Max Gillmaier sucht auf seinem Handy das Bild und zeigt es schließlich grinsend: Ein schmaler Maibaum, geschmückt mit bunten Bändern, daran ein Herzchen. Er hat den Baum für seine Freundin aufgestellt, erzählt er. „Nicht alleine. Ihr Vater und ihr Bruder haben mir geholfen.“ Und trotzdem steht er da, der Baum, auf den der 21-Jährige stolz sein kann. Gillmaier lebt noch bei seinen Eltern und möchte bald mit seiner Freundin zusammenziehen. Was wie das Leben eines jeden jungen Mannes klingt, ist für Gillmaier alles andere als gewöhnlich, denn es ist das Leben eines jungen Mannes, den ein Unfall plötzlich völlig aus der Bahn gerissen hat.
Gillmaier ist 15, sitzt auf dem Beifahrersitz neben seinem Kumpel, als das Auto gegen einen Lastwagen prallt und herumgeschleudert wird. Der Jugendliche erleidet schwere Verletzungen, liegt im Koma. Drei Krankenhausaufenthalte später hat sich sein Leben völlig verändert. Er muss nun mit einer Behinderung klarkommen, die dafür sorgt, dass er Probleme beim Sprechen hat und sich nur schwer an manche Dinge erinnert. Am einen Tag könne er noch manche Arbeitsabläufe lernen, am nächsten Tag habe er sie dann jedoch wieder vergessen.
Man muss selbst mit den Folgen des Unfalls klarkommen
„Die Stimme in meinem Kopf klingt für mich immer noch so wie ein 15-Jähriger“, sagt Gillmaier heute. „Aber eigentlich müssten Sie meine Eltern interviewen, die könnten mehr erzählen, damals, als der Unfall passiert ist.“ Man merkt es dem jungen Mann an, wie nah ihm der Gedanke an seine Eltern geht. „Ich war ja Einzelkind“, sagt der 21-Jährige. „Mich gibt’s ja nur einmal.“ Für seine Mutter sei die Welt stehen geblieben am Tag seines Unfalls, sagt Gillmaier, und auch der Vater hatte schwer zu kämpfen. Auch auf die Unterstützung seiner Freunde könne er zwar immer zählen, doch „man kann so viele Freunde haben, wie man will, man muss selbst damit klarkommen.“
Sein Leben meistert der 21-Jährige nun größtenteils allein. Es seien die kleinen Dinge, wie selbstständig aufstehen, Frühstück zubereiten, die ihn froh machten, wenn er sie alleine bewältigt. Vor seinem Unfall hatte Gillmaier das Gymnasium besucht, „ich war ein relativ guter Schüler“, sagt er. Doch die Schule konnte er dann nicht mehr beenden, auf der Förderschule langweilte er sich.
Der Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt: Für den 21-Jährigen unwahrscheinlich
Chancen auf den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt sieht er kaum. „Allein schon das Arbeitstempo ist schwierig.“ Momentan arbeitet er in den Werkstätten der Lebenshilfe in Dillingen. „Ich fühle mich hier sehr wohl“, sagt der 21-Jährige. Sein Lebenstraum sei die Arbeit dort natürlich nicht, er habe früher immer etwas mit Informatik machen wollen. Dennoch mache ihm die Tätigkeit Spaß. Die nächste Etappe: ein Führerschein. „Zwar nur für 45 Stundenkilometer, aber immerhin erleichtert es vieles.“
Zum Protesttag Inklusion hat die Lebenshilfe Dillingen ein Video gedreht
Der Protesttag der Inklusion findet europaweit statt, wie so vieles aber nur online. Auch die Lebenshilfe in Dillingen hat sich den Tag zum Anlass genommen und ein Video gedreht, Gillmaier hat ebenfalls mitgewirkt. Er und seine Kollegen bei der Lebenshilfe erzählen darin, wo sie noch auf Barrieren stoßen und was Inklusion für sie bedeutet.
Inklusion, das wird nicht nur im Video klar, ist ein großer, vielleicht manchmal auch ein sperriger Begriff, den man gar nicht so recht greifen kann. Jeder Mensch mit Behinderung hat eigene Bedürfnisse, wie eine Integration in die Gesellschaft für ihn am besten gelingt. Im Gespräch mit Betroffenen wird klar, dass das große Ganze meist gar nicht so wichtig ist, es sind die kleinen Dinge, die das Leben mit Behinderung unnötig schwer machen.
Für Irene Stapp sind es vor allem die abfälligen Bemerkungen, auf die sie verzichten könnte. „Wenn ich geärgert werde, gebe ich Kontra! Das muss da rein, da raus gehen“, sagt sie und zeigt auf ihre Ohren. Die 52-Jährige lebt seit 29 Jahren in einer Wohngruppe von Regens Wagner in Dillingen. Dort arbeitet sie in der Bücherinsel und in der Küche. Sie hat eine Hörbehinderung und kann nur schwer sprechen. „Vor langer Zeit bin ich in Frankfurt falsch operiert worden“, berichtet sie. Seitdem habe sie das Handicap.
Inklusion ist ganz einfach: Die Leute sollen nett zueinander sein
Das kann sie jedoch nicht davon abhalten, sich mit ihrem größten Hobby zu beschäftigen: Irene Stapp liebt Tiere und kümmert sich um zwei Hasen. „Meine Lieblingstiere sind Gänse“, sagt sie und grinst breit. „Besonders Babygänse.“ Wenn sie in Rente ist, möchte sie auf einem Bauernhof leben und sich um Tiere kümmern. „Das geht nur als Hobby, weil ich Rheuma habe“, erzählt sie. Was wünscht sie sich von den Menschen, die ihr begegnen? Wie kann Inklusion für sie besser gelingen? Irene Stapp bringt auf den Punkt, was einfach klingt, offenbar aber doch noch immer zu vielen Menschen schwerfällt: „Die Leute sollten einfach freundlich sein.“
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