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Landkreis Dillingen: Damit Opa alleine zu Hause bleiben kann

Landkreis Dillingen

Damit Opa alleine zu Hause bleiben kann

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    Ulrike Bindum (links) arbeitet im Rahmen des Projekts „I bleib dahoim“ für das Rote Kreuz. Claudia Fichtner koordiniert das Projekt.
    Ulrike Bindum (links) arbeitet im Rahmen des Projekts „I bleib dahoim“ für das Rote Kreuz. Claudia Fichtner koordiniert das Projekt. Foto: Cordula Homann

    Dieses Haus ist etwas Besonderes und sein Bewohner sowieso. Wir nennen ihn Rudi, weil er unbedingt geduzt werden will, weit über 80 Jahre alt ist, allein lebt, nicht mehr gut hört, nicht mehr gut laufen kann und kein Opfer von Dieben oder Betrügern werden soll. Trotz seiner Handicaps ist Rudi ein Spaßvogel, ein Charmeur, ein Sonnenschein – einer, dem man sein Alter nicht ansieht. „Was nützt mir mein Aussehen?“, sagt der Rentner aus dem Kreis Dillingen. Man könne auch nicht in einen schönen roten Apfel hineinsehen. Es gibt ein paar wenige Tage, da tut sich der Mann, der so viel jünger aussieht, als er ist, schwer mit der guten Laune. Dann hilft ihm sein kunterbuntes Zuhause. Blumen sind Rudis große Leidenschaft. Er färbt sie selbst. Das ganze Haus ist voll davon. Dazwischen Bilder der Verwandtschaft. Und wenn der Rudi auf eine Fernbedienung drückt, springen neben dem Fernseher gleichzeitig dutzende kleine Lichter im Wohnzimmer an. Das hat nichts mit der Jahreszeit zu tun; die Lichterketten an der Decke, in den Zimmerecken und um die Schränke herum hängen immer dort.

    Einkäufe und Arztbesuche sind nicht mehr möglich

    Doch so bunt und leuchtend es ist, so einsam ist es auch. Die Töchter, beide längst erwachsen, wohnen weit weg. Helfen könne sowieso kaum jemand. Das könne man nicht verlangen. Alle haben ihre Arbeit. Rudis größtes Problem: Er kann nicht raus. „Ich kriege so schwer Luft, mit dem Rollator schaffe ich nur ein paar Meter. Eigentlich kann ich nur laufen, wenn ich zwei Hände zum Halten hab.“ Vor allem Treppen sind für den dunkelhaarigen Senior kaum überwindbare Hindernisse geworden. Einen Lift in den ersten Stock seines Hauses will er sich nicht leisten. Rudi schaut aufs Geld. 1000 Euro Rente hat er, und die müsse immer bis zum Monatsende reichen. Schuldenmachen, das geht gar nicht.

    Früher war der Senior regelmäßig auf dem Friedhof und am liebsten auch Sonntag im Gottesdienst. Damit ist es vorbei. Rudi leidet fürchterlich darunter. Auch Einkäufe, Apotheken- oder Arztbesuche kann der Rentner nicht allein wahrnehmen. Aber dafür gibt es jetzt Ulrike Bindum aus Dillingen. Kommt sie zur Tür rein, geht in Rudis Gesicht die Sonne auf. Die beiden duzen sich vom ersten Tag an, darauf legt der Senior großen Wert. So kann er noch mehr Späße machen. Bindum lacht fröhlich mit, gibt aber auch durchaus ein Kontra, wenn der Rentner übers Ziel hinausschießt. Ein- bis zweimal pro Woche schaut sie bei ihm vorbei. Dann gehen die beiden einkaufen, zur Bank, oder sie hilft ihm im Haushalt.

    15 Frauen betreuen 80 Menschen in Dillingen

    Der Besuch wird von der Pflegekasse bezahlt. 15 Frauen sind für das Rote Kreuz in Dillingen im Einsatz. Sie betreuen 80 Menschen. Schulungen über „Hauswirtschaftliche Dienstleistungen“ finden nach Bedarf statt. Zu den Inhalten gehört laut Claudia Fichtner, die das Projekt mit dem Namen „I bleib dahoim“ koordiniert, etwa Hauswirtschaft, Demenzhilfe, Arbeitssicherheit oder Hygiene. Das Ziel sei, ältere, hilfe- oder pflegebedürftige, behinderte oder psychisch kranke Menschen in ihrer selbstbestimmten und selbstständigen Lebensführung zu unterstützen.

    Vor allem für Frauen sei die Aufgabe ideal, weil sie sich um die Familie kümmern können und die Hilfe als Teil- oder Nebenjob erledigen können. Außerdem seien die meisten Patienten sehr flexibel bei der Terminabsprache, die individuell mit dem jeweiligen Helfer stattfindet. Fichtner übernimmt bei neuen Patienten immer den Erstbesuch, um herauszufinden, welche Helferin am besten passt. Wenn es nicht klappt, endet das Angebot auch wieder, betont Fichtner. Eine Helferin litt so sehr mit den Menschen, die sie besuchte, mit, dass sie aufhörte. Die Nachfrage nach Helfern sei groß – zehn Menschen stehen auf der Warteliste und hoffen auf eine Unterstützung. Aber ein Putzdienst sei das Angebot nicht, darauf achtet Fichtner. „Es ist eine Unterstützung im Haushalt – mehr nicht.“

    Ulrike Bindum hat erst im August die 40-Stunden-Schulung absolviert, besucht aber inzwischen noch sechs weitere Senioren, weil ihr der 450-Euro-Job so viel Spaß macht. In der Zeitung las sie von der Schulung und hatte sich spontan überlegt, daran teilzunehmen. Sie betreut Menschen in Dillingen, Lauingen, Gundelfingen, Holzheim, Weisingen und würde noch weiter fahren, wenn es nötig wäre. Auch, wenn sie die Schicksale der Menschen, die auf sie warten, teils sehr berühren. „Man muss schon abschalten können. Für Sensible ist das nichts.“ Und „Nein-sagen“ gehört auch dazu. Bindum weiß, wie gern Rudi am Sonntag in den Gottesdienst gehen würde. Aber da arbeitet sie eben nicht. Putzen muss die Helferin selten. „Ich würde staubsaugen oder so, bei Bedarf, doch bei den meisten ist es sehr, sehr sauber. Da bringe ich Hausschuhe mit, weil es so blitzblank ist, dass man nicht mit den Straßenschuhen hineingehen möchte.“ Auch Rudi ist es wichtig, dass der Haushalt in Ordnung ist. „Was ich hier zu Hause machen kann, das erledige ich selbst. Ohne Arbeit würde ich schneller krank“, sagt er stolz. Und das sieht man auch. So groß das knallbunte Chaos ist, schmutzig ist es nicht. „Den meisten ist es wichtig, dass überhaupt jemand kommt und sie besucht. Das ist wichtiger als putzen“, weiß Claudia Fichtner.

    Manchmal brauchen die Menschen jemanden, der zuhört

    Ulrike Bindum hat inzwischen ein Gespür dafür, wenn ihre Gastgeber einen schlechten Tag haben. Dann muss sie nicht zum Staubsauger greifen, sondern soll sich dazusetzen und zuhören.

    Zu Rudi kommt ansonsten nur einmal pro Woche die Sozialstation und sortiert die Medikamente. Das ist dem Rentner bei der Anzahl der Tabletten inzwischen zu heikel. Jetzt reicht er Kokosmakronen herum, die er selbst gebacken hat. Nächtelang hat er versucht, sich an das Rezept zu erinnern. Dann, als er endlich alle Zutaten wieder im Kopf hatte, ist er mit Ulrike Bindum zum Einkaufen gefahren und hat danach gebacken. Pappsüß sind die Plätzchen, aber Rudi ist selig, dass ihm das Rezept wieder eingefallen ist. Er will immer freundlich sein, sagt er, dann sei doch alles viel schöner. „Ein unrechtes Wort kann alles kaputt machen.“ So sitzt er in seinem hohen Lehnstuhl, mit dem elektrischen Wärmekissen im Rücken, verteilt Kokosmakronen und alte Witze und strahlt über das ganze Gesicht: Er hat Besuch, das macht ihn glücklich.

    Hier finden Sie dazu einen Kommentar: Wir brauchen mehr Einsatz für Einsame

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