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Lauingen: „Genesen, aber nicht gesund“: Wie eine Lauingerin Corona nur mit Glück überlebte

Lauingen

„Genesen, aber nicht gesund“: Wie eine Lauingerin Corona nur mit Glück überlebte

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    Die Inzidenz im Landkreis Dillingen ist so hoch wie noch nie. Auch die Zahl der Todesfälle seit Ausbruch der Pandemie steigt weiter. Eine Familie aus Lauingen erzählt, wie sie Corona erlebt hat.
    Die Inzidenz im Landkreis Dillingen ist so hoch wie noch nie. Auch die Zahl der Todesfälle seit Ausbruch der Pandemie steigt weiter. Eine Familie aus Lauingen erzählt, wie sie Corona erlebt hat. Foto: dpa (Symbol)

    Sie redet viel. Mit ihrer Familie. Mit Freunden. Psychologische Unterstützung braucht sie nicht, sagt sie. Auch, wenn ihr das die Mediziner dringend raten. Andrea stoppt kurz, als sie diesen Satz ausspricht. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Sie kämpft, will stark sein. In diesem Moment auch vor ihrer Tochter Lisa, die neben ihr am Küchentisch sitzt. Andrea, verheiratet, Mama von zwei Kindern und mitten im Berufsleben, hat vor wenigen Monaten nur ganz knapp überlebt. Sie wäre fast an einer Lungenembolie gestorben – als Folge einer schweren Corona-Erkrankung. „Es war Glück. Mehr nicht“, sagt die Lauingerin und sucht in ihrem Handy ein Foto. Zu sehen ist ein Selfie mit ihrem Mann und ihren Kindern. An dem Tag, an dem sie aus dem Dillinger Krankenhaus entlassen wurde. Ihr Gesicht auf dem Bild wirkt eingefallen, müde, sie hat dunkle Augenringe, die eigentlich blonden Haare hängen fahl herunter. „Ich schaue einfach richtig krank und schlimm aus. Dabei war ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich auf dem Weg der Besserung.“

    Heute gilt Andrea als genesen. Aber: „Ein Arzt sagte zu mir: Sie sind genesen, aber nicht gesund. Und genauso ist es. Leider. Ich habe auch nach meiner Erkrankung immer noch panische Angst vor Corona. Ich weiß, wie schlimm diese Krankheit ist und was sie mit einem machen kann. Ich wünsche das niemandem, was ich erlebt habe.“

    Vier Tage später war von jetzt auf gleich alles anders

    In einem kleinen Kalender hat die 43-Jährige jeden einzelnen Tag ihrer Erkrankung festgehalten. Seit Ausbruch der Pandemie, so schildert sie es, hätten sie und ihre Familie sich an alle notwendigen Maßnahmen gehalten, sie seien vorsichtig gewesen. Die Lauingerin ist selbstständige Vertreterin, bei einer kurzen Übergabe bei einer Kundin ist es dann sehr wahrscheinlich passiert: „Ich habe am 20. April die Kundin getroffen, war nur knapp 20 Minuten ohne Maske bei ihr im Haus. Am nächsten Tag hat sie mich informiert, dass sie Corona hat“, schildert die Lauingerin. Der Beginn ihres dramatischen Krankheitsverlaufs.

    Vier Tage später, sie war gerade dabei, für ihre Familie Lasagne zu kochen, war von jetzt auf gleich alles anders. Andrea konnte nicht mehr stehen, sie setzte sich aufs Sofa und informierte sofort ihren Mann. Es folgten Tests, Arztbesuche – das volle Programm. Ab 26. April war klar: Auch Andrea hat Corona, ab sofort Quarantäne für sie. Zwei Tage später haben sich ihr Mann und die kleinere Tochter angesteckt. Auch Tochter Lisa hat das Virus, wenn auch verzögert, aufgeschnappt. Sie schildert: „Ich habe mich erst zwei Wochen in meinem Zimmer von meiner Familie isoliert, trotzdem habe ich es dann auch bekommen. Wieder Quarantäne.“

    Doch die lange Zeit in den eigenen vier Wänden, die Kontaktbeschränkungen und die Abhängigkeit von Nachbarn und Großeltern war längst nicht das Schlimmste. Das nehme man hin, die Familie sei schon immer gerne viel zusammen. Und auch die große Hilfsbereitschaft von Nachbarn und Freunden rühre die vier bis heute, die sei unglaublich gewesen. Doch die gesundheitlichen Probleme waren „grausam“, wie Andrea sie beschreibt. Angefangen hat bei ihr alles mit sehr hohem Fieber. 40 Grad Celsius und mehr. Selbst mit Medikamenten und Wadenwickeln habe sie es nicht senken können. Es kam starker Durchfall hinzu. Ihre gesundheitliche Situation spitzte sich von Tag zu Tag zu, sodass am 2. Mai der Notarzt ins Haus kam. „Obwohl ich nur noch ein Schatten meiner selbst war und mich nicht mehr bewegen konnte, hat er mich daheim gelassen“, sagt Andrea. Das mache sie bis heute fassungslos und wütend.

    Wenige Stunden später und die Lauingerin hätte nicht überlebt

    Aber tatsächlich ging nach rund zwei Wochen das Fieber etwas runter – und mit Andrea ging es aufwärts. Bis zum Muttertag. „Diesen werde ich mein Leben lang nicht mehr vergessen“, sagt sie. Am Vorabend musste die 43-Jährige stark husten, ihr sei es richtig „in den Rücken gefahren“, sodass sie kaum liegen konnte. Der Muttertag war ein Albtraum, die Schmerzen kaum auszuhalten. Sie war sehr kurzatmig, jedes Wort war zu viel. Sie habe das Gefühl gehabt, dass sie ertrinken würde, erzählt sie. Der Hausarzt habe ihr dann am Montag starke Schmerzmittel und eine Spritze verabreicht, auch das habe nicht geholfen. Glücklicherweise habe sie am Dienstag schnell einen Termin bei einem Orthopäden in Günzburg bekommen. Ihr Lebensretter, wie sie sagt. „Er hat festgestellt, dass ich einen frischen Bandscheibenvorfall habe. Und er meinte, dass die Lunge komisch ausschaut und ich am besten sofort ins Krankenhaus sollte.“

    Dann ging alles ganz schnell. Diagnose: Lungenembolie. Wäre sie wenige Stunden später in die Klinik gekommen, hätte sie nicht überlebt. „Das haben mir die Ärzte deutlich gesagt. Am 11.5. kann ich meinen zweiten Geburtstag feiern“, sagt Andrea. Sie schluckt. Eine Woche musste sie im Krankenhaus bleiben. Bis heute nimmt die Lauingerin blutverdünnende Medikamente. Ein Herzschaden hat sich entwickelt. Sie geht zur Physiotherapie, ist ständig bei Kontrollen. Ab und an kommt eine Panikattacke, hin und wieder hat sie Gedächtnisprobleme. „Ich hatte nichts vorher. Nichts. Keine Vorerkrankung. Jetzt ist alles anders.“

    Ihr Mann und ihre beiden Kinder seien glimpflicher davongekommen, wobei alle mit Geschmacks- und Geruchsverlust zu kämpfen hatten. Paprika schmeckt sie bis heute nicht. Und Tochter Lisa, ebenfalls noch in Behandlung, leidet unter Long Covid, wie sie sagt. „Ich habe Muskelschwäche. Es wird besser. Aber auch die Bronchien sind geschädigt“, erzählt die 22-Jährige.

    Sie spricht sich für eine Corona-Impfung aus

    Die Familie aus Lauingen gilt als genesen. Zum Zeitpunkt der Ansteckung war keiner von ihnen geimpft. Heute sind es alle, auch die Kinder. „Ich habe mir vor der Erkrankung gedacht, dass die Impfung vielleicht nicht notwendig ist. Ich dachte aber auch nie, dass Corona so schlimm ist. Aber ich kann sicher sagen: Die Spritze ist bei Weitem nicht so schlimm wie die Krankheit. Man kann an Corona sterben. Ich habe nur dank vieler Schutzengel überlebt. Andere haben das Glück nicht“, sagt sie.

    Deshalb, und auch aus dem Verantwortungsbewusstsein gegenüber anderen, sei sie für die Impfung, auch die dritte, selbstverständlich. Mit Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, versucht sie nicht, zu diskutieren. Sie wolle auch niemandem ihre Meinung aufzwingen. Auch versuche sie, die Menschen in ihrem Umfeld nicht auf die Impfung zu reduzieren. Wobei sie nur wenige kenne, die nicht geimpft seien. „Ich bin genesen und geimpft und trotzdem habe ich Angst vor der Krankheit. Sie kann dich umbringen“, sagt Andrea. Das ist es, was sie den Menschen sagen will.

    Anmerkung der Redaktion: Die vollständigen Namen sind der Redaktion bekannt.

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