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Bissingen-Hochstein: Polizei nimmt Reichsbürger fest: Das steckt hinter dem SEK-Einsatz

Bissingen-Hochstein

Polizei nimmt Reichsbürger fest: Das steckt hinter dem SEK-Einsatz

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    Im Bissinger Ortsteil Hochstein waren am Mittwochabend Spezialkräfte der Polizei unterwegs, um einen Reichsbürger festzunehmen.
    Im Bissinger Ortsteil Hochstein waren am Mittwochabend Spezialkräfte der Polizei unterwegs, um einen Reichsbürger festzunehmen. Foto: Markus Brandhuber

    Auf einmal war alles hell und alles blau. Polizeiwagen fluten den kleinen Ort Hochstein, riegeln die Zufahrtsstraßen ab. So ist es von verschiedenen Seiten am Donnerstag zu hören. Am Mittwoch (22. Februar) wird der kleine Ortsteil von Bissingen mit seinen 200 Einwohnern zu einem Schauplatz, wie man ihn sonst nur aus dem Fernsehen kennt. Ein ganzer Konvoi mit Einsatzkräften fährt durch den Ort und hält vor einem unscheinbaren Haus. Lautsprecherdurchsagen schallen durch die Straßen. 

    Etwa 15 Polizeifahrzeuge seien es gewesen, berichtet ein Fotoreporter, der die Szene beobachtet hat. Mit dabei ein schwer gepanzertes Fahrzeug der Polizei-Spezialkräfte (SEK). "So was ist schon außergewöhnlich", sagt der Reporter. Es ist bereits dunkel, als der Einsatz beginnt, das viele Blaulicht sei bis nach Bissingen zu sehen gewesen, heißt es im Ort.

    Einsatz in Hochstein: Polizei vermutet Schusswaffen bei 46-Jährigem

    Zuvor hatten sich die Einsatzkräfte auf dem Gelände eines Bauernhofs außerhalb des Ortes gesammelt, berichtet der Reporter. Um kurz nach 19 Uhr sei der Konvoi dann nach Hochstein gefahren, die Straßen wurden abgeriegelt. Um 19.30 dann der Zugriff, die Beamten hätten das Haus umstellt und einen Mann per Lautsprecher aufgefordert, das Haus zu verlassen. 

    Dieser habe sich dann gegen 20 Uhr widerstandslos festnehmen lassen, teilt die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit. Ebenso aus dem Haus geführt wurden etwa zehn weitere Personen, die jedoch offenbar nicht in Zusammenhang mit dem Mann stehen sollen. Sie wurden von den Einsatzkräften des BRK betreut. Ein solch großes Aufgebot der Polizei könne "in gewissen Gefahrenlagen" schon einmal nötig sein, sagt Staatsanwalt Patrick Fähnle. Denn man vermutete Schusswaffen bei dem 46-Jährigen. 

    Kein Zusammenhang zu Reichsbürger-Razzien in Oberbayern und der Oberpfalz

    Der Einsatz stehe nicht im Zusammenhang mit Durchsuchungen, die am Mittwochmorgen in Oberbayern und der Oberpfalz durchgeführt wurden, sagt Fähnle. Bei diesen Durchsuchungen war die Polizei gegen Reichsbürger vorgegangen, die mutmaßlich Anschläge auf Strommasten geplant hatten. Die Beschuldigten stehen im Tatverdacht, ab September 2020 geplant zu haben, durch Sabotage von Strommasten einen großflächigen Stromausfall in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen, wodurch es anderen Gruppen ermöglicht werden sollte, durch einen politischen Umsturz in Deutschland die Macht zu übernehmen. Der Fall in Hochstein stellt sich jedoch anders dar: Der 46-Jährige hätte zu einer Verhandlung im Amtsgericht erscheinen sollen, tauchte jedoch unter. "Der Polizeieinsatz diente der Vollstreckung eines Sicherungshaftbefehls", sagt Fähnle. 

    Reichsbürger, Germaniten, Identitäre - Die Szene der Staatsverweigerer

    Die Bewegung der Staatsverweigerer ist sehr heterogen. Sie umfasst mehrere sektenartige Gruppen von Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremen, die seit den 1980er-Jahren entstanden und untereinander zerstritten sind.

    Nur in einem sind sie sich einig: Deutschland sei kein echter Staat, das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 bestehe fort.

    Die Gruppen haben keine feste Organisationsstruktur.

    Die erste bekannte Organisation von „Reichsbürgern“ wurde 1985 als „Kommissarische Regierung des Deutschen Reiches“ gebildet. Gründer war Wolfgang Gerhard Günter Ebel, ein Westberliner Eisenbahner, der sich fortan „Reichskanzler“ nannte.

    Die Anhänger sprechen dem Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab.

    Ein Schwerpunkt in der Region ist das Allgäu. Doch bayernweit nehmen die Zahlen der "Reichsbürger" zu. Derzeit sind knapp über 300 Personen im Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West als „Reichsbürger“ eingestuft.

    Die Germaniten wurde im Dezember 2010 von einer gewissen Ulrike Kuklinski auf der Schwäbischen Alb gegründet.

    Sie sieht sich als Opfer der deutschen Justiz und bildete mit Gleichgesinnten die Behindertenfürsorge „Deutsche Ringvorsorge“, die Keimzelle des „Staates Germanitien“.

    Die Bewohner verstehen sich allen Ernstes als souveränes Staatsvolk mit einem eigenen Staatsgebiet in den Grenzen von 1937.

    Der Ursprung der Identitären Bewegung liegt in Frankreich, wo sie zu Beginn des Jahrhunderts im Dunstkreis des Front National entstand. Sehr aktiv ist die IB in Österreich, neuerdings auch in Bayern.

    Sie ist ethnopluralistisch – jede Ethnie soll ihren eigenen Raum haben – und geht von einer geschlossenen „europäischen Kultur“ aus, die vor allem vom Islam bedroht sei. Für Experten ist die IB eine neue Form des Rechtsextremismus. (hogs, sohu)

    Nach Angaben des Amtsgerichts sei der Mann klar dem Reichsbürger-Milieu zuzuordnen. Die Liste der Vorwürfe gegen ihn ist lang. Er soll den Hitlergruß gezeigt und "Sieg Heil" gerufen haben. Das ist aber noch nicht alles. Der Mann ist am Amtsgericht Ellwangen auch noch wegen Volksverhetzung und des Besitzes von Schusswaffen angeklagt. Einen Waffenschein besitzt er laut Amtsgericht nicht. Er soll zudem unerlaubt Munition gelagert und mit Waffen und explosiven Stoffen gehandelt haben, heißt es vonseiten des Amtsgerichts. 

    Reichsbürger ist in Hochstein untergetaucht

    Die Polizei hat bei ihrem Einsatz offenbar auch verschiedene Gegenstände sichergestellt, die "unter das Waffengesetz fallen könnten", so Staatsanwalt Fähnle. Offenbar hat das, was die Beamten gefunden haben, auch zu einem Ermittlungsverfahren geführt. Aus ermittlungstaktischen Gründen will die Staatsanwaltschaft jedoch keine weiteren Angaben dazu machen.

    Nach Auskunft beim Amtsgericht Ellwangen sitzt der Mann nun in Schwäbisch Hall in Haft. Er hatte ursprünglich in Neresheim im Ostalbkreis gelebt. Nachdem er bei Gericht nicht aufgetaucht war, ist er wohl in Hochstein untergetaucht. Im Ort sei er nicht weiter aufgefallen, berichten Anwohner. 

    Was danach geschah

    Ende März wurde der 46-Jährige, der aus Neresheim stammt, schließlich am Amtsgericht in Ellwangen unter anderem wegen Volksverhetzung zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

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