Wie ist die Lage bei den Ausgleichsflächen im Landkreis Dillingen?
DIETER LEIPPERT: Auf jeden Fall unübersichtlich. Es gibt zwar den Bayern-Atlas und andere Portale, bei denen sich jeder anzeigen lassen kann, wo sich offiziell Ausgleichsflächen befinden. Wenn man das dann überprüft, wird man ganz viele Beispiele von Ausgleichsflächen finden, die es gar nicht gibt. Und wenn man dann nachfragt, kriegt man Antworten wie "Das ist nicht mehr relevant", "gar nicht fällig" oder "schon umgesetzt". Wenn man ehrlich ist, kann man gar nicht richtig recherchieren, ob die Ausgleichsfläche tatsächlich umgesetzt worden ist oder nicht. Das hat schon System.
Können Sie sagen, wie viele der geplanten Ausgleichsflächen im Landkreis tatsächlich geschaffen werden?
LEIPPERT: Nein. Das Problem ist nicht nur, dass Flächen nicht angelegt werden. Ein Beispiel: Für ein Baugebiet wird woanders ein Heckenzug angelegt. Die Hecke wird mittlerweile meistens gepflanzt, aber wie jeder Gartenbesitzer weiß, muss ich mich darum kümmern, sonst geht sie kaputt. Im Landkreis Dillingen wird man reihenweise Fälle finden, wo Pflanzungen nicht gepflegt worden sind. Obwohl das in den Bebauungsplänen explizit drinsteht.
Wer hat Schuld an dieser Lage?
LEIPPERT: In der Pflicht ist eigentlich der Gesetzgeber. Er müsste zum Beispiel genau festlegen, bis wann eine Ausgleichsmaßnahme realisiert werden muss. Ich finde: Naturschutz- und Ausgleichsmaßnahmen sollten frühzeitig realisiert werden – eigentlich schon, wenn der Eingriff erfolgt. Wenn ich zum Beispiel eine Hecke entferne und Vögeln ihren Brutplatz wegnehme, eine neue Hecke aber erst in zehn Jahren anpflanze: Wo sollen die Vögel dann in der Zwischenzeit hingehen? Das Problem ist, dass es keine echte Definition gibt, wann die Erschließung eines Baugebiets eigentlich abgeschlossen ist. Darauf stützen sich dann manche Bürgermeister, wenn man nachfragt. Solange Baugebiete nämlich nicht abgeschlossen sind, müssen Grünordnungspläne nicht umgesetzt werden. Die Gemeinden sagen dann einfach: Der letzte Feinbelag ist noch nicht umgesetzt oder das letzte Haus ist noch nicht gebaut.
Wer könnte daran etwas ändern?
LEIPPERT: Das Naturschutzgesetz kommt vom Bund, ist aber eigentlich nur eine Richtlinienvorgabe. Details regeln die Naturschutzgesetze der Länder. Bayern könnte zudem eine Anordnung an die Behörden geben und sagen: Ausgleichsmaßnahmen müssen innerhalb einer bestimmten Frist umgesetzt werden oder sogar bevor der eigentliche Eingriff geschieht. Man könnte aber auch an den Verstand der Bürgermeister, Gemeinde- und Stadträte appellieren. Die haben ja auch Kinder und Enkelkinder.
Warum sind Ausgleichsflächen denn so wichtig?
LEIPPERT: Das Naturschutzgesetz hat nicht das Ziel, irgendwelche Planungen zu verhindern. Schäden, die durch Baumaßnahmen oder andere Eingriffe in die Natur entstehen, sollen durch Ausgleichsmaßnahmen zumindest kompensiert werden. Es ist also der Versuch, Wunden in der Natur möglichst zu heilen, wobei aber immer Narben zurückbleiben.
Was macht der Bund Naturschutz?
LEIPPERT: Wir möchten dem Problem jetzt mehr nachgehen. Die Ortsgruppen werden in Zukunft vermehrt nachhaken, wenn sie feststellen, dass etwas nicht richtig umgesetzt wird. Wenn Bürgerinnen oder Bürger irgendwo das Gefühl haben "da stimmt was nicht", dann kommen wir vom Bund Naturschutz vorbei und schauen uns das an. Wir sind für jeden Hinweis dankbar. Eigentlich wäre die Untere Naturschutzbehörde (UNB) dafür zuständig, dass der Naturschutz eingehalten wird. Wenn Gemeinden ihre Ausgleichsmaßnahmen nicht umsetzen, muss die UNB tätig werden und ein Bußgeld verhängen. Das wäre die richtige Vorgehensweise.
Eine Vorgehensweise, die auch funktioniert?
LEIPPERT: Nö, funktioniert gar nicht.
Zur Person
Dieter Leippert ist bei der Kreisgruppe des Bund Naturschutzes (BUND) ehrenamtlicher Referent für Eingriffsplanung und Artenschutz. Der 59-Jährige ist Biologe und lebt in Blindheim.