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Sport-Reportage: Stolperstart in die Gleich(lauf)berechtigung

Sport-Reportage

Stolperstart in die Gleich(lauf)berechtigung

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    Frauen sind, wie hier beim Nordschwabenlauf, auf dem Vormarsch – vor 50 Jahren mussten sie sich noch heimlich in die Läuferschar einreihen.
    Frauen sind, wie hier beim Nordschwabenlauf, auf dem Vormarsch – vor 50 Jahren mussten sie sich noch heimlich in die Läuferschar einreihen. Foto: S. Reisgies

    Es war ein bitterkalter Apriltag beim Boston-Marathon des Jahres 1967. Viele Teilnehmer flüchteten sich in dicke Pullis, lange Turnhosen und zogen – weil Schnee fiel – schützende Wollmützen auf. Wer das Ziel erreichte, wurde mit einer Schale Rinderbrühe belohnt. Berufsläufer gab es noch keine. Startende Frauen übrigens auch nicht. Ihnen war es damals sogar verboten mitzumachen. Waren Renndirektoren, Trainer und sogar Ärzte doch der festen Überzeugung, dass der weibliche Körper für eine solche Belastung viel zu schwach, viel zu fragil sei.

    Kathrine Virginia Switzer war eine 20 Jahre alte Studentin an der Universität in Syracuse, New York, die einst über ihren Vater, ein ehemals in Deutschland stationierter US-Soldat, zum Laufen kam und sich von ihrem Bekannten Arnie Briggs, einem Läufer und Trainer, vom Langstreckenvirus anstecken ließ. Daher ging sie zu einem Mediziner, um sich die erforderliche Qualifikationsbescheinigung für einen Laufwettbewerb einzuholen. Der Arzt sagte: „Kathrine, du bist gesund, aber du solltest nicht laufen. Du wirst sonst niemals Kinder kriegen.“ – „Wie bitte?“, fragte sie. Der Doktor antwortete: „Ja, du wirst deine inneren Organe beschädigen.“

    Dennoch schlüpfte die zierliche Frau an jenem frostigen Tag in einen dicken grauen Pullover, um ihre Rundungen zu verbergen. Dann verstaute sie die schulterlangen dunklen Haare in einer großen Mütze und rannte los. Bis bei Kilometer drei ein Insasse im Begleitfahrzeug dem Co-Rennchef John „Jock“ Semple am Fahrbahnrand zurief: „Hey Jock, da läuft eine Tussi mit!“ Fast hätte dieser knorrige Funktionär Switzer eingeholt, als er mit einem fachmännischen Rempler von dem mitjoggenden Freund Tom Miller – einem Hammerwerfer –Richtung Straßengraben gestoßen wurde. Switzer kam ins Ziel – und wurde disqualifiziert. Doch mit ihrer Aktion hatte sie eine kleine Revolution ausgelöst, die dem Frauenlauf weltweit Beine machte.

    Heute sind fast so viele Frauen wie Männer unterwegs. Als Christine Sextl aus Höchstädt knapp 20 Jahre nach Boston die Lust am Laufen für sich entdeckt, brauchte sie bei ihren Starts über 100 Kilometer und darüber hinaus zwar keinen „Bodyguard“ dieser Art mehr. Dennoch steckte der Frauensport immer noch in den Kinderschuhen. Schließlich hatte es erst drei Jahre nach dem kuriosen Switzer-Start einen Frauen-Marathon in den USA gegeben. Weibliche Premiere bei den Olympischen Spielen über diese Distanz wurde 1984 gefeiert. Schließlich rang sich vor rund einem halben Jahr der Leichtathletik-Weltverband dazu durch, die 50 Kilometer Gehen auch für das „schwache Geschlecht“ zu öffnen, die letzte Bastion der Männer.

    Während ihrer aktiven Zeit hat sich die 64-jährige Christine Sextl beim „starken Geschlecht“ immer wieder über dessen Reaktionen auf forsch auftretende Sportlerinnen gewundert. „Manche waren schlicht beleidigt, wenn ich sie bei einem Zwölf-Stunden-Rennen einfach überholte“, schmunzelt die langjährige Ultralangstrecklerin. In Karlsruhe, während eines 80-Kilometer-Wettbewerbs, sei sie von einem überrundeten Mann belehrt worden, dass man nicht so schnell laufen dürfe. „Das war mir aber egal“, betont die resolute Frau, die auch schon mal für einen Rekord 24 Stunden auf dem Laufband zugebracht hatte. Ein „dickes Fell“ benötigte Sextl damals auch, weil sie wegen ihres Laufeifers gar beim Faschingstheater an der Donau auf die Schippe genommen wurde. „Die rennt immer so viel umeinander“, hieß es im Ort über die passionierte Athletin, die noch heute einen regelmäßigen Lauftreff aufrechterhält.

    Heidemarie Michaelis-Steck ließ einst die bissigen Männerkommentare ganz hinter sich und beteiligte sich Ende der 1990er-Jahre beim reinen Frauenlauf in Gundelfingen: „Ein wirklich neues und tolles Gefühl“, bewertete die Sportlerin mit Jahrgang 1955 die durch und durch weibliche Runde an der schönen blauen Donau. Freilich räumt sie gerne ein: „Eigentlich brauchen wir die Männer schon wegen des größeren Ansporns für uns auf der Strecke.“ Am heutigen Samstag nimmt sie am „Innsbruck Alpine Trailrun Festival“ teil (43 Kilometer nebst 3000 Höhenmetern).

    Die Erfahrungen mit den „Herren der Schöpfung“ im Sportdress möchte auch Bettina Sattler von der LG Zusam nicht missen, die als heute 42-Jährige ihre Laufschuhe wesentlich später und mit großem Erfolg schnürte. Die kampferprobte Fußballerin stellt den männlichen Mitläufern eher ein gutes Zeugnis aus: „Mancher hat mich in schwierigen Phasen während des Marathons mit aufmunternden Worten vorangetrieben“, berichtet die Spezialistin für 5000 Bahn-Meter wie auch über 42,2 Kilometer auf Asphalt.

    Dass die Mannsbilder trotz fortgeschrittener Gleichberechtigung im Laufbetrieb auch mal gern unter sich bleiben wollen, kann sich Sextl so erklären: „Zum Glück sind heute viel mehr Frauen unterwegs. Und die sporteln, weil sie sich wohlfühlen möchten, vielleicht auch nur, um nebenbei abzunehmen.“ Die Männer dagegen suchten mehr den „Kick“, den Zwischenstand auf dem Ziffernblatt. Egal, ob Mann oder Frau: Die nächste Startgelegenheit in der Region bietet sich beim 52. Gundelfinger Nordschwabenlauf am Samstag, 27. Mai …

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