Lange dachte Tanja Uzunoglan einfach, sie stünde „gut im Futter“, wie sie lachend sagt. Sie war immer schon etwas schwerer als viele Klassenkameraden in der Schule oder später Kollegen. „Es hieß immer, iss weniger und beweg’ dich mehr“, sagt die 42-Jährige. Doch vor sechs Jahren taten ihr so die Füße weh, dass sie einen Arzt aufsuchte. Tagelang hatte sie zuvor im Liegen die Beine senkrecht an die Wand gelegt, so schlimm waren die Schmerzen. Sie dachte, es sei einfach die Hitze. „Ich hätte mir am liebsten neue Beine bestellt.“ Von Dillingens Fachärztin Dr. Karin Müller erhielt sie ein Jahr später die Diagnose Lipödem und Lymphödem.
Dr. Müller ist Fachärztin für Chirurgie, Phlebologin (für Gefäß-/Venenerkrankungen), Lymphologin und Mitbegründerin des Lymphnetzes Dillingen und Donau-Ries. In ihre Praxis kommen immer wieder Frauen, die nicht verstehen, warum sie verschiedene Kleidergrößen brauchen: unten an den Beinen zwei mehr als oben. Wer an Lipödem oder Lymphödem leidet, bei dem lagert sich schlechtes Fett ab, vor allen in den Beinen. Mit Lymphdrainagen kann man das Leiden lindern, stoppen aber nicht. Nur Fettabsaugen hilft – doch das zahlen die Krankenkassen selten.
Die Lauingerin ist geduldiger geworden
Der Lauingerin half die Diagnose. Seit sie weiß, dass sie selbst nicht viel tun kann, sei sie geduldiger geworden. Diäten waren für sie nie ein Thema, stattdessen achte sie jetzt insgesamt mehr auf sich. „Ich versuche, fit zu bleiben, und den Sport in meinen Alltag zu integrieren, damit ich nach der Arbeit nicht tot umfalle.“ Seit sieben Jahren macht sie Sport, um sich selbst wohler zu fühlen. Vor allem das Radfahren ist zur Leidenschaft der 42-Jährigen geworden. „Und das habe ich ganz allein geschafft“, sagt sie stolz. Der Alltag gehe besser von der Hand, auch, seit sie mehr darauf hört, was ihr Körper will. Man brauche gar nicht so viel zu essen, um sich wohlzufühlen.
Die alleinstehende, gut gelaunte Mutter eines erwachsenen Sohnes hat immer eine Flasche Wasser gegen mögliche Heißhungerattacken dabei. Nimmt sich Zeit fürs Essen. Geht kneippen und schwimmen, das schone auch die Gelenke. Selbstbewusst steigt sie im Badeanzug ins Schwimmbecken. „Mir ist das wurscht, was die Leute denken. Ich kenn’ mich nicht anders.“ Natürlich sei es schwer, passende Kleidung zu finden. Aber die 42-Jährige häkelt sich zur Not selbst ein flottes Oberteil.
Eine Selbsthilfegruppe, die sich regelmäßig in Dillingen trifft, hilft
Inzwischen besucht die Lauingerin regelmäßig die Treffen der Selbsthilfegruppe Lilyput in Dillingen. Jeden ersten Freitag im Monat treffen sich um 18.30 Uhr im Lehrsaal 3 des Collegs Frauen, die ebenfalls an Lip-/Lymphödemen leiden. Da merke man, dass man nicht alleine sei mit den Problemen. „Wer nicht davon betroffen ist, kann sich nicht vorstellen, wie es ist, jeden Tag Kompressionsstrümpfe anzuziehen – zumal bei der Hitze. Oder wie die Füße unter dem Gewicht der Beine leiden.“
Sie informiert sich in der Gruppe, nimmt an Fahrten zu Experten über die Erkrankungen teil. Auch über neue Operationsmöglichkeiten, etwa mit Ultraschall, wurden die Teilnehmer der Gruppe kürzlich informiert. Doch die 42-Jährige denkt darüber nicht viel nach. Andere Betroffene hätten jeden Tag Schmerzen in den Beinen. „Ich bin nicht eingeschränkt, im Gegenteil, ich erfülle mir jetzt sogar einen Wunsch“, sagt sie und strahlt.
Übernachtet wird im Zelt
Das Radfahren macht der Lauingerin so viel Spaß, dass sie sich irgendwann gefragt hat, ob sie auf eine Operation gegen ihr Leiden oder für ein E-Bike sparen soll. Es wurde das Fahrrad. Mehr als 700 Kilometer ist sie damit heuer bereits unterwegs gewesen – samt Zelt und Übernachtung in der freien Natur. „Mir geht es da einfach so gut. Ich höre die Vögel zwitschern, die Grillen zirpen, und überall ist ein Kuckuck“, schwärmt Uzunoglan. Deswegen freut sie sich riesig auf ihren nächsten Urlaub: Die Lauingerin wird den Bodensee umradeln und jede Nacht im Zelt verbringen. Das Laden von Fahrrad und Handy sei eine Herausforderung. „Aber zur Not frage ich einfach“, sagt sie optimistisch und lacht. Angst hat die 42-Jährige keine. Nie. „Ich kann tun und lassen, was ich will. Ich muss nur noch nach mir gucken – und das genieße ich ohne Ende.“
Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast mit der Lipödem-Betroffenen Caroline Sprott an: