Liebe Leser und Leserinnen,
Bürgermeister und Stadträte, Bundeswehr, Vertreter von VdK, Lokalprominenz und Vertreter der Geistlichkeit – am Sonntag werden sie sich wieder an den Gedenkorten für die Gefallenen des 1. und 2. Weltkrieges versammeln. Am Volkstrauertag wird aber schon lange nicht mehr ausschließlich der vor über 79 Jahren gefallenen Soldaten gedacht. Spätestens seit den 70er und 80er Jahren wird an alle Opfer der Weltkriege und der NS-Ideologie erinnert und in den vergangenen Jahrzehnten rückten Opfer aktueller Kriege und Gewalt in den Mittelpunkt. So wird dieses Jahr abermals der Opfer in der Ukraine, Palästina und Israel gedacht.
Schon wieder? Haben wir uns nicht schon längst an die Schreckens-Bilder gewöhnt, hat sich nicht schon Resignation breitgemacht? Es gäbe ja noch andere Gefühle, die auf den Eindruck brutaler Gewalt folgen können. Wäre Wut auf die Täter nicht naheliegend, wie wir sie durchaus auf so mancher Demo erleben? Nicht unbekannt ist auch die Angst, auch uns könnten die Konflikte erreichen. Doch für diesen Sonntag ist staatlicherseits weder Wut noch Angst noch Resignation, sondern Trauer angeordnet. Erstmals wurde ein solcher Trauertag in der Weimarer Republik in der Passionszeit gestiftet. Die Verluste des Weltkrieges mussten verarbeitet werden.
Erst in der Bundesrepublik hat man sich wieder am kirchlichen Kalender orientiert
Die Nationalsozialisten konnten einige Jahre danach mit Trauer nichts anfangen. Sie gestalteten den Volkstrauertag zum Heldengedenktag im Jahreskalender um, wollte man doch zu kriegerischem Heldentum motivieren. Erst in der BRD hat man den Feiertag wieder am kirchlichen Kalender orientiert und so steht der Volkstrauertag neben einem anderen Feiertag, der einmal staatlicherseits veranlasst wurde, dem Buß- und Bettag (dieses Jahr der 21. November).
Nun lässt sich heute berechtigt fragen, weshalb es dem Staat ein Anliegen war, dass Menschen Trauer üben, Buße tun und beten. Gemeinsames Gedenken in Trauer, gemeinsame Vorsätze zur Besserung und Besinnung pflegen in besonderem Maße den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Moralische Homogenität ist eine Voraussetzung für den „freiheitlichen, säkularisierten Staat“, „die er aber selbst nicht garantieren kann.“ (siehe Staats- und Verwaltungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde)
Ob die damals angeordneten Feiertage (säkular oder religiös) in unserem freiheitlichen Staat noch ihre einigende Wirkung entfalten können, ist zu hinterfragen. Sicher ist, im Kleinen geschieht das: Dann, wenn sich am Abendmahlstisch die kleine und heterogene Schar die Hände reicht. Aber auch bei der nicht viel größeren Menschengruppe in Wintermänteln dort am Kriegerdenkmal, das ein Mahnmal geworden ist. Dort, wo der Stadtrat seinem politischen Gegner auf die Schulter klopft und sich für seine rührenden Worte bedankt.
Ihr Pfarrer Wolfram Andreas Schrimpf, Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Höchstädt
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