Aufgeregt sitzen die Buben und Mädchen vor Susanne Ortler auf dem Boden. Die Kinder haben es sich auf den Kissen in der Kuschelecke im ersten Stock bequem gemacht und schauen gespannt, was ihnen das Kasperle aus dem Buch vorliest. Susanne Ortler blättert die Seiten des großen Buches um und lässt die Puppe sprechen.
Die Lutzingerin strahlt, die Kinder ohnehin. Es sind Momente wie diese, warum Susanne Ortler diesen Beruf gewählt hat. Wenn die Leiterin des Kneipp-Kindergartens in Deisenhofen von ihrer Arbeit erzählt, merkt man rasch: Für sie ist es längst nicht nur Arbeit. Vielmehr eine Berufung. "Für mich ist mein Job eine reine Herzensangelegenheit. Dienst nach Vorschrift geht nicht. Die Liebe zu den Menschen, zu den Kindern, ist es, die mich antreibt", sagt sie und lächelt. Und die Tatsache, dass es ein lebenslanges Lernen sei. Trotzdem freut sie sich nun auf eine neue Zeit.
Eine städtische Einrichtung von Höchstädt
Bald beginnt ihre Altersteilzeit, die 61-Jährige gibt die Leitung nach 30 Jahren ab. Ihre Nachfolgerin steht bereits fest. Eva Gerold übernimmt ab 1. Februar, seit September ist die Wittislingerin bereits in der Einrichtung mit dabei – ganz zur Erleichterung von Susanne Ortler. „So kann sie sich einarbeiten und ich alles gut übergeben. Das ist mir ganz wichtig“, sagt sie. Denn für die 61-Jährige ist die Einrichtung im Höchstädter Stadtteil so viel mehr. Es ist ihr zweites Zuhause, sie kennt jeden Zentimeter in und um das Gebäude. Denn nicht nur, dass vor genau 30 Jahren Susanne Ortler die Leitung übernommen hat. Mit ihr ist der Kindergarten eröffnet worden, vorher gab es keinen in Deisenhofen. Dieses Jubiläum wird am Sonntag, 1. Oktober, groß gefeiert – und es ist vermutlich das letzte, große Fest, das sie als Leiterin organisiert. Ein erster Abschied. „Irgendwann ist es so weit, ich gehe definitiv mit einem lachenden, aber auch einem weinenden Auge. Für mich ist das hier in Deisenhofen meine Kindergarten-Familie.“
Susanne Ortler ist als Einzelkind in Höchstädt aufgewachsen, vielleicht sei das ein Grund gewesen, warum sie von klein an immer schon gerne mit Kindern zusammen gewesen sei. 1979 machte sie die Ausbildung an der Dillinger Fachakademie und absolvierte ihre praktische Zeit in einer Einrichtung in Koblenz und bei Don Bosco in Höchstädt. Nach ihrer Ausbildung blieb sie direkt zehn Jahre in der heimischen Einrichtung, ehe sie dann die Leitung in Deisenhofen übernahm – aber nicht einfach so. „Ich hatte das große Glück, dass der damalige Bürgermeister Gerhard Kornmann mich sehr viel hat machen lassen“, sagt sie. Denn das, was in der ehemaligen Schule geplant gewesen sei, „habe ich erst mal umgeschmissen, weil ich unbedingt eine zweite Ebene wollte“, sagt sie lachend. Und mit viel persönlichem Einsatz, aber vor allem der großen Unterstützung der Eltern im Ort, ist der erste Kindergarten in Deisenhofen gebaut worden. Von Tag eins an sei eine sehr innige Bindung mit dem Stadtteil entstanden, die bis heute hält. „Ohne die engagierten Eltern in all den Jahren wäre vieles nicht entstanden, jeder hilft jedem und die sozialen Kontakte stimmen“, schwärmt sie. Die Lutzingerin sei eng mit dem Ort verbunden, sie kenne vermutlich jede Familie in Deisenhofen. Mittlerweile kommen schon die Kinder ihrer ehemaligen Schützlinge zu ihr in die Einrichtung. „Quasi meine Enkelkinder“, sagt Ortler.
Die Lehren von Sebastian Kneipp
Im Treppenaufgang im Kindergarten hängen Bilder aller Gruppen der letzten 30 Jahre. Die Einrichtung in Deisenhofen ist seit jeher eingruppig. „Die Eltern suchen sich oft auf den alten Fotos und schwelgen in Erinnerungen.“ Auch bei der Jubiläumsfeier am Sonntag will Susanne Ortler an Meilensteine des Kindergartens erinnern. Auch an ihre ganz eigenen. Es sind viele, besonders markant sind aber vor allem die Umbauprojekte, die gemeinsam mit dem Menschen in Ort entstanden sind. Sie zählt beispielhaft die Umnutzung der ehemaligen Wohnung in den 90er-Jahren auf – verbunden mit der Außengestaltung des Gartens, dem Multifunktionsplatz, dem Wohlfühlpfad oder dem neuen Hofpflaster.
Aber auch die Zertifizierung zum Kneipp-Kindergarten ist bis heute ein Höhepunkt. Seit 2013 lehrt Susanne Ortler mit ihrem Team die Lehren von Kneipp. Im Garten sind die fünf Säulen sichtbar, in der ganzen Einrichtung zieht sich Kneipp durch – zehn Jahre schon, noch ein Grund, um am Sonntag zu feiern. Ortler erklärt: „Mir war es wichtig, dass ich den Kindern etwas Bodenständiges fürs Leben mitgebe. So bin ich zufällig auf Kneipp gestoßen.“
Manchmal gibt es kein Spielzeug in Deisenhofen
Gemeinsam mit ihrem Team hat die Leiterin vor rund 15 Jahren noch eine Besonderheit eingeführt. Regelmäßig gibt es für mehrere Monate eine spielzeugfreie Zeit im Kindergarten. Die Erfahrungen, die die Buben und Mädchen dabei machen, seien so wertvoll und enorm, dass bis heute an diesem Konzept festgehalten werde. Auch, wenn sich vieles verändert habe. Startete Susanne Ortler nach ihrer Ausbildung etwa mit einer Halbtagesstelle, „weil es zu viele Erzieher und kaum Bedarf gab“, so sei man heute froh über jeden oder jede, die den Beruf erlernen wolle. Auch die Arbeit mit den Kindern habe sich mit den Jahren verändert, sagt die 61-Jährige. So würde es heute vielen schwerfallen, sich selbst zu beschäftigen. „Ich war und bin immer offen für etwas Neues. Aber man muss auch nicht gleich immer auf jeden Zug aufspringen“, sagt die Leiterin.
Eines habe sich aber nie geändert: „Für mein Team und mich stand immer die Pädagogik, sprich das Kind, im Mittelpunkt.“ Apropos Team: Susanne Ortler betont mehrfach, wie dankbar sie sei, dass sie immer tolle Mitarbeiter hatte, es bis heute harmonisch sei. Vor allem Petra Harlacher-Dietz sei für sie eine große Stütze – auch sie ist seit 30 Jahren als Kinderpflegerin in Deisenhofen aktiv. „Sie darf aber noch ein wenig arbeiten“, sagt Ortler lachend.
Irgendwann Ende Januar ist für sie aber Schluss. Die zwei Töchter, die vier Enkelkinder, der Mann, ihre Mama und der Garten würden schon warten. Auch wolle sie wieder mehr Zeit in ihren Ehrenämtern investieren. „Und der Gesundheit merkt man 40 Jahre Kindergarten auch an“, sagt sie. Knie- und Rückenprobleme etwa. „Ich freue mich, auch wenn mir der Abschied in der Seele wehtut.“
Info: Der Kneipp-Kindergarten Deisenhofen feiert am Sonntag, 1. Oktober, sein 30-jähriges Bestehen. Beginn ist um 14 Uhr mit einem ökumenischen Gottesdienst in der St.-Nikolauskirche, gegen 14.45 Uhr singen die Kinder, es gibt Grußworte sowie Kaffee und Kuchen. Das Rahmenprogramm findet direkt nebenan im Schützenheim statt. Von 15.30 bis 18 Uhr kann der Kindergarten beim Tag der offenen Tür besichtigt werden.