„Warum ich? Warum muss mir das passieren?“ Diese Fragen hat sich Kimberly Dorner aus Heidenheim ebenso gestellt wie sicher zahlreiche andere Mütter, deren Kind noch im Mutterleib gestorben ist. Als Sternenkinder werden die vor, während oder kurz nach der Geburt gestorbenen Babys auf poetisch anmutende Weise bezeichnet. Fast vier Jahre ist es jetzt her, dass die Heidenheimerin ihre Mia wegen eines zuvor nicht feststellbaren Knotens in der Nabelschnur nur eine Woche vor dem Geburtstermin verlor. Auf die Welt bringen musste sie das kleine Mädchen trotzdem, denn eine konventionelle Geburt wird auch in diesem Fall empfohlen. Und die heute 30-Jährige wollte das auch, denn es bot ihr nach der langen Schwangerschaft eine Möglichkeit, selbst aktiv zu sein und einen emotionalen Abschluss in der Beziehung zu ihrem Baby zu haben. Den seelischen Schmerz und die Trauer hat ihr das aber natürlich nicht genommen.
Mit solch einem tragischen Ereignis zurechtzukommen, ist für die Eltern der Sternenkinder ein schwer zu bewältigendes Problem. Kimberly Dorner führte in ihrem Leid Gespräche mit der Hebamme und ihren Freunden. „Es war schrecklich, wenn ich allein war“, erzählt sie. Aber auch für eine Partnerschaft bedeutet das Erlebte eine schwere Belastungsprobe: „Wenn es nicht auseinandergeht, schweißt es einen zusammen. Das Reden mit dem Partner ist das Wichtigste.“ Die junge Frau heiratete nach dem Todesfall ihren Partner. Und dennoch fehlte ihr noch eine andere Form der Trauerbewältigung, denn Verständnis findet man in erster Linie bei anderen Betroffenen.
Für jedes verstorbene Kind wird eine Kerze entzündet
Seit Oktober 2023 ist das anders. Die gelernte Krankenschwester Sabine Neher aus Demmingen hat sich nach über 30-jähriger Tätigkeit in Kliniken selbstständig gemacht im Bereich palliative Betreuung und ganzheitliche Traumaarbeit. Bei ihrer Fortbildung dazu stellte sie fest, dass es für Sterneneltern in der Region kein unterstützendes Angebot gibt. So reifte ihr Entschluss, daran etwas zu ändern. Sie bemühte sich darum, einen Raum für die Begegnung der Eltern von Sternenkindern zum Austausch und Gespräch zu finden. Mit Flyern, über die sozialen Medien und Hinweise in der Zeitung machte die 53-Jährige darauf aufmerksam. Mittlerweile gibt es nahezu monatlich an einem Mittwochabend ab 19 Uhr das Treffen einer Selbsthilfegruppe in der Dischinger Arche. Zwischen zwei und sechs Frauen, bislang aber nur ein Vater, kämen hier zusammen. Es dürften aber gern mehr werden. „Wir sind offen für alle“, sagt Kimberly Dorner. Und Sabine Neher ergänzt lachend: „Und vor allem für mehr Papas.“ Wer kommt, müsse nicht erzählen, sondern könne auch nur zuhören.
Die Teilnehmenden sitzen um einen runden Tisch und berichten nach einem von Neher gegebenen Impuls von ihrer Situation, ihren Gefühlen, Problemen und Erlebnissen. Für jedes verstorbene Kind zünden die anwesenden Eltern eine Kerze an, die während des Treffens brennt. Die Atmosphäre habe ihre bedrückenden Momente, aber auch ihre heiteren. „Und es wird auch oft gelacht“, so Neher. Das Ziel ist Hilfe zur Selbsthilfe durch verständnisvollen Austausch. Es seien dabei auch schon Freundschaften entstanden.
„Wir müssen keine Tränen verstecken und können auch die Wut zeigen. Nicht von einem solchen Ereignis Betroffene verstehen die Gefühle nicht so“, erklärt Kimberly Dorner. Der beliebteste Satz anderer Menschen sei: Jetzt ist wieder gut, oder? „Es ist aber nicht wieder gut.“
Alles war, wie wenn das Kind da wäre. Nur, dass es nicht da war.
Vanessa Gabelundefined
Die 27-jährige Vanessa Gabel aus Hermaringen hatte schon vor dem 29. November 2022 zwei Kinder aus erster Ehe. An diesem Tag aber brachte sie in der 31. Schwangerschaftswoche ihr drittes Kind zur Welt, von dem sie seit dem Tag zuvor wusste, dass es aus unbekannten Gründen nicht mehr lebt. „Ich habe es noch genossen, dass ich mich von meinem Baby verabschieden konnte“, schildert sie. In der Klinik Heidenheim hätten sie einen Schnellhefter mit Hilfsangeboten bekommen, doch das sei alles weit entfernt gewesen, sagt ihr Verlobter Robin Baier.
Wut, Trauer, Überforderung, Stille – alles ist in dieser Zeit zusammengekommen. Das Wochenbett habe sie trotz allem zu Hause haben müssen, ebenso die Nachsorge der Hebamme, erinnert sich Vanessa Gabel. „Alles war, wie wenn das Kind da wäre. Nur, dass es nicht da war.“ Und der Alltag mit den anderen Kindern musste ja weitergehen.
Für viele Frauen ist die Gruppe eine Riesenhilfe
Die 27-Jährige ist froh, dass das Angebot von Sabine Neher in der Dischinger Arche existiert: „Ich hätte mir gewünscht, dass es sowas schon damals gegeben hätte. Die Teilnehmenden erfahren Trost, Verständnis und Geborgenheit bei den Gesprächen. Sie zeigen einem den richtigen Weg.“ Und weiter: „Wir wollen, dass das Thema nicht mehr totgeschwiegen wird, sondern dass man merkt, dass man nicht allein ist.“ Es gebe Menschen, die denken, dass eine Frau minderwertig ist, weil sie ein totes Kind auf die Welt bringt, sagt Robin Baier bedauernd. „Für diese Frauen kann die Gruppe eine Riesenhilfe sein, weil sie unter professioneller Begleitung mit anderen Müttern sprechen können.“
Beide Betroffenen aus Heidenheim und Hermaringen haben ihre gestorbenen Kinder beerdigt. Und auch bei den Treffen gehe es mit darum, „dass unsere Kinder für uns selber nicht in Vergessenheit geraten“, meint Vanessa Gabel.
Gedacht ist die kostenlose Selbsthilfegruppe für Sterneneltern aus dem Raum Heidenheim, Dillingen, Nördlingen und Günzburg, doch auch Betroffene aus anderen Orten sind willkommen. Wer mehr erfahren will, kann Kontakt zu Sabine Neher aufnehmen unter www.wegbegleiterinauf-zeit.de oder Telefon 0151/10758454.
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