Emil Zatopek und Hermann Schäffler: Zwei Welten, zwei Laufstile. Während der tschechische Langstreckler und Olympiasieger wegen seines ungestümen Laufstils den Spitzenamen „Lokomotive“ trug, hätte der ehemalige bayerische 400-Meter-Spitzenathlet Schäffler wohl beste Haltungsnoten eingeheimst – wenn es denn solche in der Leichtathletik geben würden. „Diese eleganten Bewegungen, der insgesamt runde Lauf. Es ist ein Genuss, ihm hinterherzuschauen“, kommentiert einer, der es wissen muss: Werner Friedel, Erfolgscoach bei der LG Zusam und schon heute eine Trainerlegende im Zusamtal.
Friedel gerät ins Schwärmen, wenn er über Hermann Schäffler spricht. Sonst eher nüchtern abwägend und über die Region hinaus für sein strenges, wenngleich freundliches Regiment bekannt, spricht Friedel in Schäfflers Fall gar von einem „Ausnahme-Athleten“. Friedel lobt den heute 54-Jährigen zudem als sportliches Vorbild mit außerdem besonderen menschlichen Qualitäten: „Wenn er etwas sagt, dann meint er es auch so und man kann sich auf ihn verlassen.“
1,89 Meter groß, 80 Kilo schwer, gnadenloses Tempo
Der so Gelobte würde sich derweil seinem Wesen entsprechend lieber in zurückhaltender Bescheidenheit üben. Der 1,89-Meter-Mann sieht man, trotz seiner 80 Kilo auf der Waage, auch Jahrzehnte nach der erfolgreichen Läufer-Karriere das für den Gegner gnadenlose Tempo noch immer an.
Das dicke Lob des Trainers Friedel für den Schützling und Freund wird verständlicher für jeden, der die Zeitungsarchive zur Person des Wertingers durchstöbert: „Schäffler Bayerischer Vizemeister“, „Schäffler Schwäbischer Meister“, „Schäffler im Bayern-Kader“ oder „Schäffler war eine Klasse für sich“ – so lauten da die Schlagzeilen über den Wertinger. Und sein Name füllt bis zum heutigen Tag noch manchen Bericht und Ergebniskasten im Heimatblatt.
Der 400-Meter-Lauf geht an die Grenzen
Dabei relativiert Schäffler jedoch selbst: „Jetzt findet bei mir nur noch Breitensport auf niedrigem Niveau statt.“ Er hatte sich erst spät für eine Disziplin, die sogar manche Elite-Athleten wie der Teufel das Weihwasser fürchten, entschieden: den 400-Meter-Lauf. Sportwissenschaftler halten diese Distanz, übrigens die fünfte Disziplin bei dem zu Recht als „königlich“ bezeichneten Zehnkampf, für eine der größten Leistungsanforderungen im Spitzensport. Der Grund dafür liegt in dem Anspruch, vom Start bis zum Ziel eine maximale Belastung lange durchzuhalten. Die klingt zunächst irgendwie machbar, ist es aber alles andere als leicht.
Denn Experten wissen: Es gibt kaum eine andere Sportart, bei welcher der Körper so „sauer“ wird wie bei beim 400-Meter-Lauf. Gemeint ist nicht etwa der Gemütszustand des Aktiven, sondern die Beeinträchtigung seiner menschlichen Zellen bei steigender Belastung ohne ausreichenden Sauerstoffnachschub. Kurz: Die anaerobe Phase, bei der wir außer Atem geraten. Für den Freizeitsportler bedeutet diese „Übersäuerung“ das Brennen der Muskeln und damit das Signal, abzubrechen. Die Kunst des 400-Meter-Trainings besteht nun darin, diesen kritischen Zeitpunkt möglichst weit hinauszuschieben und die Schmerzen zu ertragen lernen.
So etwas gelingt einem wie Hermann Schäffler, der dem „Idealtyp“ des 400-Meter-Sprinters möglichst nahekommt: lang gewachsen, muskulär und mit großer Schrittlänge ausgestattet. Schäffler ist ein durch und durch stürmischen Typ schon seit Jugendzeiten. So schießt sich der heranwachsende Offensiv-Kicker bis zur A-Jugend beim TSV Wertingen nach oben, bevor ein Vertrauenslehrer ihm zum „Tapetenwechsel“ in die Leichtathletik rät.
Beim Sportfest in Wertingen entdeckt
Klar, dass der vielseitige Sportler – neben Weitsprung betrieb er auch Hochsprung – eines Tages am Startblock steht und zur neuen Karriere ansetzt. Bei einem Talent-Sportfest in Wertingen fällt der damals knapp 20 Jahre alte Ex-Fußballer mit seiner Leistung über 100 Meter und einer sportlichen Zeit von 10,8 Sekunden einem Zuschauer namens Werner Friedel auf, der ganz beeindruckt von „einer wahnsinns Grundschnelligkeit“ spricht.
Mit jedem weiteren Startschuss katapultierte sich der Siegertyp weiter hinein in die schwäbische wie bayerische 400-Meter-Elite, etwa bei den bayerischen Meisterschaften in Regensburg, wo der Zusamtaler mit 48,19 Sekunden den Vizetitel holt. Bald zählt der Mann mit den schnellen Beinen zu den „Paradepferden der LG Zusam“, die übrigens bis heute ohne eine adäquate Übungsarena in Wertingen dasteht. Das von Moos bewachsene und von Schlaglöchern übersäte Areal auf dem Judenberg erinnert eher an die allererste deutsche 400-Meter-Bahn im niedersächsischen Ricklingen aus dem Jahr 1905.
Gut, dass es da Akteure wie Hermann Schäffler gibt, die – wie der Athlet selbst betont – „vor allem vom vorhandenen Talent leben können“. Und Coach Friedel kommt beim Gedanken an seinen langjährigen Schützling die alte Leichtathletikweisheit in den Sinn, wonach gute Sprinter geboren werden und das Training erst in zweiter Linie eine Rolle spielt.