Die Rettung für Alexander Goldschmitt kommt mit dem Boot. Der Wertinger wohnt in der Straße Gänsweid nahe der Zusam und zählt zu den vielen Menschen, die beim Hochwasser am Sonntag im Landkreis Dillingen aus ihrem Haus evakuiert werden müssen. Goldschmitt ist verständlicherweise mit den Nerven am Ende. „Wer gibt einem 54-Jährigen denn einen Kredit, um zu sanieren?“, fragt der Wertinger. Und auch Karin Denzel gesteht, dass sie nach der Überflutung der Wertinger Holzhandels-Firma Denzel "hätte heulen können". Bis zur Hüfte habe ihr das Wasser gestanden. "Wir sind komplett abgesoffen", berichtet sie. Das oft zitierte Zusam-Hochwasser des Jahres 1985 sei dagegen "ein Kindergarten" gewesen. Hauptproblem sei, dass die Firma keinen Strom habe. Deshalb könnten die E-Stapler nicht fahren. Das Unternehmen bleibe bis mindestens Ende der Woche geschlossen.
Viele Menschen mussten nach dem Hochwasser in der Region vorübergehend ihre Häuser verlassen. In der Stadthalle Wertingen fanden 87 Bürger und Bürgerinnen eine Unterkunft. Zwölf von ihnen kamen dabei aus Buttenwiesen in die Zusamstadt. Zehn Helfer des Bayerischen Roten Kreuzes und zwei Kräfte der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) kümmerten sich um die Hochwassergeschädigten. In Lauingen evakuierten die Feuerwehr und das BRK das Seniorenheim der städtischen Hospitalstiftung. 81 Senioren und Seniorinnen kamen im Schülerwohnheim der Bayerischen Verwaltungsschule unter.
"Von Entwarnung kann aber noch keine Rede sein"
Noch ist das Ausmaß der Schäden, die das Hochwasser in der Region hinterlassen hat, völlig unklar. Besonders getroffen hat es nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse Buttenwiesen, Wertingen, Glött und Peterswörth. Hunderte Keller mussten im Landkreis ausgepumpt werden. Die Scheitelwelle beim Hochwasser an der Donau in Dillingen ist in der Nacht zum Montag erreicht worden. Um Mitternacht lag der Pegel an der Staustufe in Dillingen bei 6,04 Metern. Inzwischen sank er etwas. "Von Entwarnung kann aber noch keine Rede sein", sagt Landratsamts-Pressesprecher Peter Hurler. In der Spitze flossen an der Donau in Dillingen 1220 Kubikmeter Wasser pro Sekunde ab. Das ist eine deutlich höhere Menge als beim Pfingsthochwasser im Mai 1999, als es 1030 Kubikmeter pro Sekunde waren. "Wir hatten dieses Mal ein HQ 50", erläutert Hurler. Vor einem Vierteljahrhundert war es ein Hochwasser gewesen, das statistisch alle 20 Jahre vorkommt.
An der Zusam war der Abfluss heftiger als bei einem Jahrhundert-Hochwasser. Der Pegel an der Messstelle in Pfaffenhofen stieg am Sonntagabend auf vier Meter, 113 Kubikmeter Wasser flossen dort pro Sekunde ab. Das sind die höchsten Werte seit dem Beginn der Aufzeichnungen. "Hier handelt es sich um ein HQ extrem", bestätigt Landratsamts-Pressesprecher Hurler. Dies ist die eineinhalbfache Abflussmenge eines HQ 100, also eines Hochwassers, wie es statistisch einmal in 100 Jahren vorkommt. Der bisherige Höchstwert an der Zusam in Pfaffenhofen stammt vom 14. April 1994 mit einem Pegel von 3,58 Metern und einer Abflussmenge von 74,6 Kubikmetern pro Sekunde. Das viel zitierte Zusam-Hochwasser, das am 29. Mai 1985 zu heftigen Überschwemmungen führte, rangierte bisher auf Rang zwei. Damals erreichte der Pegel in Pfaffenhofen eine Höhe von 3,42 Metern bei einer Abflussmenge von 64,5 Kubikmetern pro Sekunde.
Jetzt kann der Riedstrom zum Problem werden
Die Hochwasser-Lage ist im Landkreis Dillingen weiterhin angespannt. Der Grund: Es wird seit Samstag um 3 Uhr an den Donau-Staustufen in der Region viel Wasser in den Riedstrom ausgeleitet. Ab einer Menge von 750 Kubikmetern pro Sekunde (Staustufen Dillingen, Höchstädt, Schwenningen) beziehungsweise 700 Kubikmetern (Staustufen Gundelfingen und Faimingen) beginnt laut Hurler an den Staustufen im Landkreis Dillingen der gewollte Rückstau. Seit Samstag um 3 Uhr fließe das Wasser über natürliche Mulden ins Donauried. "Wir können noch nicht abschätzen, welche Auswirkungen der Riedstrom haben wird", teilt Hurler mit. Nach der gegenwärtigen Lage werde die Donau auch am Dienstag immer noch ein Hochwasser in der Dimension HQ 10 haben. Dies bedeute, dass in diesem Fall weiter 200 Kubikmeter Wasser pro Sekunde ins Donauried ausgeleitet werden. "Nach der gegenwärtigen Einschätzung kann die Ausleitung frühestens am Mittwoch beendet werden", informiert Hurler. Wenn sich die Lage in der Donau beruhige, könne es beim Riedstrom ein extremes Hochwasser geben. Die Katastrophenschutz-Abteilung am Dillinger Landratsamt arbeite weiter unter Hochdruck, betont Hurler. Zusammen mit dem Wasserwirtschaftsamts werde die Lage im Riedstrom genau überprüft. Weiter stünden 70 Soldaten der Bundeswehr in Bereitschaft.
Am Montag waren alle Donaubrücken – und damit die gesamte Nord-Süd-Verbindung – im Landkreis Dillingen gesperrt. Landrat Markus Müller fuhr von Wertingen aus mit dem Auto über die Günzburger Donaubrücke zur Arbeit ins Dillinger Landratsamt.In der Wertinger Region, der Weisinger Aschbergschule, den Grund- und Mittelschulen in Lauingen und Höchstädt, der Bona-Realschule und dem Bona-Gymnasium in Dillingen und der Grundschule Bächingen fällt der Unterricht am Dienstag aus.