Etwa tausend Patienten und Patientinnen im Landkreis Dillingens suchen verzweifelt eine andere Hausarztpraxis. Nach dem überraschenden Tod der Medizinerin Cleopatra Schreiber in Syrgenstein Ende November ist nun unklar, wie es weitergeht. Die Ärztin hatte zuvor Patienten und Patientinnen von Dr. Sigurd Mackenrodt, der im April mit 79 Jahren gestorben war, übernommen. Aktuell gibt es in der Region Bachtal im Kreis Dillingen nur noch einen einzigen Mediziner für 6800 Einwohner und Einwohnerinnen.
Landkreis Dillingen: Nur noch ein Hausarzt im Bachtal
Dieser verbliebene Hausarzt ist Dr. Hermann Keis, bei dem die Telefone in der Praxis kaum aufhören zu klingeln und vor der Tür sich die wartenden Menschen sammeln. Der 63-Jährige erklärt: „Der Hausarztnotstand ist im Bachtal schon längst eingetreten.“ Seine Praxis könne niemanden mehr aufnehmen, seit zwei Monaten gelte schon ein Aufnahmestopp.
In Notfällen, bei dringend benötigten Medikamenten oder akuten Beschwerden, finden Menschen ohne Hausarzt aber Hilfe bei dem Mediziner Keis sowie bei seinen Kollegen und Kolleginnen. Dazu gehören in Haunsheim Werner Neher, in Wittislingen die Praxis von Dr. Dietlinde Wiesmiller und Dr. Wolfgang Fink sowie die Drs. Georg und Andrea Kügel. Die Personen, die dringend einen Termin brauchen, werden zwar behandelt, aber nicht in die Praxis aufgenommen.
Denn die Tage von Hausarzt Keis sind schon so länger als sonst: Die Erkältungswelle, die Covid-19-Impfungen und die Corona-Tests sorgen für zusätzliche Arbeit. Das führt zu schwierigen Situationen: „Diese Woche hat beispielsweise eine Frau nach einem Hausbesuch bei ihrer Mutter im Heim gefragt – das musste ich ausschlagen.“
Hausarztmangel: Sozialstation im Kreis Dillingen steht vor Problem
Der Mangel an Hausarztpraxen lässt auch die Leiterin der größten Sozialstation im Landkreis Dillingen verzweifeln. „Wir sind aktuell komplett machtlos“, klagt Nicole Ströbele, die mit ihrem Team hundert Patienten und Patientinnen im Bachtal und Egautal zu Hause versorgt. Durch den Tod der zwei Mediziner im Bachtal gibt es nun keinen Hausarzt, der die benötigten Rezepte für medizinische Behandlungen ausstellt. Doch ohne die Rezepte, darf die Sozialstation ihre Patienten und Patientinnen nicht medizinisch versorgen, wie etwa Medikamente verabreichen, Thrombosestrümpfe anziehen oder Verbände anlegen.
Die Leiterin der Sozialstation sagt: „Kein Hausarzt kann unsere Patienten und Patientinnen aufnehmen. Aktuell wissen wir nicht, was wir ab dem 1. Januar 2022 machen sollen.“
Nach Tod von zwei Hausärzten verkleinert sich eine weitere Praxis
Dieses Problem verschärft sich dadurch, dass die Praxis von Georg und Andrea Kügel, die aktuell auch im Notfall Personen von der verstorbenen Ärztin Schreiber behandeln, ab Januar 2022 ihren Patientenstamm verkleinert. Die Sozialstation-Leiterin Ströbele berichtet, dass nur noch Personen, die bereits in der Praxis sind und in Wittislingen leben, dort behandelt werden. Das bedeute, dass auch Patienten und Patientinnen wie die von der Sozialstation, die nicht vor Ort wohnen, einen neuen Arzt brauchen.
Die Ärzte in der Praxis selbst möchten sich auf Anfrage der Redaktion nicht zu den Gründen dafür äußern. In der Telefonansage der Praxis heißt es, dass es aus „praxisorientierten Gründen“ und „hausärztlichen Rahmenbedingungen“ weniger Behandlungsplätze geben wird.
Wie viele Patienten und Patientinnen in der Sozialstation von dem Hausarzt-Problem betroffen sind, ist aktuell unklar. Ströbele schätzt etwa 25 Personen. Viele der älteren Personen seien nicht mehr mobil, ob mit dem Auto oder zu Fuß. Sie brauchen eine Hausarztpraxis, zu der sie selbst laufen könnten oder die Hausbesuche mache.
Ältere Patienten zu Hause suchen verzweifelt nach Hausarztpraxis
So geht es auch dem Vater der Sozialstation-Leiterin Ströbele. Der ältere Mann leidet unter einer Blutverdünnung, sodass ihm regelmäßig Blut abgenommen werden muss und er Medikamente braucht. „Aber keine Hausarztpraxis kann ihn aufnehmen. Die Situation wird lebensbedrohlich“, sagt Ströbele. Zur Ärztin Schreiber konnte er noch laufen, oder die Arzthelferinnen besuchten ihn zu Hause. Er sei nicht fit genug, um beim Arzt oder in der Ambulanz lange zu warten. Ein Patient, den auch der verbliebene Hausarzt Keis nicht aufnehmen kann.
Er findet zu der Lage der Ärzte im Bachtal deutliche Worte: „Es ist eine Katastrophe. Eine Lösung kann nur die Kassenärztliche Vereinigung, die für die ärztliche Versorgung zuständig ist, finden.“ Die anderen Hausärzte könnten nicht alle Patienten und Patientinnen einfach aufnehmen. Die Stelle müsse langfristig oder zumindest übergangsmäßig durch eine Vertretung besetzt werden.
Gibt es bald wieder genügend Hausärzte im Landkreis Dillingen?
Die Bürgermeisterin in Syrgenstein, Mirjam Steiner, steht derzeit im Austausch mit der Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB). Die Rathauschefin berichtet: „Aktuell führen wir Gespräche mit zwei potenziellen Nachfolgern.“ Bis dahin könne es auch eine ärztliche Vertretung ab dem ersten oder zweiten Quartal 2022 geben. Doch sicher sei bisher noch nichts.
Der Pressesprecher der KVB, Axel Heise, sagt zur Forderung des Bachtaler Arztes Keis: „Unsere Aufgabe ist es zwar, die ärztliche Versorgung sicherzustellen, aber das können wir nicht allein, sondern das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“ Dazu gehöre es, mehr Studienplätze anzubieten, den Nachwuchs zu fördern, aber auch als Kommune vor Ort Praxisräume zu schaffen und Plätze für die Kinderbetreuung bereitzustellen.
Deutschlandweit mangelt es an Hausärzten und Hausärztinnen
Der Mangel an Hausärzten und Hausärztinnen im Bachtal ist ein Phänomen, das bereits deutschlandweit auftritt. Vor allem ländliche Regionen haben mit dem Hausärzteschwund zu kämpfen. „Es findet ein struktureller Wandel in der bayerischen Ärzteschaft statt“, sagt der KVB-Sprecher. Die neue Generation an Medizinern arbeite vermehrt angestellt und in Teilzeit. Für einen Arzt braucht es künftig möglicherweise zwei Ärzte in Teilzeit.
Weil es keine Nachfolge gibt, arbeiten also viele Hausärzte weiter aus Fürsorge für die Patienten und Patientinnen bis ins hohe Alter. Im Landkreis Dillingen sind bereits sieben Ärzte über 70 Jahre alt. Der Mediziner Keis findet, dass das keine Lösung ist. Er glaubt, dass sich die Situation in der Zukunft noch verschärfen wird: „Der Notstand von Hausärzten und Hausärztinnen im Bachtal ist nur ein Vorbote für den Kreis Dillingen.“
Personen ohne Hausarztpraxis können Terminservice 116117 anrufen
Doch was können Menschen, die einen Arzttermin brauchen, nun machen? Der Patientenservice vermittelt telefonisch unter 116117 Termine innerhalb einer Woche bei Hausärzten. Es wird darauf geachtet, einen Termin möglichst in der Nähe der Anrufenden zu vermitteln, aber man kann sich weder ein Arzt noch ein Ort wünschen.