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Landkreis Dillingen: „Dann kam der Krieg“: Von der Flucht aus Syrien in den Landkreis Dillingen

Landkreis Dillingen

„Dann kam der Krieg“: Von der Flucht aus Syrien in den Landkreis Dillingen

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    Einen Monat lang war Khadija Alkhatib mit ihren Kindern unterwegs – auf der Flucht aus Syrien nach Deutschland. Dieses Bild entstand im Jahr 2016 auf der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland.
    Einen Monat lang war Khadija Alkhatib mit ihren Kindern unterwegs – auf der Flucht aus Syrien nach Deutschland. Dieses Bild entstand im Jahr 2016 auf der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland. Foto: Alkhatib

    Khadija Alkhatib hat so viele schreckliche Dinge erlebt, dass sie wohl Tage bräuchte, um alles zu erzählen. „Ich dachte anfangs, ich könnte es einfach vergessen. Ich wollte das hinter mir lassen. Dann tauchte es plötzlich in meinen Träumen auf“, sagt die 34-Jährige heute. Vor ziemlich genau fünf Jahren hat sie ihre Heimat Syrien verlassen, da tobte der Bürgerkrieg bereits fünf Jahre. Sie floh vor dem Terror, der Angst, der Zerstörung, der Armut. Dass sie heute einfach so darüber sprechen kann, ist nicht selbstverständlich. Dennoch tut sie es.

    Ein Jahr lang arbeitete die Grundschullehrerin ohne Lohn, bis sie sich dazu entschied, Syrien zu verlassen. Zu dem Zeitpunkt war ihr Haus bereits zerstört. „Ich hatte einfach keine Kraft mehr“, sagt sie. Die Entscheidung sei von einem Tag auf den anderen gefallen. Und: „Ich habe in Syrien wenig verlassen, aber viel verloren.“ Ihre Heimat Daraa, wo die Proteste gegen den Diktator Baschar al-Assad vor zehn Jahren ihren Anfang nahmen, erkannte sie zu dem Zeitpunkt kaum wieder: Die Stadt lag in Trümmern, die Menschen, sagt sie, seien böser geworden. „Ich habe gemerkt, es geht nicht mehr.“

    Wer kein Vitamin B hat, hat Pech

    Also nahm sie ihre Kinder, verabschiedete sich von ihren Verwandten und machte sich auf die beschwerliche Reise durch von Assads Regime gehaltene Gebiete, solche der Kurden und der Terrormiliz IS über die Türkei nach Griechenland und über die Balkanroute nach Deutschland. „Je nachdem, wo ich war, musste ich mich anders anziehen“, erzählt Alkhatib. Mal – beim IS – musste sie sich verschleiern, mal nicht. Sie erzählt nicht viel über das, was sie erlebt hat. Nur, dass sie mit ihren Kindern einen Monat lang unterwegs war, unter freiem Himmel schlafen musste, einmal in einer Höhle Schutz suchte.

    Alkhatib wollte das beste aus der Situation machen. Schon immer. Noch in Syrien gründete sie ein Projekt für vom Krieg geplagte Kinder – ganz unabhängig von der politischen Einstellung. Die Botschaft war eindeutig: Smile, Lächle, lautete der Name des Projekts.

    Als die Proteste 2011 entflammten, ging auch Alkhatib auf die Straße, hielt sogar öffentlich Reden. Warum sich die Menschen irgendwann gegen den Diktator stellten? Die 34-Jährige erzählt aus eigener Erfahrung: „Ich musste mich immer doppelt bemühen. Nur deshalb hatte ich meine Rechte.“ In Syrien laufe es so: Wer gute Beziehungen hat, wird bevorzugt. Er kann leichter studieren, bekommt bessere Arbeit. Er wird sogar in der Warteschlange beim Amt früher drangenommen als andere. Wer kein „Vitamin B“ hat, hat hingegen Pech.

    Nach Deutschland wollte sie anfangs gar nicht

    Das berichtet auch ihr Bekannter, der hier anonym bleibt. Der 29-Jährige floh 2015 nach Deutschland. Die Ungerechtigkeit im Land sei so groß gewesen, dass das Volk irgendwann auf die Straße gehen musste. „Nur mit Vitamin B hast du was erreicht“, sagt er. Als der Krieg ausbrach, habe er gerade sein Studium beendet, wollte endlich arbeiten, Geld verdienen und sein Leben leben. „Unsere Träume waren nah. Dann kam der Krieg.“

    Zehn Jahre nach Beginn des Konflikts ist die Lage in Syrien vielleicht aussichtsloser denn je. Der Krieg ist allgegenwärtig, das Geld kaum noch etwas wert. Das Volk hungert. „Wenn wir telefonieren, fragen wir nicht mehr, wer gestorben ist oder wie es jemandem geht. Nur, ob sie etwas zu essen haben“, sagt der 29-Jährige. Die beiden sind davon überzeugt: Assad hungert das Volk bewusst aus. „So haben die Menschen keine Zeit, an Freiheit und an ihre Rechte zu denken“, sagt Alkhatib.

    Nach Deutschland habe sie ursprünglich gar nicht gewollt. Ihr Weg sollte die Englischlehrerin in die USA führen. Doch die Gruppe, mit der Alkhatib unterwegs war, wollte nach Deutschland. Also ging sie mit. Dass sie hier auf so viel Hilfe stieß, hätte die 34-Jährige nicht erwartet. Sie habe bei Deutschland meist an Hitler und blondes Haar gedacht, und nicht an die offenen Arme, mit denen sie empfangen wurde. „Ich habe hier nicht nur Bekannte, ich habe eine Familie gefunden.“ Speziell im Landkreis Dillingen, sagen die beiden, seien die Menschen zu 95 Prozent freundlich und hilfsbereit. Das sei nicht überall so. Viele seien gleich nach ihrer Ankunft auf sie zugekommen und hätten Hilfe angeboten. Den 29-jährigen ehemaligen Grundschullehrer macht das besonders glücklich. „Ich hoffe, dass ich irgendwann etwas zurückgeben kann.“

    Im Landkreis Dillingen fanden die beiden eine zweite Heimat

    Ein Thema kommt im Gespräch immer wieder auf. Es liegt den beiden auf dem Herzen: die deutsche Bürokratie. Der Staat verlange regelmäßig Ausweispapiere. Wenn diese abgelaufen sind, müssen Geflüchtete sie bei der syrischen Botschaft beantragen – und dafür bezahlen. „Das Geld geht an Assad. Und der kauft dafür Waffen, um Krieg gegen sein Volk zu führen“, beklagt der 29-Jährige. Zu allem Überfluss könnten dann auch Verwandte, die in Syrien geblieben sind, Probleme kriegen. Selbst Geburtsurkunden von Kindern, die in Deutschland geboren wurden, müssten sie in Syrien beantragen. Alkhatib meint: „Papiere sind hier wichtiger als Menschen.“ Trotzdem seien sie natürlich dankbar, dass Deutschland ihnen Schutz bietet und sie aufgenommen hat.

    Im Landkreis, sagen die beiden, hätten sie eine zweite Heimat gefunden. „Wenn ich mal weg bin und mit dem Zug nach Dillingen zurückkomme, das fühlt sich wie zuhause an“, sagt der 29-Jährige. Ihre erste Heimat werde aber immer Syrien bleiben.

    Wenn der Krieg irgendwann endet, wollen sie zurück, helfen, ihr Land wieder aufzubauen. Die vergangenen zehn Jahre hätten Syrien um mindestens 100 zurückgeworfen. Trotzdem wollen die beiden sich wieder für ihr Land einsetzen. „Ich habe in Deutschland eine neue Sprache gelernt, einen neuen Beruf und viele neue Erfahrungen gemacht“, sagt der 29-Jährige, der heute als Kinderpfleger arbeitet. Wenn sie also heimkehren, dann bereichert. Doch wann das sein wird, weiß niemand.

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