Wenn Schutzbefohlene anstatt Geborgenheit Missbrauch erfahren müssen, bricht die letzte Bastion einer heilen Welt zusammen: die der Familie. Doch trotz der Taten ändert sich nichts an der Tatsache, dass es sich um ein Elternteil und damit um eine wichtige Bezugsperson des Opfers handelt.
Landkreis Dillingen: Vater fordert fünfjährigen Sohn zum Onanieren auf
Das zeigt auch der Fall, der am Freitag, 18. Dezember, im Amtsgericht Augsburg unter Vorsitz von Richterin Rosa Oelbermann verhandelt wird. Die Staatsanwaltschaft legt einem 41-jährigen Mann aus dem Landkreis Dillingen drei sexuelle Übergriffe an seinem damals fünf Jahre alten Sohn zur Last. So soll der Angeklagte den Fünfjährigen dazu aufgefordert haben, mit ihm Pornos anzusehen, während er vor dem Kind onanierte. Er soll seinen Sohn auch dazu animiert haben, selbst zu onanieren und den Penis des Angeklagten anzufassen. Die Taten sollen zwischen November 2019 und März 2020 passiert sein.
Die Ehefrau des Angeklagten ist im Prozess anwesend, das Kind nicht. Sie berichtet der Richterin von Wesensveränderungen ihres Sohnes. Er wirkte plötzlich verstört. Auf Nachfrage habe er vom väterlichen Missbrauch erzählt. Die Aussagen nahm die verzweifelte Mutter damals mit dem Handy auf. Es folgte die Anzeige bei der Kriminalpolizei Dillingen.
Daraufhin wird der Familienvater Ende Mai 2020 in Untersuchungshaft genommen und sein Haus durchsucht. Die Polizeibeamten finden auf Speichermedien des Angeklagten 13 Bilddateien mit kinderpornografischem und 31 Bilder mit jugendpornografischem Inhalt.
Halbschwester erhebt ähnliche Vorwürfe
Der erweiterte Familienkreis erfährt von den Vorwürfen, daraufhin meldet sich eine Halbschwester des Angeklagten, mit der die Familie zuvor kaum Kontakt hatte. Auch sie sei vom Angeklagten angefasst worden. Sie ist elf Jahre jünger als ihr Halbbruder. Im Jahre 2002 soll er die damals Zwölfjährige sexuell missbraucht haben. Beide wuchsen bei der gemeinsamen Mutter und dem Stiefvater des Angeklagten beziehungsweise dem leiblichen Vater seiner Halbschwester im Landkreis Dillingen auf.
Er soll sie bei drei Gelegenheiten aufgefordert haben, sich mit ihm gemeinsam Pornos anzusehen, um sich durch ihre Anwesenheit zusätzlich sexuell zu erregen. In einem dieser Fälle soll er die Geschädigte aufgefordert haben seinen Penis zu stimulieren. Zu diesem Zeitpunkt habe es viel Streit zwischen den Eltern gegeben, heißt es im Gericht, das junge Mädchen suchte Schutz und Trost bei ihrem Halbbruder, der dies ausnutzte.
Angeklagter weist zunächst Taten teilweise zurück
Die Anklage, vorgetragen von Staatsanwältin Marlies Dorn, legt dem Mann deshalb sechsfachen sexuellen Missbrauch von Kindern, sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen und Besitz von kinder- und jugendpornografischen Schriften zur Last. Während seines siebenmonatigen Aufenthaltes in der Justizvollzugsanstalt Gablingen schreibt der Angeklagte seiner Halbschwester einen Brief. Richterin Oelbermann liest diesen vor, nicht aus Schikane, wie sie betont, sondern weil das Geschriebene zeige, dass der Angeklagte nun seine Vergehen an der Geschädigten verstehe. In dem Brief weist er jedoch die Taten an seinem eigenem Sohn von sich. Die ermittelnde Polizeibeamtin sagt vor Gericht aus und bescheinigt ebenfalls, dass der Angeklagte nur die Vergehen vor rund 20 Jahren zugegeben habe.
Auch im Gespräch mit einem Gutachter hat sich der gelernte Mechatroniker in unglaubwürdigen Ausflüchten verloren: Die auf seinen Laptops sichergestellte Kinderpornografie sei ohne sein Wissen gespeichert worden. Seinen Sohn habe er bloß aus medizinischen Gründen wegen einer Vorhautverengung angefasst. Und da der Junge ihm beim Porno schauen aus Versehen erwischt hätte, habe er ihn daraufhin nur aufklären wollen.
In der Hauptverhandlung kommt es zu einer nichtöffentlichen Verständigung zwischen den Verfahrensbeteiligten. Der Angeklagte gesteht nun doch alle Taten. Verteidiger Jörg Seubert erklärt für seinen Mandanten: „Er bedauert seine Taten sehr und hatte im Gefängnis viel Zeit, darüber nachzudenken.“ Seubert sagt, dass die Haft für den Angeklagten massiv belastend und schrecklich gewesen sei: „Er ist nicht mehr der Mann, der er mal war.“ Sein Mandant wirkt tatsächlich gebrochen: Abgemagert und blass ringt er mehrfach mit den Tränen, als ihn die Staatsanwältin Marlies Dorn mit seinen Taten konfrontiert.
Anwältin Zech: "Sie waren gut beraten reinen Tisch zu machen"
Die Anwältin der Nebenklage, Marion Zech, richtet sich nach dem Geständnis an den Angeklagten: „Sie waren gut beraten reinen Tisch zu machen. Bei dieser Anklageschrift hätte zunächst keiner an eine Bewährungsstrafe gedacht. Machen Sie etwas aus ihrer zweiten Chance!“
So lautet das Urteil zwei Jahre Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung. Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre. Als Auflagen nennt die Vorsitzende des Schöffengerichts den Beginn und Abschluss einer Sexualtherapie beim Evangelischem Hilfswerk, 80 Stunden gemeinnützige Arbeit und das Melden eines Wohnsitzwechsels. Zu seiner Halbschwester darf er während der dreijährigen Bewährungszeit keinen Kontakt aufnehmen. Zu seinem Sohn hat er zunächst für ein Jahr Kontaktverbot – „sofern es keine andere Einigung mit der Kindsmutter gibt“, betont Richterin Oelbermann. Sie hält dem Mann zu Gute, das sein Sohn aufgrund seines Geständnisses nicht vor Gericht aussagen muss. Außerdem zeige er Reue, sei nicht vorbestraft und habe bereits sieben Monate in Untersuchungshaft verbracht.
Nach der Urteilsverkündung richtet Oelbermann ihr Wort an beide Elternteile. Sie habe den Briefwechsel der beiden miterlebt und habe viel Respekt davor, wie sie mit der Situation umgingen. „Kinder verbinden einen das ganze Leben“, sagt die Richterin. Daraufhin brechen beide in Tränen aus.
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