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Landkreis Dillingen: Der ungeliebte siebte Mann

Landkreis Dillingen

Der ungeliebte siebte Mann

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    Sieben Feldspieler, kein Torwart: So sieht die seit gut zwei Jahren geltende Regel auf der Taktik-Tafel aus.
    Sieben Feldspieler, kein Torwart: So sieht die seit gut zwei Jahren geltende Regel auf der Taktik-Tafel aus. Foto: Stefan Hofmeister

    Fünf gravierende Regeländerungen wurden zum 1. Juli 2016 in die Handball-Welt eingeführt. Die wohl umstrittenste ist der siebte Feldspieler. Eine Mannschaft kann seit der Änderung jederzeit den Torwart gegen einen beliebigen, nicht länger durch ein andersfarbiges Leibchen gekennzeichneten siebten Feldspieler eintauschen. Der betreffende Spieler darf allerdings den eigenen Torraum nicht betreten; das zu verteidigende Tor bleibt also unbewacht. Und: Die ganze Prozedur funktioniert auch andersrum. Beim Rückwechsel darf jeder beliebige Spieler auf die Bank rennen, um den Torwart zurück aufs Feld zu holen. Zuvor war dies lediglich demjenigen Spieler erlaubt, der das andersfarbige Trikot übergestreift hatte. Die Änderung sollte das taktische Spektrum erweitern. Doch seit der Einführung wird sie kontrovers diskutiert.

    So urteilt Michael Schaarschmidt vom TV Gundelfingen

    „Die Neuregelung des siebten Feldspielers hat in meinen Augen in den unteren Klassen bis zur Landesliga keine größeren Auswirkungen gezeigt“, urteilt Michael Schaarschmidt, seines Zeichens BOL-Spieler beim TV Gundelfingen und Schiedsrichter: „Anfangs haben sich einige Teams an der neuen Taktik versucht, jedoch daraus meist kein Vorteil erzielt. Durch technische Fehler und Fehlwürfe, die ja in diesen Ligen bekanntlich häufiger vorkommen, handelten sich die Teams dadurch eher einen Nachteil ein.“ Er räumt aber ein, dass der siebten Feldspieler ab der Bayernliga wesentlich häufiger zu sehen und sein Einsatz auch öfter von Erfolg gekrönt ist. Schaarschmdit: „Und in der Bundesliga ist es mittlerweile das gängige Mittel geworden, dass bei einer Zeitstrafe gegen das eigene Team der Torhüter vom Feld geht. Unterm Strich kann man also schon sagen, dass diese Regeländerung das Handball Spiel verändert hat.“ Die Attraktivität des Spiels leide darunter, wenn die Zuschauer in diesen Situationen nur noch Weitwürfe von Tor zu Tor beobachten dürfen.

    Eric Mair von der HSG aus Lauingen und Wittislingen

    „In den letzten Jahren gab es diverse Regeländerungen mit einschneidenden Änderungen im Profibereich, insbesondere die Möglichkeit des siebten Feldspielers zog immense spieltaktische Änderungen nach sich. Doch was bedeutet dies für uns Schiedsrichter im Amateurbereich der unteren Spielklassen?“ – so fragt Eric Mair, Spieler und Vereinsschiedsrichterobmann der HSG Lauingen-Wittislingen. Und reicht die Antwort gleich nach: „Tempo und Dynamik des Handballspiels in unteren Spielklassen sind selbstredend deutlich geringer im Vergleich zur Bundesliga. Spielerwechsel nehmen einige Augenblicke mehr in Anspruch und somit bedeutet das Spielen ohne Torwart und gleichzeitig mit sieben Feldspielern ein erhöhtes Risiko für das eigene Tor bei einem Fehlwurf oder Ballverlust. Die eindeutige Erfahrung seit der Regeländerung ist, dass Mannschaften in unteren Spielklassen die Möglichkeit des siebten Feldspielers sehr selten bis nie nutzen.“ Mair habe als Schiedsrichter bisher kein einziges Spiel gepfiffen, in dem der siebte Feldspieler eingesetzt wurde. Dieses taktische Mittel ist meiner Meinung nur etwas für zurückliegende Mannschaften bei sehr knappen Spielen in den letzten ein, zwei Angriffen, „wenn es also nichts mehr zu verlieren gibt“.

    Das sagte Andreas Seitz vom TSV Wertingen

    Wie geht Bezirksligist TSV Wertingen mit der Regel um, nutzt Herren-Trainer AndreasSeitz sie spieltaktisch? „Bei uns und allgemein in der Liga wird der siebte Mann eher selten eingesetzt. Ich denke, das Risiko, mit schnell ausgeführtem Anspiel ein direktes Gegentor zu kassieren, ist für die meisten zu hoch um.“

    Ein großer Kritiker ist Günzburgs Cheftrainer Stephan Hofmeister, dem im Zusammenhang mit dieser taktischen Option schon mal das Wort „Unfug“ über die Lippen kommt. „Der siebte Feldspieler verändert die Grundstruktur des Spiels“, behauptet er. Seine Ansicht begründet er mit der Erfahrung, dass der Torreichtum in diesem Mannschaftssport durch ein optimales Verhältnis zwischen Raum (also Spielfeldgröße) und Zahl (sechs Feldspieler auf jeder Seite) zustande komme. Nun aber sei im Ballbesitz ein ständiges Missverhältnis möglich, während im Moment des Ballverlustes das eigene Tor offen stehe. „Kein Mensch will Würfe auf ein leeres Tor sehen“, betont Hofmeister kopfschüttelnd. Mit galligem Unterton fügt er hinzu: „Das wird neuerdings natürlich auch trainiert. Das Ganze erinnert dann an den Schlagball-Weitwurf der Bundesjugendspiele. Es ist auch ähnlich interessant.“

    Es wurmt Hofmeister gewaltig, dass sich der Kniff mit dem siebten Mann augenscheinlich von oben nach unten durchsetzt. „Bis vor einiger Zeit war es nur ein taktisches Mittel von Außenseitern. Mittlerweile wird es immer mehr trainiert und selbst auf höchster Ebene von den besten Mannschaften praktiziert. Daraus entstehen Nachahmungseffekte bis nach unten“, berichtet er. Das werde von Jahr zu Jahr und von oben nach unten zunehmen und gleichzeitig ausgefeilter werden, ist der Handball-Fachmann überzeugt. Dabei verhehlt der VfL-Cheftrainer gar nicht, dass auch er eine Angriffskonzeption mit sieben Feldspielern in seinem Taktik-Buch hat – allerdings sieht er sie immer noch als „Notlösung im mittleren Leistungsbereich“.

    Ähnlich wie Hofmeister äußert sich auch UdoMesch zum siebten Feldspieler. Für den Trainer des TSV Niederraunau hat die Regeländerung den Sport „definitiv verändert. Aber aus meiner Sicht zum Negativen.“ Der Grund: Die Mannschaft mit den sieben Feldspielern versuche im Angriff krampfhaft, den freien Mann zu finden und zum Torabschluss zu kommen: „Für mich ist das nicht anzuschauen, selbst in der Bundesliga.“

    Bei seiner Landesliga-Mannschaft habe er die taktische Variante nicht eingeführt. Dass sie ihm nicht gefällt, spielt dabei keine Rolle. „Wir sind einfach noch nicht so weit, dafür sind wir zu anfällig für Ballverluste. Und die kannst du dir nun mal nicht leisten, wenn du keinen Torwart hast.“ Für den Angriff mit sieben Feldspielern brauche es einen guten Spielgestalter, der im richtigen Moment die richtige Entscheidung treffe, die zum Tor führt. Einen Spielertypus also, den man in der Landesliga wohl eher selten antrifft. Jedenfalls habe er diese Taktik bisher in der Liga noch nicht beobachtet, sagt Mesch.

    Entsprechend neutral ist Mesch in der Frage, ob die Regel wieder abgeschafft werden sollte. Umso lieber hätte er eine Änderung bei der gleichzeitig mit dem siebten Mann eingeführten, neuen Zeitspiel-Regel. Diese besagt, dass eine Mannschaft noch sechs Pässe spielen darf, wenn der Schiedsrichter ein Zeitspiel anzeigt. „Früher wusstest du dann, du hast nur noch etwa zehn Sekunden. Jetzt kann das in die Länge gezogen werden. Rein theoretisch kann es kurz vor Ende sein, dass du als Gegner gar nicht mehr an den Ball kommst.“ Genau gegenteilig sieht Wertingens AndreasSeitz: „Nun jedem klar, dass nach sechs Pässen ein Torabschluss erfolgen muss. Früher wusste man nie genau, wann der Schiri abpfeift, weil es dessen Ermessenssache war.“

    EricMair von der HSG Lauingen-Wittislingen misst der geänderten Zeitspiel-Regel ebenfalls erhöhte Bedeutung zu, zumindest im Amateurbereich: „Aufgrund von teilweise fehlender Dynamik schwindender Kondition bei fortschreitender Spieldauer bleibt das Zeitspiel ein ständiger Begleiter in unteren Spielklassen.“

    Und zum Schluss nochmals der Gundelfinger MichaelSchaarschmidt mit Blick auf die ebenfalls zum Saisonstart 2016 abgeänderte Regel zum passiven Spiel: „Nach spätestens sechs Pässen sind ja die Schiedsrichter angehalten, abzupfeifen. Meist kommt es allerdings gar nicht so weit, da die Teams nach zwei bis vier Pässen direkt abschließen. Und die Zuschauer haben ihren Spaß daran gefunden, bei angezeigtem passiven Vorwarnzeichen die Pässe laut mitzuzählen.“ (gz/gül)

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