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Landkreis Dillingen: Missbrauchsfälle: Gläubige im Kreis kehren der Kirche in Scharen den Rücken

Landkreis Dillingen

Missbrauchsfälle: Gläubige im Kreis kehren der Kirche in Scharen den Rücken

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    Seit Beginn dieses Jahres haben so viele Menschen wie selten im Landkreis Dillingen der Kirche den Rücken gekehrt.
    Seit Beginn dieses Jahres haben so viele Menschen wie selten im Landkreis Dillingen der Kirche den Rücken gekehrt. Foto: Silvio Wyszengrad (Symbolbild)

    Das Münchner Missbrauchsgutachten erschüttert die Kirche. Immer mehr Katholiken kehren ihr den Rücken, alleine beim Standesamt München sind Hunderte von Terminen für Kirchenaustritte gebucht. Auch im Landkreis Dillingen ist die Zahl der

    Nach der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens für das Erzbistum München und Freising und dem Umstand, dass der emeritierte Papst Benedikt XVI. die Teilnahme an einer Sitzung (dort ging es um einen pädophilen Priester) nachweislich geleugnet hat, wollen ungewöhnlich viele Gläubige aus der Kirche austreten. So viele, dass die Landeshauptstadt inzwischen zusätzliches Personal einsetzen muss.

    Gundelfingens Stadtpfarrer Schaufler ist erschüttert

    Auch bei katholischen Seelsorgern und Mitarbeiterinnen in Pfarrgemeinden im Landkreis Dillingen ist das Entsetzen nach der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens groß. So schreibt Gundelfingens Stadtpfarrer und Dekan Johann Schaufler: „Die Veröffentlichung hat mich sprachlos gemacht und erschüttert. Was haben Geistliche Kindern angetan! Wie ein Stich ins Herz habe ich diese Fälle empfunden.“ Er habe die Videosequenz, in der Bischof Bertram zwei Missbrauchsopfern zugehört hat, gesehen. „Das ist abgrundtief, was den beiden angetan wurde“, sagt Schaufler. Den Opfern müsse geholfen werden. „Es genügt nicht, gläubig zu sein, glaubwürdig müssen wir sein“, betont Schaufler.

    Der Dillinger Xaver Käser, Diakon im Ruhestand, sagt: „Als Religionslehrer haben wir den Kindern im Beichtunterricht beigebracht, dass Bereuen und Bekennen unbedingt nötig sind, um Schuld loszuwerden.“ Ihn ärgere maßlos, dass die betroffenen Verantwortlichen immer noch nach Ausreden suchten. Nötig sei ein Schuldbekenntnis, etwa in der Art: „Ich gebe zu, dass ich in diesem und jenem konkreten Fall etwas falsch gemacht oder falsch entschieden habe, das tut mir aufrichtig leid, und ich will alles tun, um es wieder gutzumachen.“

    Die Kirchenaustritte im Landkreis Dillingen steigen

    Dass aber die Medien jetzt den Eindruck vermittelten, die ganze Kirche sei eine einzige Ansammlung von Kinderschändern, das stimme nicht mit der Erfahrung von Kirche überein, die er hier in Dillingen mache, sagt Käser. „Die Kirche, das sind wir. Hat hier je ein Stadtpfarrer oder ein Kaplan ein Kind sexuell missbraucht?“, fragt Käser. Wenn jetzt ein Dillinger oder eine Dillingerin aus der Kirche austrete, habe das andere Gründe.

    Die Zahlen an Kirchenaustritten sprechen auch im Landkreis Dillingen eine eindeutige Sprache. Waren 1991 laut Meldung der Standesämter noch rund 154 Kirchenaustritte im Landkreis Dillingen zu verzeichnen, so waren es im Jahr 2021 bereits mehr als 650. Jeweils vier Fünftel der Austritte betreffen laut Statistik die katholischen Pfarrgemeinden, ein Fünftel die evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden. Monsignore Paul Sinz, Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Steinheim, Fristingen und Kicklingen, gesteht, dass er die Gesamtsituation als extrem zermürbend empfinde. Belastend sei für ihn auch die pauschale Verwendung des Begriffes „die Kirche“. Jemand, so Sinz, habe zu ihm gesagt: „Ich habe nicht das Vertrauen in die Kirche verloren, sondern nur das Vertrauen in bestimmte Vertreter der Kirche.“

    Das sagt der Pfarrgemeinderatsvorsitzende in Wertingen

    Diese Kirche bestehe aus den Menschen der jeweiligen Zeit. Darum sei es von Anfang an nie eine vollkommene Kirche gewesen, diese werde es auch in der Zukunft nicht geben. „Denn das äußere Erscheinungsbild wird geprägt von Menschen, von hell bis rabenschwarz“, so Sinz. Er leide an dieser Kirche, „weil wir als Gemeinschaft so oft so weit weg sind von dem, wie wir sein sollten“. Und vor allem leide er als Teil dieser Kirche an sich selbst, „weil ich nicht so bin, wie ich vor Christus sein sollte“. Doch pauschale Verurteilungen führten nicht weiter.

    Die aktuell zutage tretenden Missbrauchsfälle seien furchtbare Taten und durch nichts zu entschuldigen, sagt der Vorsitzende des Wertinger Pfarrgemeinderats St. Martin, Fabian Braun. Die Aufklärung müsse konsequent und ohne Rücksicht auf Amt und Würden stattfinden. So dürfe auch – bei allem Respekt für das theologische Lebenswerk Benedikts XVI. – dessen Rolle bei einem umfassenden Gutachten nicht verschont bleiben. Es scheine nachvollziehbar, wenn ein 94 Jahre alter Mann sich nicht mehr an jedes Detail aus über 40 Jahre zurückliegenden Sitzungen erinnert oder auch tausende Seiten Gutachten nicht mehr selbst lesen könne. Dies müsse der Öffentlichkeit aber ehrlich kommuniziert werden.

    Das Gutachten habe ihn nicht überrascht, nachdem in den zurückliegenden Jahren zahlreiche Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche offenbar geworden seien, teilt Lauingens Stadtpfarrer Raffaele De Blasi mit. Etliche Fälle seien dabei auch im Bereich des Erzbistums München und Freising aufgedeckt worden. Solche schrecklichen Missbrauchsfälle gebe es leider in jeder kirchlichen Gemeinschaft, jedoch auch in vielen anderen Gemeinschaften von Menschen.

    Erschreckend sei für ihn jedoch das bekannt gewordene Ausmaß, und wie in der Vergangenheit der Mantel des Schweigens über Missbrauchsfälle gelegt worden sei. De Blasi sagt: „Missbrauch ist – unabhängig vom Alter der Opfer – immer ein Verbrechen. Bei Kindern ist das

    Missbrauch-Skandale müssen aufgearbeitet werden

    Die seit Jahren schwelende Missbrauchsgeschichte habe zu einer Glaubenskrise nicht nur in Deutschland und erschreckend hohen Kirchenaustrittszahlen geführt. Diese Entwicklung ist nach Ansicht von De Blasi kaum aufzuhalten, auch wenn von den Verantwortlichen der Kirche versucht werde, Fehler der Vergangenheit zukünftig zu vermeiden und offen und ehrlich die Dinge beim Namen zu nennen. Hier hätten bereits viele Bischöfe Weichen gestellt, besonders auch der emeritierte Papst Benedikt, der sich schon in seiner Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation Opfern von Missbrauchsfällen gestellt und die kirchliche Gesetzgebung verschärft habe.

    Die Dillinger Pastoralreferentin Maria-Anna Immerz stellt zur Aufarbeitung des Missbrauchs-Skandals ganz konkrete Fragen: „Werden wir den Opfern gerecht, die in unserem Umkreis leben? Sind alle aufmerksam genug, wo heute Demütigung und Missbrauch passiert in allen möglichen Lebensbereichen? Und: Sind wir – ob hauptberuflich, ehrenamtlich oder einfach persönlich mit der Kirche identifiziert – ehrliche Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für Menschen, die mit ihrer Kirche hadern? Ansprechbar auch dafür, noch tiefer nach tragenden Wurzeln des Glaubens zu suchen, ohne äußere Missstände damit beschönigen zu wollen.“

    Trotz der Bemühungen, den Skandal aufzuarbeiten, steigen die Austritte aus den Kirchen auch in der Region rasant an. Das bestätigt Jan Koenen, Pressesprecher der Stadt Dillingen. Seien im Jahr 2011 noch 45 Kirchenaustritte von der Stadt registriert worden, so waren es zehn Jahre später 154. Und im Januar 2022 hätten bereits 17 Gläubige den Kirchen in Dillingen den Rücken gekehrt, informiert Koenen.

    Die Steigerung an Kirchenaustritten im Januar zieht sich offensichtlich wie ein roter Faden durch alle Kirchengemeinden im Landkreis Dillingen. Im Januar gab es in Dillingen 17 Kirchenaustritte, in Lauingen 28, in der Verwaltungsgemeinschaft Gundelfingen 17, in der VG Höchstädt 16, in der VG Holzheim 25, in der VG Syrgenstein fünf, in der Verwaltungsgemeinschaft Wittislingen neun, in Bissingen ebenfalls neun, in Buttenwiesen 19 und in der VG Wertingen 20. Insgesamt waren es also bereits 165 Kirchenaustritte im Januar 2022. "Diese Woche

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