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Wertingen: Er leistet erste Hilfe für die Seele bei Todesfällen

Wertingen

Er leistet erste Hilfe für die Seele bei Todesfällen

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    Michael Hahn hilft bei tragischen Unglücken und Todesfällen Hinterbliebenen und Einsatzkräften.
    Michael Hahn hilft bei tragischen Unglücken und Todesfällen Hinterbliebenen und Einsatzkräften. Foto: Bärbel Schoen

    Ein Haus explodiert. Die Frau stirbt. Der Mann arbeitet im Landkreis Dillingen. Noch ahnt er nichts von der Tragödie, die sich in seinem Leben abspielt. Bis die Polizei ihm die Todesnachricht überbringt. Michael Hahn begleitet die Beamten und er bleibt, wenn die Polizisten gehen.

    Der 45-Jährige versucht, ein stabiles Netz aufzubauen, das den Zurückgebliebenen trägt. Notfallseelsorge – nennt sich diese Erste Hilfe. 15 Menschen teilen sich diese Aufgabe im Landkreis Dillingen. Vor drei Jahren hat Wertingens Gemeindereferent Michael Hahn zusätzlich die Feuerwehrseelsorge im Landkreis übernommen, betreut Einsatzkräfte in schwierigen Situationen.

    Hahn wollte selbst zur Feuerwehr

    Zur Feuerwehr pflegte Michael Hahn schon immer einen besonderen Kontakt, wollte selbst aktiv werden: „Ich hatte schon meinen eigenen Spind und Handschuhe.“ Das war zu seiner Harburger Zeit. Dort lebte und arbeitete der studierte Religionspädagoge acht Jahre lang, bevor er 2005 nach Buttenwiesen wechselte.

    In der dortigen Pfarreiengemeinschaft musste sich der Gemeindereferent in vier Pfarreien einfinden. Die Zeit für aktiven Feuerwehrdienst fehlte. Zumal Michael Hahn mittlerweile Familie und fünf Kinder hatte. Mit den Feuerwehrlern kam er dennoch sehr schnell in Kontakt. Bereits in seiner Harburger Zeit ließ er sich als Notfallseelsorger ausbilden. Ein guter Freund hatte einen Feuerwehreinsatz, bei dem ein junger Mann ums Leben gekommen war, nur sehr schwer verarbeitet. Michael Hahn erkannte, wie wichtig ihm die Begleitung von Menschen in Krisensituationen ist.

    Innerhalb der Diözese steckte die Notfallseelsorge zu der Zeit noch in den Anfängen. „Im Landkreis Donau-Ries gab’s noch überhaupt kein System und wenig Menschen, die sich beteiligten.“

    Ganz anders im Landkreis Dillingen: Hier fand Michael Hahn ein funktionierendes System mit 15 Menschen vor. Festangestellte der Kirche und Ehrenamtliche. Sie teilen sich den Bereitschaftsdienst auf. „Wenn der Piepser geht, lasse ich meine andere Arbeit liegen.“ Der 45-Jährige ruft die Leitstelle an, erkundigt sich kurz, was geschehen ist.

    Notfallseelsorger Hahn weiß nie, was ihn erwartet

    Noch heute schwingt bei jedem Einsatz Nervosität mit. So gut wie immer kommt er mit dem Tod in Berührung. „Inzwischen“, sagt er, „kann ich immerhin die Nummer der Leitstelle ohne Zittern wählen.“ Trotz der Informationen vonseiten der Leitstelle weiß er nie, was ihn erwartet.

    „Manche Menschen sind sprachlos, andere reden ununterbrochen, und welche wollen am liebsten alles klein schlagen.“ Es sind die Hinterbliebenen, die Michael Hahn in den ersten Momenten begleitet. Verkehrsunfälle, Suizid, Leichenfunde – nach der Überbringung der Todesnachricht bleibt er zunächst einfach da. „Das Wichtigste in dem Moment.“ Geleitet von der Frage „Wie geht’s weiter?“ lässt er die Menschen gleichzeitig wieder ins Tun kommen: Bestatter organisieren und Nahestehende informieren.

    Persönlich war er das erste Mal im Alter von fünf Jahren mit dem Tod in Berührung gekommen. „Als mein Vater gestorben ist.“ Als Kind, erinnert er sich noch gut, sei er relativ unverkrampft mit dem Thema umgegangen. „Klar, ich hab ihn vermisst, doch die Erinnerungen verblassten allmählich.“ Diese Unverkrampftheit setzt er sich heute als Ziel bei jedem Einsatz.

    Vor dem Sterben hat er keine Angst

    Mit 20 Jahren hat Hahn mit seinem Großvater dann erstmals einen Toten bewusst wahrgenommen, hat ihn sterben sehen. „Das hat mich tief berührt“, gesteht er. Mit Tod und Trauer setzte er sich in der Folgezeit immer wieder bewusst auseinander. Vor dem Sterben hat er keine Angst: „Ich lebe im Glauben an die große Liebe Gottes und weiß, wenn ich sterbe, bin ich bei ihm.“ Die Trauer ist etwas anderes: „Schwierig ist es für die, die zurückbleiben.“

    Zurück bleiben nach einem dramatischen Einsatz manchmal auch belastete Einsatzkräfte. Um dem vorzubeugen, schult Michael Hahn die Feuerwehrleute bereits während ihrer Ausbildung. „Dass jemand nicht schlafen kann, zittert, ein Erlebnis nachwirkt, ist normal.“ Sie sollen merken, wenn eine Belastung darüber hinausgeht.

    Hahn vergleicht das Leben gerne mit einem Glas Wasser: „Familie, Arbeit, Einsätze – irgendwann kann das Glas überlaufen.“ Dem Seelsorger ist wichtig, dass sich jede(r) seiner eigenen Grenzen bewusst wird. Seine eigenen nimmt der fünffache Familienvater wahr, indem er nach und nach ein Netz von Menschen aufbaut, die ihm bei den Schulungen und Einsätzen helfen.

    Sie werden wie er bei einem Notfall immer wieder mit der Frage nach dem Warum konfrontiert. – „Warum jetzt? Warum ich?“ Für Michael Hahn kann diese Frage zum Verhängnis werden. So versucht er, den Blickwinkel zu wechseln. Das Kreuz steht für ihn gleichzeitig für Erlösung. „Am Karfreitag spüren wir Gottesferne, Tod und Leiden, Schwere, Trauer.“

    Gleichzeitig steht für ihn die Gewissheit, dass Ostern kommt – und damit Gottesnähe. Michael Hahn überträgt das Bild gerne auf jedes Unglück. „Das Leben geht weiter – und Gott rückt nach den Zweifeln wieder näher.“

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