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Wertingen: Damit Kinder weniger am Bildschirm hängen

Wertingen

Damit Kinder weniger am Bildschirm hängen

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    Manche Kinder hängen während des Lockdowns zu viel am Bildschirm.
    Manche Kinder hängen während des Lockdowns zu viel am Bildschirm.

    Distanzunterricht und Homeschooling mittels Tablets, Handys und Co. müssen derzeit sein. Doch wie schafft man die Gratwanderung zwischen nötiger und nicht übermäßiger Nutzung mobiler Geräte. Gerade Jugendliche, die sich derzeit nicht so einfach mit ihren Freuden treffen können, verbringen Stunden in den sozialen Netzwerken. In vielen Familien gibt es Streit darüber, dass Mädchen und Buben nur noch vor ihrem Tablet oder Handy sitzen. Julia Unger vom Familienbüro Wertingen kennt das Problem und hat einige bedenkliche Entwicklungen beobachtet.

    Frau Unger, wie erleben Sie derzeit die Problematik, dass Schüler und Jugendliche viel Zeit vor dem PC oder dem Handy verbringen?

    Julia Unger: Ein spannendes Thema, das zunehmend als „Problemstellung“ in Familien hochkommt. Medienkonsum ist ja schon ohne Pandemie ein großes Thema in der Erziehung geworden. Schließlich sind mediale Angebote mittlerweile praktisch immer und überall verfügbar. Für viele Eltern ist es schon unter normalen Bedingungen schwer, den Medienkonsum von Kindern und vor allem Heranwachsenden/Jugendlichen „sinnvoll“ zu regeln.

    Was sind Ihre Befürchtungen dazu?

    Julia Unger: Durch das momentane Homeschooling ist selbst bei denen, die normalerweise eine gute Regelung für sich gefunden haben, der Medienkonsum meist erhöht. Man kommt ja gar nicht umhin, den Kindern vormittags Medien zur Verfügung zu stellen. Die meisten Kinder und Jugendlichen fordern danach noch denselben Konsum, den sie „normal“ auch hätten. Wer gibt schon seine Handyzeit freiwillig für eine Unterrichts-Videokonferenz her? Auch die Tatsache, dass momentan direkte Kontakte kaum möglich sind und auch das Freizeitangebot eingeschränkt ist, führt dazu, dass Medien als Element der Freizeitgestaltung genutzt werden.

    Julia Unger
    Julia Unger Foto: Marion Buk-Kluger

    Eltern, die zeitgleich mit ihren Kindern von zu Hause aus arbeiten sollen, nutzen außerdem zum Teil den Fernseher oder das Tablet als medialen Babysitter. Gerade mit kleineren Kindern ist das oft die einzige Möglichkeit, für eine begrenzte Zeit ungestört zu arbeiten. In Summe führt das dazu, dass Kinder und Jugendliche derzeit oft wesentlich mehr Zeit vor Bildschirmen verbringen als normal. Das geht auf Kosten von Bewegung, direkten Kontakten, Erfahrungen mit allen Sinnen, Erholungszeit fürs Gehirn und Eigenkreativität und noch einigen Dingen mehr. Erfahrungsgemäß gibt man Privilegien, die man einmal hatte, nicht kampflos wieder auf. Eine große Befürchtung ist also, dass dieser massiv erhöhte Medienkonsum schleichend zur Normalität wird.

    Was ist Ihnen dabei noch aufgefallen?

    Julia Unger: Bereits während des ersten Lockdowns fiel mir, wenn ich durch die Dörfer gefahren bin, auf, dass kaum Kinder draußen waren. Jetzt ist das wieder so. Dabei hätten wir auf dem Land ja den Luxus, dass unsere Kinder auch jetzt draußen sein und Erfahrungen sammeln könnten. Stattdessen parken wir sie oder sie sich selbst drinnen vor einem Bildschirm. Medien sind nur leider (zumindest meiner Meinung nach) nicht der beste Lehrmeister fürs Leben. In sozialen Netzwerken ist der Umgang miteinander ein anderer, als es bei einem direkten Kontakt wäre. Die Zahlen von Cybermobbing nehmen nicht umsonst in den vergangenen Jahren stetig zu. Im Netz finde ich außerdem zu allem Informationen – aber wenn ich nicht gelernt habe, sie mit der Realität abzugleichen und zu überprüfen, ob etwas wahr ist oder nicht, werde ich mir ein Bild von einer Welt zusammenbasteln, das nicht oder nur sehr begrenzt der Realität entspricht. Ich befürchte also auch, dass die zunehmende Mediennutzung unser soziales Miteinander merklich beeinflussen wird.

    Gibt es noch weitere Folgen?

    Julia Unger: Eine weitere Sorge ist, dass Menschen, die zum sozialen Rückzug neigen oder denen direkter Kontakt nicht leicht fällt, sich zunehmend weiter zurückziehen. Gerade bei Kindern und Jugendlichen stellt dabei das ständige Angebot von Parallelwelten – zum Beispiel in Spielen oder in sozialen Netzwerken – auch eine deutliche Suchtgefahr dar.

    Was raten Sie Eltern, denn zum Unterricht ist es ja unabdingbar, dass iPhone, Tablet und Co. genutzt werden?

    Julia Unger: Eltern kann ich nur raten, trotz aller Schwierigkeiten und eventuell auch Gegenwehr, die Nutzung von Medien und damit auch die Nutzungsdauer zu reglementieren und selbst aktiv dafür zu sorgen, dass es noch andere Dinge gibt. Im Klartext heißt das: Medienfreie Zeiten schaffen und sich selbst Zeit nehmen, mit Kindern zu spielen, mit ihnen spazieren zu gehen, Fahrrad zu fahren oder einen Schneemann zu bauen – oder, wenn es nicht anders geht, sie zumindest rauszuschicken oder aufzufordern, sich alternative Beschäftigungsmöglichkeiten zu suchen.

    Wurden Sie in Ihrem Berufsalltag bereits damit konfrontiert, dass Eltern mit ihren Kindern bezüglich der Nutzung Konflikte haben?

    Julia Unger: Konflikte bezüglich der Mediennutzung sind schon seit Jahren ein immer wiederkehrendes Thema in Beratungen oder der Arbeit mit Familien. Deutlich wird allerdings, dass es im vergangenen Jahr beinahe jede Familie betrifft, die zu uns in Beratung kommt oder die wir in der aufsuchenden Familienhilfe betreuen.

    Was wäre Ihr Rat für eine gute Balance in der Nutzung?

    Julia Unger: Eine gute Balance zu finden ist momentan so schwer wie selten zuvor. Ich selbst versuche, bei meinem alten Grundsatz zu bleiben, nämlich dafür zu sorgen, dass meine Kinder deutlich mehr Zeit ohne Gerät als mit Gerät verbringen, jeden Tag das „Kopf lüften“ draußen einzufordern und immer wieder Alternativangebote zu machen. Das gelingt an manchen Tagen besser als an anderen, aber die Geschichte mit dem Medienkonsum ist ein bisschen wie die von Sisyphos – es ist etwas, das man jeden Tag aufs Neue angehen muss.

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