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Landkreis Dillingen: Prozess um Kindesmissbrauch im Landkreis Dillingen: „Krass, hanebüchen und haarsträubend“

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Prozess um Kindesmissbrauch im Landkreis Dillingen: „Krass, hanebüchen und haarsträubend“

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    Das Strafjustizzentrum in Augsburg. Dort musste sich ein 48-Jähriger aus dem Landkreis Dillingen verantworten, weil er einen kleinen Jungen missbraucht und genötigt sowie Kinderpornos besessen hat.
    Das Strafjustizzentrum in Augsburg. Dort musste sich ein 48-Jähriger aus dem Landkreis Dillingen verantworten, weil er einen kleinen Jungen missbraucht und genötigt sowie Kinderpornos besessen hat. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

    Vier Jahre und vier Monate schickt das Augsburger Landgericht einen 48-jährigen Angeklagten ins Gefängnis, der einem Buben aus seinem Bekanntenkreis einen Finger anal eingeführt hat. Der Mann aus dem westlichen Landkreis Dillingen hatte die Tat im Zusammenhang mit einer Verfahrensabsprache gestanden (Prozess: Exhibitionist missbraucht kleinen Jungen). Doch ein Brief, den er aus dem Gefängnis heraus verschicken wollte, brachte das Geständnis noch einmal ins Wanken.

    Er sei am Boden zerstört, weil man ihm nicht glaube, dass er den Kindern nichts getan habe. So äußerte sich der Angeklagte, der seit 14 Monaten in Untersuchungshaft sitzt, in einem Schreiben an seine Verlobte. Den Brief hatte er am Abend unmittelbar nach dem ersten Verhandlungstag geschrieben. Zum Ende dieses Tages hatte das Gericht den Staatsanwalt, die Nebenklage und die Verteidigung zu einer verfahrensvereinfachenden Absprache hinter verschlossenen Türen geladen. Der Deal: Der Angeklagte gesteht, im Gegenzug garantiert man ihm ein Strafmaß zwischen vier und viereinhalb Jahren. Damit wollten die Prozessbeteiligten auch vermeiden, dass eine weitere Geschädigte – ein junges Mädchen – vor Gericht aussagen muss.

    In der Ungewissheit, ob er dieser Absprache zustimmen sollte oder nicht, wandte sich der 48-Jährige wohl an seine Verlobte. Der Brief war im Gefängnis beschlagnahmt und dem Gericht zugeleitet worden. Der vorsitzende Richter Lenart Hoesch verlas ihn am Dienstag, dem dritten Verhandlungstag, wo ihn auch die im Besucherraum anwesende Verlobte hören konnte: Er habe die Wahl zwischen Pest und Cholera, schrieb der Angeklagte. Das „Gebrabbel“ des kleinen Buben, den er missbraucht haben soll, werde als sicherer Beweis für seine Tat gewertet.

    Auf Bildern war der Mann nackt neben Kindern zu sehen

    Mit deutlichen Worten machte Richter Hoesch dem Angeklagten klar, dass ein taktisches, falsches Geständnis, um mit einer besseren Strafe davonzukommen, vom Gericht nicht akzeptiert werde. Hoesch verlangte vom Angeklagten eine Erklärung. Der begründete den Brief damit, dass er verzweifelt gewesen sei und dass er seiner Verlobten nicht habe wehtun wollen. Aus der Sorge heraus, sie würde ihn verlassen, habe er im Brief gelogen. Er bleibe bei seinem Geständnis, welches er am Tag nach Verfassen des Briefes und nach Beratung mit seinem Rechtsanwalt vortragen ließ.

    Ungläubiges Kopfschütteln, entsetzte Blicke, Wegschauen: Das waren die Reaktionen einiger Zuschauer, als im Folgenden Porno-Bilder und Fotomontagen vorgeführt wurden, die der Angeklagte auf seinen Festplatten gespeichert hatte. Diese waren zuerst beim Datenversand an Fremde und dann bei zwei Hausdurchsuchungen gefunden worden. Da zeigte sich der Angeklagte auf entsprechend bearbeiteten Bildern nackt zwischen entblößten Frauen oder neben Kindern. Auch hatte er die Köpfe von Sprösslingen aus seinem Bekanntenkreis auf Fotos aufreizend posierender und entblößter Körper montiert.

    Näheres zur Vorgehensweise des Angeklagten bei seinen Bilddateien berichtete IT-Forensiker Werner Poppitz dem Gericht, der die beschlagnahmten Computer und Speichermedien des Angeklagten ausgewertet hatte. So seien bei dem 48-Jährigen neben rund 130.000 erotischen und pornografischen Bildern und Videos über 13.000 Dateien gefunden worden, die als kinder- oder jugendpornografisch zu werten seien. Grob grenzte der Sachverständige die Erstellung der Dateien zwischen dem Jahr 2013 und dem Tag vor der Beschlagnahmung der Geräte im April 2018 ein. Auch danach habe der Mann nicht aufgehört, wie das Auffinden weiterer verbotener Bilder und Videos bei einer zweiten Durchsuchung im April 2019 ergeben habe.

    Der Angeklagte aus dem Kreis Dillingen drohte dem Jungen nach der Tat

    Staatsanwalt Ralph Zenger forderte in seinem Plädoyer, den Angeklagten gemäß der Absprache zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten zu verurteilen. Der Mann habe sowohl den Besitz und die Weitergabe kinderpornografischer Schriften gestanden als auch den Missbrauch des zur Tatzeit zwischen fünf und sieben Jahre alten Sohnes seines besten Freundes. Ihm soll der Angeklagte einen Finger in den Po eingeführt haben. Besonders verwerflich nannte Zenger, dass der Angeklagte das Vertrauensverhältnis zu dem Kind ausgenutzt und ihm dann auch noch gedroht habe, seine Mutter werde sterben, wenn er jemandem davon erzähle.

    Roland Aigner, der die Eltern des Jungen als Nebenkläger vertrat, wies auf die Schäden hin, die der Angeklagte der Familie zugefügt habe: Der 48-Jährige hatte zuerst behauptet, die Anschuldigungen seien ein Racheakt der Mutter gegen ihn, weil er ihre Gefühle nicht erwiderte. Mit ihr habe der Angeklagte eine Affäre gehabt, die in die Brüche ging. Die Frau dementierte das vor Gericht. Sie habe ihm nur per Handy geantwortet, wenn er sie mit seinen sexuellen Fantasien kontaktiert habe. Wie der Staatsanwalt auch, wünschte Aigner dem Angeklagten Einsichtsfähigkeit und die Kraft, eine Therapie zu beginnen und abzuschließen.

    Verteidiger Moritz Bode erklärte den Brief seines Mandanten mit dessen „Findungsprozess“ im Laufe des Verfahrens. Es sei eben ein Unterschied, einen Diebstahl zu gestehen oder den sexuellen Missbrauch eines kleinen Kindes, während dessen Eltern und Angehörige zuhörten. Darüber hinaus habe sein Mandant ein werthaltiges Geständnis geliefert, das dem Gericht so manch schwierige Vernehmung erspart habe. Bode plädierte für die Mindeststrafe der Verfahrensabsprache: vier Jahre Gefängnis.

    Am Ende hat das Landgericht Augsburg keine Zweifel

    Verurteilt wurde der Mann schließlich wegen schweren sexuellen Missbrauchs, Nötigung und des Besitzes und Verbreitens kinderpornografischer Schriften: Es sei eine „krasse Geschichte“, dass der Angeklagte den Jungen mit der Drohung genötigt habe, seiner Mutter etwas anzutun. “Hanebüchen“ sei es, ihr ein Komplott andichten zu wollen, und „haarsträubend“, ihr pornografisches Bildmaterial zuzuschicken, erklärte Richter Hoesch in der Urteilsbegründung. Der eigenen Verlobten eine falsche Geschichte aufzutischen, um sie gewogen zu halten, sei ein in Gerichtssälen nicht unübliches Täterverhalten. Am gestandenen Missbrauch des Buben hatte das Gericht keine Zweifel.

    Da das Urteil auf einer Verfahrensabsprache beruht, kann es frühestens nach einer Woche rechtskräftig werden. Nach einer kurzen Aussprache mit seiner Verlobten im Gerichtssaal wurde der Angeklagte, der die Urteilsverkündung ohne erkennbare Regung entgegennahm, zurück ins Gefängnis gebracht.

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