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Aktion: Die letzte Naht ist genäht

Aktion

Die letzte Naht ist genäht

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    Um weibliche Flüchtlinge zu integrieren, schuf das Wittislinger Netzwerk Asyl das Projekt „Homeless Design“. Es hat so gut funktioniert, dass alle Frauen eine Anstellung gefunden haben. Die Nähmaschinen stehen still.
    Um weibliche Flüchtlinge zu integrieren, schuf das Wittislinger Netzwerk Asyl das Projekt „Homeless Design“. Es hat so gut funktioniert, dass alle Frauen eine Anstellung gefunden haben. Die Nähmaschinen stehen still. Foto: Silvia Schmid

    Ein paar Stoffballen lagern noch in den Regalen. Zwanzig, vielleicht dreißig Taschen in verschiedenen Designs und Farben liegen daneben, vier Nähmaschinen im Raum erinnern an das, was hier, in einem Dachstübchen des „Bayerischen Hofs“ in Wittislingen in den vergangenen fünf Jahren bewegt wurde: Das Team des Projekts „Homeless Design“, das das Netzwerk Asyl

    Die schönen bunten Taschen, die unter dem Label „Homeless Design“ auf Märkten und in wenigen Geschäften verkauft wurden, werden nicht mehr produziert. Schade? Ja – aber die gute Nachricht dahinter: Das Ziel hinter dem Projekt, Flüchtlingsfrauen eine Beschäftigung zu geben, mit der sie einerseits freie Zeit überbrücken können und andererseits eine berufliche Qualifikation erwerben können, wurde erreicht. Das Projekt hat sich erübrigt. Die fünf Frauen haben Anstellungen gefunden und haben so viel anderes zu tun, dass sie keine Zeit mehr für das Nähen haben. Integration gelungen.

    „Ich habe einen Job mit einem unbefristeten Vertrag, mein Mann hat Arbeit, wir können uns und unserer Familie alleine, ohne Unterstützung den Lebensunterhalt finanzieren, ich kann mich mit Kolleginnen und Freunden auf Deutsch unterhalten. Ich bin glücklich“, so fasst Shokria Panahe mit einem strahlenden Lächeln zusammen, was ihr gelungen ist. Sie ist in Deutschland angekommen, fühlt sich integriert und hat Teil am gesellschaftlichen Leben. Die Frau war vor fünf Jahren aus Afghanistan geflüchtet und wurde zusammen mit ihrer Familie in einem Zimmer des „Bayerischen Hof“ in Wittislingen einquartiert. Zunächst ohne Arbeitserlaubnis, ohne Sprachkenntnisse, ohne Kontakte zu Einheimischen.

    Dann kam die Idee von Gaby Schön und Susanne-Marie Gruber vom Netzwerk Asyl. Sie wollten den Frauen in der Unterkunft eine Aufgabe geben. Etwas, mit dem sie sinnvoll ihre freie Zeit nutzen konnten und das sie vom Rand weg, hinein in die Gesellschaft ihrer neuen Heimat bringen sollte. Modedesignerin

    Parallel gaben ehemalige Lehrer und andere Ehrenamtliche aus dem Helferkreis Asyl Wittislingen den Frauen Deutschunterricht. Die Fortschritte waren enorm. Noch ohne einen offiziellen Deutschkurs besucht zu haben, bestand Shokria Panahe das erste Deutsch-Zertifikat mit Note eins. Das „Homeless-Design“-Projekt war ihr dabei eine große Hilfe. „Die Taschen, zeitweise auch Brotkörbchen, wurden in Wittislingen genäht und dann von den Frauen selbst auf Kunsthandwerks- und Regionalmärkten in der Region gegen eine Spende verkauft“, erläutert Susanne-Marie Gruber. Angesetzt als Spendenbetrag waren sechs Euro pro Tasche - zwei Euro für Material, zwei Euro als Lohn für die Frauen und zwei Euro für den Verein. „Die Frauen waren durch die Verkaufsaktivitäten gezwungen zu sprechen und kamen in Kontakt mit vielen Menschen. So begannen sie wirklich, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“, erklärt Susanne-Marie Gruber, „und genau das war unser wichtigstes Ziel“.

    Das Projekt wurde ein sehr großer Erfolg. Die Taschen kamen bei den Kunden richtig gut an. Bis hinter Stuttgart fuhren die Frauen, um sie zu vermarkten. Zeitung und Fernsehstationen berichteten über die beispielhafte Idee. 2015 bekam das Team von „Homeless Design“ im Bayerischen Landtag den „Bürgerpreis 2015“ für dieses erfolgreiche Projekt verliehen. Eine Berliner Künstlerin wurde auf die Näherinnen aufmerksam und buchte sie für ein Kunstprojekt. Auch prominente Abnehmer fanden die Taschen. Grünen-Politikerin Claudia Roth kaufte beim Neujahrsempfang 2015 in der Dillinger Kulturkneipe Chili gleich mehrere Exemplare. Die wohl prominenteste Besitzerin einer „Homeless-Design-Tasche“ aus Wittislingen ist jedoch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Armin Hartleitner war als Vorsitzender des Helferkreises Wittislingen zusammen mit anderen Engagierten aus ganz Deutschland zu einem Empfang bei der Kanzlerin geladen. Sein Gastgeschenk: selbstverständlich eine Tasche von „Homeless Design“.

    Nun ist also Schluss mit dem Projekt. Seit Dezember stehen die Nähmaschinen still, für alle gibt es bereits Abnehmer. Von den fünf Frauen haben vier einen festen Arbeitsplatz gefunden, drei davon in einem Pflegeheim im Landkreis. Die fünfte Frau ist noch mit ihrem kleinen Kind zuhause. Auf die Frage, ob sie traurig sind über das Ende von „Homeless Design“, antwortet Susanne-Marie Gruber: „Ja, es ist schon ein bisschen Wehmut dabei, wenn wir nun alles auflösen. Aber das gute Gefühl, den Frauen mit dem Projekt neuen Mut und ein Sprungbrett für ihr neues Leben gegeben zu haben, in dem sie jetzt angekommen sind, überwiegt eindeutig!“

    Die noch verkäuflichen Exemplare der „Homeless-Design“-Taschen gibt es im Weltladen in Wertingen.

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