noch in mühsamer Handarbeit erledigen. Für zwei davon kommen inzwischen extra angefertigte Maschinen zum Einsatz. Seit Jahrhunderten hat sich am Handwerk des Metallpfeifenbauers nichts Wesentliches verändert. Außer, dass es inzwischen zu einer wahren Seltenheit geworden ist.
In Wörles Werkstatt am Syrgensteiner Ortsrand reihen sich die silber-glänzenden Orgelpfeifen ordentlich an den Wänden auf. Die Größten von ihnen sind bis zu viereinhalb Meter lang, die Kleinsten darunter gerade einmal so groß wie ein herkömmlicher Bleistift. So unterschiedlich wie ihre Größe ist auch ihr Klang. Wörle erklärt: „Der Körper beeinflusst die Tonhöhe.“ Kürzere Pfeifen erzeugen beispielsweise höhere Töne. Die jeweiligen Maße und Durchmesser erhält er vom Orgelbauer, dem sogenannten Intonateur.
Norbert Wörle baut gerade die Pfeifen für die Orgel in Ziertheim
Schwieriger, sagt der Meister, sei es, die großen Pfeifen zu bauen. Nicht nur der Platz geht in der kleinen Werkstatt aus; auch körperlich ist es eine Herausforderung. Bei den kleinen Exemplaren ist dagegen Fingerspitzengefühl gefragt. Damit sich ihre Produktion lohnt, fertigt Wörle bis zu 300 Stück von ihnen auf einmal.
Aktuell arbeitet er in seiner Werkstatt an den Pfeifen für die Orgel in Ziertheim. Das Arbeitsmaterial stellt Wörle selbst in seiner Gießerei in Bissingen her. Dazu kauft er Blei- und Zinn-Blöcke, die erst geschmolzen und anschließend ausgegossen werden. Rund 0,3 bis 1,8 Millimeter darf das Material anschließend dick sein. Die Zusammensetzung ist dabei ganz unterschiedlich: „Ist mehr Zinn in der Legierung, glänzen die Pfeifen besonders schön“, erklärt der Meister. Auftraggeber wünschen sich das oft für die sichtbaren Pfeifen in der ersten Reihe. Je größer eine Pfeife ist, desto dicker muss das verwendete Material sein, erklärt er weiter. Bis zum Endprodukt kommt bei ihm alles aus einer Hand. Darauf ist Wörle stolz.
Als Metallpfeifenbauer muss man rechnen können
Das fertig gegossene Material muss abkühlen und wird zum Transport aufgerollt. Anschließend geht es in die Werkstatt nach Syrgenstein. Dort verarbeitet es der Pfeifenbauer auf einem langen Tisch weiter: Mit einem Zirkel überträgt er sorgfältig alle Maße und schneidet Fuß und Körper der Pfeife aus. „Man muss rechnen können, denn es muss alles sehr genau sein“, verrät er.
Gründlichkeit ist auch für die Form wichtig. Dazu benutzt Wörle einen Kegel aus Stahl. Den Zuschnitt zieht er darüber und rollt ihn mit der Hand auf. Anschließend passt er mit einem Holz die Kanten für das Löten an. Zuvor bestreicht er den Bereich um die Kanten aber noch mit einer roten Schutzfarbe. Er erklärt: „Damit wird verhindert, dass das Material drumherum ebenfalls schmilzt.“ Nach dem Arbeitsschritt kann die Farbe mit heißem Wasser problemlos abgewaschen werden.
Den Lötkolben erhitzt Wörle noch mit einer Gasflamme. Einmal mehr muss der Meister präzise arbeiten, denn Fuß und Körper müssen exakt zusammenpassen. Ansonsten ist die Pfeife später nicht gerade. „Es ist sehr wichtig, dass die beiden Teile parallel sind“, betont er. Zuerst lötet der Meister nur einzelne Stellen an, um gegebenenfalls noch einmal korrigieren zu können.
Warum auch eine alte Zwiebelhälfte zum Einsatz kommt
Sind Körper und Fuß verbunden, kommt ein ungewöhnliches Werkzeug zum Einsatz: eine vertrocknete Zwiebelhälfte. Sie verhindert das Nachziehen des Zinns. Die Schutzfarbe wird entfernt. Dann wird es laut in der Werkstatt: Die Pfeife kommt wieder auf den Stahlkegel. Mit rund 40 Schlägen klopft sie der Meister nun rund.
Jeder seiner Arbeitsgriffe sitzt. Gelernt hat Wörle das Handwerk bei der ehemaligen Firma Bier in Giengen. Lange hatte er bei der Traditionsfirma gelernt, ehe er sich selbstständig gemacht hat. Ursprünglich wollte der Syrgensteiner jedoch Orgelbauer werden. Weil er damals aber keinen Ausbildungsplatz für das aktuelle Jahr gefunden hatte, landete er beim Metallpfeifenbau.
Inzwischen ist sein Beruf selten geworden. 32 Betriebe sind mit dem Handwerk des Orgel- und Harmoniumbauers bei der Handwerkskammer Schwaben aktuell eingetragen. Dazu gehört auch die Fachrichtung Metallpfeifenbau. Über alle Lehrjahre hinweg gibt es außerdem fünf Ausbildungsverhältnisse in der Region. Welche Auswirkungen Corona und die vielen Kirchenaustritte auf den Beruf haben werden, kann Wörle noch nicht abschätzen. Er sagt: „Neue Orgelpfeifen sind natürlich ein finanzieller Kraftakt für die Kirchengemeinden.“
Der Pfeifenbauer beliefert seine Kunden in einem Radius von rund 300 Kilometern. Einige Ausnahmen gibt es auch. Ab und zu gehen sie auch nach Italien oder Österreich. Vor einigen Wochen hatte er seine Pfeifen nach Salzburg geliefert. „Ich bringe sie meist selbst zum Kunden, weil sie genauso empfindlich sind wie rohe Eier“, erklärt er. Zum Transport wickelt der Meister alle von ihnen einzeln ein. In seinem Bus hat er außerdem Regale aufgebaut, in denen sie für die Fahrt gelagert werden. Besonders knifflig bleiben aber die Kreisverkehre. „Das ist immer eine heikle Geschichte“, sagt Wörle und schmunzelt. Den amerikanischen Markt, den viele seiner Kollegen beliefern, meidet der Syrgensteiner. „Gerade durch die Pandemie sind viele auf die Nase gefallen, weil nicht ausgeliefert werden konnte“, erläutert er.
Dass Wörle die Früchte seiner Arbeit anschließend zu hören bekommt, ist selten. „Es ist natürlich ein großartiger Moment, wenn man die Pfeifen doch einmal in der Kirche sehen und ihnen zuhören kann“, sagt er. In seiner Werkstatt weiß er nämlich noch nicht, wie der Ton einmal klingen wird. Denn den letzten Arbeitsschritt muss der Meister einem anderen überlassen: „Der Orgelbauer bestimmt den Klang der fertigen Pfeifen, abgestimmt auf den jeweiligen Kirchenraum“, sagt er. In seiner Werkstatt schneidet der Syrgensteiner nur provisorisch die Stimmritze frei und testet, ob ein Ton zu hören ist.
Hier geht es zur Webseite von Norbert Wörle.
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