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Wittislingen: „Das ist absolut einmalig“: Was ein Schmuckstück aus dem Mittelalter über Wittislingen erzählt

Wittislingen

„Das ist absolut einmalig“: Was ein Schmuckstück aus dem Mittelalter über Wittislingen erzählt

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    Die 16 Zentimeter lange Bügelfibel von Wittislingen ist in puncto Qualität eine der besten jemals gefundenen Objekte aus dem Frühen Mittelalter in Europa.
    Die 16 Zentimeter lange Bügelfibel von Wittislingen ist in puncto Qualität eine der besten jemals gefundenen Objekte aus dem Frühen Mittelalter in Europa. Foto: Stefanie Friedrich, Archäologische Staatssammlung

    Im Jahr 1881 fanden Maurer in einem Steinbruch bei Wittislingen Gold, Schmuck und weitere Grabbeigaben. Die Stücke stammen aus dem 7. Jahrhundert n. Chr. und zählen bis heute zu den am aufwendigsten gearbeiteten Zeugnissen ihrer Zeit. Auf einer Online-Tagung unter der Schirmherrschaft des Bistums Augsburg, die am Freitag stattfand, wurden nun neue Forschungserkenntnisse über die Geschichte der Stücke vorgestellt. Brigitte Haas-Gebhard ist Archäologin in der Archäologischen Staatssammlung München und hat unter anderem die berühmte Wittislinger Bügelfibel neu bewertet, die auch im Wittislinger Ortswappen gewürdigt wird.

    Es ist schon 140 Jahre her, dass die Wittislinger Bügelfibel gefunden wurde. Warum jetzt die Neubewertung?

    Brigitte Haas-Gebhard: Die Archäologische Staatssammlung München ist momentan geschlossen und wir planen eine neue Dauerausstellung, bei der Wittislingen mit seiner Fibel an vorderster Front vertreten sein wird. Wenn man eine neue Dauerausstellung macht, dann möchte man natürlich auch nicht die alten Kamellen von früher erzählen. Was noch dazukommt, ist, dass die große Publikation dazu 1950 erschienen ist, und in 70 Jahren hat sich in der Forschung sehr viel verändert. Erstens wurden seitdem mehr Vergleichsobjekte aus dem Mittelalter entdeckt und zweitens haben wir wesentlich mehr technische Methoden, wie wir an diese Objekte rangehen können. Wir haben zum Beispiel hervorragende Mikroskope, mit denen wir quasi in die Objekte hineinkriechen können, und dadurch haben wir Möglichkeiten, die den Forschern damals nicht zur Verfügung standen.

    Was haben Sie Neues über die Fibel herausfinden können?

    Haas-Gebhard: Wir haben uns mit der Herstellungstechnik beschäftigt und festgestellt, dass, obwohl wir viele Fundstücke aus dieser Zeit haben, die Fibel einzigartig in ihrer Herstellungsweise ist. Das zeigt uns, dass es sich hier um eine Sonderanfertigung handelt und auf Bestellung gearbeitet wurde.

    Woraus besteht die Fibel?

    Haas-Gebhard: Die Fibel besteht aus Silber und ist mit Granatsteinen besetzt. Wir haben anhand einer chemischen Analyse die Herkunft der verarbeiteten Granatsteine bestimmen können. Die Granate stammen einerseits vom indischen Subkontinent, womöglich aus Rajasthan, und andererseits aus Portugal. Das heißt, der Hersteller hatte Zugriff auf einen internationalen Markt an Halbedelsteinen.

    Das ist ja auch heute noch eine Weltreise, aber aus mittelalterlicher Sicht erst recht weit entfernt.

    Haas-Gebhard: Dieses Bild vom Mittelalter, dass alle nur in ihren Dörfern und Städten gehaust haben und da nicht rausgekommen sind, ist überholt. Es gab schon Personen, die global unterwegs waren. Natürlich nicht der einfache Dorfbewohner, aber eine elitäre Führungsschicht und auch die Händler und Kaufleute sind durchaus rumgekommen. Von dieser Vorstellung des kleinräumigen Mittelalters habe ich mich aber auch erst in den letzten zehn Jahren im Zuge meiner Forschungen verabschiedet.

    Was die Inschrift auf der Rückseite der Fibel bedeuten könnte

    In Ihrer Neubewertung haben Sie auch ein besonderes Augenmerk auf die Inschrift gelegt, was ist daran außergewöhnlich?

    Haas-Gebhard: Die Inschrift ähnelt einer Grabinschrift. Wir kennen vergleichbare Inschriften auf Grabsteinen im Niederrheingebiet. Zudem sind Formulierungen darauf, die wir eigentlich nur auf Grabsteinen von Kindern gefunden haben. Zudem ist ein Name vermerkt: Uffila. Ich interpretiere diesen Namen als Mädchenname. Wenn man so will, kann man diese Fibel als Erinnerungsstück interpretieren, das auf ein verstorbenes Mädchen einer Familie hinweist.

    Ist das damals denn normal gewesen, dass man einem Mädchen ein solch wertvolles Schmuckstück widmet, in einer Zeit mit hoher Kindersterblichkeit und in der Mädchen eher einen niedrigeren Stellenwert hatten als Jungen?

    Haas-Gebhard: Das ist absolut ungewöhnlich, wenn nicht einmalig, das muss man sagen!

    Also könnte man vermuten, dass die Besitzerin der Fibel die Mutter der früh verstorbenen Uffila war?

    Haas-Gebhard: In unserer modernen Vorstellung würde man vermuten, dass es die Mutter war. Ich glaube, diese Interpretationen sind menschlich. Es könnte sein, dass es sich um die Mutter, die Großmutter oder jemanden handelte, der in direkter Linie mit diesem Kind verbunden war.

    Wer könnte die Besitzerin eines so wertvollen Schmuckstücks gewesen sein?

    Was sagt denn die Fibel über ihre damals lebende Besitzerin aus?

    Haas-Gebhard: Die Bügelfibel ist natürlich das prominenteste Stück im Fürstinnengrab, ich habe aber auch die anderen Sachen näher betrachtet, die dort zu finden waren. Die Objekte haben eine herausragende Qualität, und außerdem wurde viel Gold gefunden. Gold war im frühen Mittelalter nur der Elite vorbehalten. Wenn man nach Grabfunden sucht, die halbwegs mit dem in Wittislingen vergleichbar sind, dann kommt man zu Gräbern, die mit Königinnen des merowingischen Königshauses in Verbindung gebracht werden. Zum Beispiel das Grab der fränkischen Königin Arnegunde in der Kathedrale Saint Denis in Paris, die man anhand ihres Siegelringes identifizieren konnte

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    Also eine Königin in Wittislingen?

    Haas-Gebhard: Möglicherweise. Im Vergleich mit dem merowingischen Grab führt mich das zur Interpretation, dass wir hier die Bestattung einer Frau haben, die in dieses Königshaus hineingehört. Sei es eine Prinzessin, eine Königstochter oder eine Hofdame.

    Was könnte eine adlige Dame nach Wittislingen verschlagen haben?

    Haas-Gebhard: Ich vermute, dass es sich um eine Heiratsverbindung handelt. Das fränkische Königshaus wollte womöglich hier ansässige Clans herrschaftlich beeinflussen und in seinen Machtbereich integrieren.

    Was sagt das über Wittislingen aus?

    Haas-Gebhard: Dass es in dieser Zeit ein Zentralort gewesen sein muss. Das sehen wir auch an dem anderen Fundmaterial aus Wittislingen. Es gibt dort nicht nur das Fürstinnengrab, sondern auch noch viele andere Fundstellen aus dem frühen Mittelalter. Und das zeigt, dass da ein Kristallisationspunkt war, wo einer oder mehrere Clans saßen, die mächtig waren und die auch fürs Königshaus wichtig waren. Ob das die Vorfahren vom späteren Grafen von Dillingen und vom heiligen Ulrich sind, können wir aber nicht sagen. Da klafft eine 200-jährige Lücke dazwischen.

    Von manchen Epochen haben wir kaum Schriftdokumente und müssen uns im Großen und Ganzen auf archäologische Funde verlassen, wenn wir über diese Zeit forschen. Meist stellt man dann Interpretationen an wie jetzt bei der Bügelfibel. Ist das überhaupt legitim anhand der manchmal schwachen Datenlage?

    Haas-Gebhard: Ich finde, man muss eine Interpretation anbieten, auch als Wissenschaftler. Die sind auch nicht zementiert. Ich halte das schon für legitim, dass man wie in diesem Falle annimmt, dass eine enge Mutter-Tochter-Beziehung bestand. Ich stricke ja keinen historischen Roman daraus, aber solche Interpretationen sollten auch in der Wissenschaft erlaubt sein.

    Gab es etwas, das Sie an dieser Untersuchung am meisten überrascht hat?

    Haas-Gebhard: Ich habe die alten Fundakten der Auffindung 1881 durchgesehen und die lesen sich wahnsinnig spannend, fast wie eine Märchengeschichte: Ein Müller erlaubt zwei Maurern, in seinem Steinbruch Steine zu klopfen, die finden dann das Gold, der Müller interessiert sich nicht dafür, doch als die Maurer das Gold später versuchen zu verkaufen, dann interessiert sich der Müller natürlich doch wieder dafür. Was mich absolut verblüfft hat: Wie damals Ende des 19. Jahrhunderts die Kommunikation stattgefunden hat. Die Teile wurden gefunden, und zwei Wochen später waren schon Vertreter internationaler Museen in Wittislingen und wollten die Sachen kaufen. Heutzutage stellt man ein Foto ins Internet und die ganze Welt weiß es, aber wie schnell das selbst damals schon viral ging und alle Welt zum Müllermeister nach Wittislingen gefahren ist, fand ich total faszinierend.

    Wer die Fibel von allen Seiten begutachten möchte, findet eine 3D-Animation im Bavarikon.

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