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WZ-/ DZ-Leseraktion: Poesiealbum: Der erste Eintrag stammt vom 12. Dezember 1886

WZ-/ DZ-Leseraktion

Poesiealbum: Der erste Eintrag stammt vom 12. Dezember 1886

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    Hans-Jürgen Wickmair aus Syrgenstein mit dem Poesiealbum von 1886.
    Hans-Jürgen Wickmair aus Syrgenstein mit dem Poesiealbum von 1886.

    Hans-Jürgen Wickmair aus Syrgenstein hat sich besonders viel Mühe gegeben und uns mitgenommen in die Geschichte eines Poesie-Albums. Es stammt aus den Zeiten der Ur- oder Ururgroßeltern. Es ist weit mehr als 100 Jahre alt und „gewährt uns einen kleinen Einblick in ein Stück Kindheit und Jugend längst vergangener Zeiten“, schrieb Wickmair. Er stellt das Album sehr ausführlich dar. Das hat uns so gefallen, also hier sein Text:

    „Das Büchlein befindet sich im Nachlass meiner Mutter Irmgard. Wann, wie und warum es aus dem benachbarten Giengen zu ihr nach Landshausen kommt, ist unklar; vermutlich einfach, um ihr eine Freude mit der darin enthaltenen Poesie zu bereiten.

    Poesiealbum von Pauline Wolff aus Giengen von 1886

    Das elegante Exemplar hat ein Querformat von etwa zwölf mal 20 Zentimeter. Buchdeckel und -rückseite sind in einem Braunton gehalten und in genarbter Prägung. Die Vorderseite dominiert der Schriftzug „Album“ in Kapitälchen. Dieser Schriftzug ist eingeprägt, goldfarben bedruckt von schwarzem Schatten begleitet und durch geprägte und geschwärzte Ranken eingefasst. Der Titel steht zentral in einem attraktiven Schmuckrahmen, welcher von der Formgebung her auch gut als Vorlage für das edle Werk eines ambitionierten Kunstschmiedes herhalten kann. Die Ornamente des Rahmens sind wie der Titel eingeprägt und gülden, jedoch ohne den kontraststeigernden Schatten. Das Ganze umfassen eine dünn und eine dick ausgeführte Linie in Rechteckform. Die Prägung des gesamten Schmuckrahmens wiederholt sich auf der Rückseite, dort wie zu erwarten ohne die farbliche Belegung. Das Vorblatt offenbart, wem das Album gehört: Pauline Wolff aus Giengen an der Brenz. Die erste Seite bleibt leer. Nach dem Umblättern finden wir das eingetragene Datum: 12. Dezember 1886 (sic!), und die Schenkerin gibt sich zu erkennen: eine Cousine. Ein kleiner und ein seitenfüllender Sticker (sagt man heute wohl so) mit überaus hübschen Blumensträußen verzieren den Spruch, der blumige Allegorien verwendet. Die beiden Aufkleber überraschen durch die Stärke des geprägten und gestanzten Papiers als auch wegen der immer noch prächtigen Farben.

    Die nächsten beiden Doppelseiten, an prominenter Stelle, gehören selbstredend Vater und Mutter. Beide wählen Sprüche, in denen der Glaube an Gott zum Ausdruck kommt. Es folgt die Doppelseite des Bruders, der „die Jugend und die Freude“ zum Thema nimmt. Ist zuvor ausschließlich Flora zu sehen, so präsentiert er uns nun Fauna, nämlich zwei Täubchen im Blumenkorb. Der nächste Eintrag kommt erst im April 1887 hinzu. Die „Dothe“ formuliert gute Wünsche und dekoriert mit zwei kleinen bunten Kärtchen. Die eine enthält eine Zeile aus dem Math(äus), die andere aus den Psalmen.

    Fast ein Jahr später, näherhin im Januar und Februar 1888, verewigen sich jeweils auf Doppelseiten drei Freundinnen und vier Mitschülerinnen. Ihre gewählten Spruchmotive spielen mit Glück, Tugend und Vergissmeinnicht. Wir finden hier üppige Blumen, da einen Engel und dort einen Jungen mit Rechen zusammen mit einem Mädchen mit Gießkanne, außerdem im Postkartenformat ein Mädchen am Ufer, welches sich an einem dürren Zweig festhält, während ein Junge sich am selben Ast auf den See hinauswagt, um einen am Rande der brüchigen Eisdecke schwimmenden Schwan zu füttern.

    Kurze Zwischenbilanz: Bis hierher steht das Geschlechterverhältnis 10:2

    Auf eine leer gelassene Doppelseite folgen zwei undatierte, danach nochmals zwei, wo sich die Nachbarin und die Lehrerin verewigten. Hier ist zu erwähnen, dass die alte Handschrift nicht einfach zu lesen ist. (Und das liegt nicht an Tinte oder Papier.) Die härteste Nuss beim Entziffern gibt uns ausgerechnet die Lehrerin auf; ach nein, bei der Signatur steht ja gar nicht Schullehrerin, sondern Nachbarin.

    Ungefähr die Hälfte der Einträge sind bis hierher aufgezählt worden. Es folgen bis 1893 noch zwei Freundinnen, eine Cousine sowie drei „Bäsla“.

    Das Album hat 1908 ein Alter von nahezu 22 Jahren, als offenbar Besucher mit der Ortsangabe „California“ an das Zusammensein erinnern. Weitere Einträge aus demselben Jahr ermutigen „Fürchte Dich nicht“ oder wünschen „Wohl Dir“.

    Eine Seite beginnt mit:

    „Über den Wolken das himmlische Blau, über den Gräbern die grünende Au, […]“

    Ist bisher alles in schwarzer Tinte, so finden wir einzig hier und gegenüberliegend eine blaue Schrift. Dort – wohl von derselben Hand – stehen drei Verse unter dem Titel „Warum?“ Die Antwort liefert die letzte Zeile: „Weil ich Dich liebe!“ Leider weder datiert noch signiert.

    Die darauffolgenden Doppelseiten bleiben unbeschriftet und unverziert. Danach ist die Reihenfolge der restlichen Eintragungen eine rückwärtige: Der hinterste Eintrag im Buch ist überschrieben mit „Losungszettel vom 15. März“ und enthält vier Bibelsprüche. Davor, aus 1891, von einer weiteren Cousine „Gott weiß warum!“ Drei weitere Eintragungen und der nachfolgend besonders erwähnte komplettieren das Album.

    Wer hat mitgezählt? Die Anzahl der männlichen Poesierenden beträgt hier: exakt zwei.

    Abschließend wird ein ausgewählter Eintrag des Jahres 1891, ausgeführt von einem „Bäschen“, in voller Länge wiedergegeben, weil er die insgesamt vorherrschenden Motive verbindet: Glaube und Tugend in des Lebens Fährnissen, dargestellt an Gleichnissen aus der Natur.

    Aufwärts!

    Daß es Licht im Herzen werde,

    wenn du trüb und traurig bist, senke nicht den Blick zur Erde,

    die ja selber dunkel ist. Auf zu Gott den Blick erheben,

    Seine Gnade fehlt dir nicht

    doch sein Licht kommt nur von oben

    und seine Frucht kommt nur im Licht.

    Die Sonne sinkt, doch ewig ist das Licht.

    An Äußerlichem finden wir vor: Die Kanten des Buchdeckels sind deutlich bestoßen und die Rückseite berieben. Auch der Goldschnitt – ein weiterer Hinweis auf die hochwertige Ausstattung des Albums – ist ziemlich abgenutzt. Dabei ist nicht von achtlosem Umgang auszugehen, sondern von häufiger liebevoller Unterhaltung mit den Erinnerungen. Das mag offensichtlich an den inneren Werten liegen.“

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