Der Platz vor der ehemaligen Synagoge ist im Mittelpunkt einer Gedenkfeier an die Opfer des Holocaust gestanden, dem in der jüdischen Landgemeinde Binswangen einst 41 Personen zum Opfer fielen. Auf den Tag genau vor 86 Jahren stand dieser Platz schon einmal im Fokus des Zeitgeschehens, als SA-Leute die Synagoge plünderten, verwüsteten und entweihten. Nur wegen der engen Bebauung kam es nicht zur Brandschatzung wie an vielen anderen Orten und Städten in Deutschland.
Anton Kapfer, Vorsitzender des Fördervereins Synagoge Binswangen, erinnerte die vielen Gäste an die schrecklichen Ereignisse des 9. und 10. Novembers 1938. Zu den Anwesenden zählten etwa Landrat Markus Müller als Hausherr der Synagoge und Mitveranstalter, sein Vorgänger Leo Schrell, der Abgeordnete Ulrich Lange, Johann Popp vom Bezirk Schaben, eine Reihe von Bürgermeistern, Kreis- und Gemeinderäten und Vertreter der Kirchen, Schulen und der Kultur. Die menschenverachtende Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten, die Millionen von Menschen wegen ihrer Herkunft, ihres Glaubens oder einer körperlichen und geistigen Beeinträchtigung gedemütigt, entrechtet und getötet hat, machte auch vor Binswangen nicht Halt.
Neue Gedenk- und Infotafeln zur jüdischen Landgemeinde Binswangen enthüllt
Landrat Müller stellte in seinem Grußwort die Präambel der Bayerischen Verfassung in den Mittelpunkt. Der erste Satz „Angesichts des Trümmerfelds, in das eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung der Würde des Menschen die Überlebenden des Zweiten Weltkriegs geführt hat“, endet in dem festen Willen für eine demokratische Verfassung, die Frieden, Menschlichkeit und Recht sichert. Daraus folgt im Blick auf die Vergangenheit, dass es keine Duldung und keine Rechtfertigung für Antisemitismus in Deutschland geben darf. Dieses Versprechen gilt es gerade jetzt, wo sich antisemitische Übergriffe häufen, einzulösen – so wie an diesem Tag in Binswangen.
Im Mittelpunkt der Freiluftfeier stand die Enthüllung von Gedenk- und Infotafeln, gestaltet von Markus Komposch. Anton Kapfer dankte dem Künstler für seine Kreativität und seinen langen Atem, der Gemeinde für die Erstellung des Fundaments, den Firmen Lippert und Karger für die kostenlosen Metall- und Verzinkarbeiten, der umsichtigen Geschäftsführerin Lydia Edin, bei der alle Fäden der Organisation zusammenlaufen und dem rührigen Hausmeister Anton Rupp Senior für seine tägliche Sorge um Ordnung und Sauberkeit. Müller und Kapfer hoffen und wünschen, dass beide Tafeln die Menschen zum Nachdenken bringen.
Dokumentationsband bringt Leben der jüdischen Familien nahe
Der zweite Teil der Gedenkfeier fand in der Synagoge statt. Die Vorstellung der Schicksale von drei jüdischen Familien, die Anton Kapfer als Autor des Dokumentationsbandes „Entrechtet – Entwürdigt – Entwurzelt“ ins Licht der Öffentlichkeit rückt, verschlug den Zuhörerinnen und Zuhörern in der vollen Synagoge fast den Atem. Über eine Stunde herrschte aufmerksame Stille im Saal, nur unterbrochen durch das feinfühlige Klavierspiel von Maria Fey.
Ebenso feinfühlig führte Anton Kapfer in die Schicksale der jüdischen Familien Müller, Schwarz und Bauer ein, deren Lebens- und Familiengeschichte anhand von Briefen, Zeitdokumenten, Fotos und Transkriptionen durch Antonia Schüller, Hans Urban und Anton Rupp Junior nachgezeichnet wurde. Allein die Schilderungen von Schikanen des Lehrers an seiner jungen Schülerin Margot Bauer, von der Enteignung, der Zwangsarbeit und der Überführung des Hugo Schwarz in das Vernichtungslager Auschwitz und seine Rettung in letzter Minute oder das Trauma des Berufsverbots, das den jungen Metzger Bernhard Müller traf, sorgte für spürbare Betroffenheit. Die monatelange Inhaftierung im KZ Dachau und die Ereignisse in der Pogromnacht 1938 führten bei Bernhard Müller zum festen Entschluss, zusammen mit seiner Ehefrau Johanna in die USA auszuwandern.
Ein Nachmittag in Erinnerung an die Reichspogromnacht 1938
Ergreifend war auch das Gedicht „Rückblick“ von Margot Bauer, das sie 1937 bei der Einweihung der Gedenktafel für die jüdischen Kriegsteilnehmer am Ersten Weltkrieg vortrug, bevor ihre Familie nach Palästina auswanderte und sie den neuen Namen Myriam Katz annehmen musste. Bei einem Besuch 1996 in Binswangen gab sie das Gedicht noch einmal zum Besten, dessen letzte Zeile schon damals lautete: „Mit Würde das Schicksal tragen“. Landrat Müller dankte schließlich den Akteuren der Gedenkfeier und entließ mit August Bebels Satz: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten“.
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