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Unternehmensserie: Diese Höchstädter Firma stellt auch Schuhe der Größe 62 her

Unternehmensserie

Diese Höchstädter Firma stellt auch Schuhe der Größe 62 her

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    Handwerkskunst: Etwa 250 Mitarbeiter (auf dem Foto Iustina Axinia) produzieren bei Thanner in Höchstädt Schäfte für orthopädische Schuhe.
    Handwerkskunst: Etwa 250 Mitarbeiter (auf dem Foto Iustina Axinia) produzieren bei Thanner in Höchstädt Schäfte für orthopädische Schuhe. Foto: Marcus Merk

    Arthur Thanner lässt sich auch im Alter von 90 Jahren noch jeden Tag in seinem Unternehmen in Höchstädt (Landkreis Dillingen) blicken. "Ich mache täglich eine Runde, um die Mädchen und Jungs zu begrüßen", sagt der Seniorchef. Und wenn Thanner auf die Firmengeschichte blickt, wirkt er selbst ein wenig verwundert. Denn aus einem einem kleinen Sport- und Schuhgeschäft in der Bahnhofstraße haben er, seine Frau Gerlinde, Tochter Nicola Thanner und Schwiegersohn Dieter Kipfelsberger ein großes mittelständisches Unternehmen gemacht. Etwa 250 Mitarbeiter produzieren heute auf dem Firmengelände am Fallenweg maßangefertigte Schäfte (Oberteile von Schuhen) und ganze Schuhe, aber auch in Serie Spezialschuhe für Diabetiker und Rheumatiker.

    Obwohl die Firma Thanner einer der führenden Hersteller für orthopädische Schuhe auf dem Weltmarkt ist, tritt sie namentlich meist gar nicht in Erscheinung. Denn die Kunden suchen ihre Modelle bei den Orthopädie-Schuhmachern aus, die den Leisten zur aufwendigen Anfertigung des Schuhoberteils oder des ganzen Schuhs nach Höchstädt schicken.

    Jeder Schuh der in der Firma Thanner entsteht ist ein Unikat

    Die Firma Thanner steht für Inklusion. Mit seiner Handwerkskunst sorgt das Unternehmen dafür, dass Menschen mit deformierten Füßen dennoch modische Schuhe tragen können. "Wir haben auch schon für einen der größten Männer der Welt einen Schuh gemacht", berichtet Geschäftsführer Dieter Kipfelsberger. Der Mann, der an den Folgen der Atom-Katastrophe in Tschernobyl litt und mittlerweile starb, sei 2,56 Meter groß gewesen. Er brauchte Schuhe mit der Größe 62, die es in keinem Laden zu kaufen gibt. Und so machte sich die Firma Thanner an die Maßanfertigung. Denn in Höchstädt sind jeder Schaft und jeder Schuh ein Unikat.

    Kunden, deren Fußform aus dem normalen Rahmen fällt, können im Katalog des Orthopädie-Zulieferers aus mehr als 1800 Modellen auswählen. Als die Thanner-Erfolgsgeschichte begann, habe es bei den orthopädischen Schuhen nur wenig Auswahl gegeben. Da seien eintönige schwarze, braune und bordeauxfarbige Stiefel im Umlauf gewesen, erinnert sich Seniorchefin Gerlinde Thanner. Die Firma setzte von Anfang an auf modischere Schnitte, die Nähte wurden feiner und eleganter. Das anfangs von der Konkurrenz belächelte Unternehmen entwickelte sich sprunghaft.

    Arthur Thanners Erfolgsgeschichte begann im Schuhgeschäft seines Vaters

    Und dies aus kleinsten Anfängen. August Thanner, der Vater des Seniorchefs, hatte 1927 in Höchstädt ein Schuhgeschäft gegründet. Sohn Arthur schien zunächst einen anderen Weg einzuschlagen. Er besuchte das Gymnasium in Dillingen, das am Ende des Kriegs allerdings vorübergehend geschlossen war. Uns so half Arthur Thanner im Geschäft seines Vaters aus. Aus einem kurzfristig angedachten Einsatz wurde eine lebenslange Leidenschaft, der heute 90-Jährige kehrte nicht auf die Schulbank zurück, er erlernte den Beruf des Schuhmachers. "Das ist mein Traumberuf", sagt Arthur Thanner. Die zweite wichtige Entscheidung fiel 1974.

    Damals begannen Arthur Thanner und seine Frau Gerlinde im damaligen Schuh- und Sportartikel-Geschäft in der Bahnhofstraße mit der Produktion von Schuhschäften für die Orthopädie. Auch hier hatte der Zufall Regie geführt. Gerlinde Thanners Bruder war ebenfalls Orthopädie-Schuhmachermeister. Als dessen Schäftemacher starb, hieß es dann: "Jetzt müsst Ihr mir Schäfte machen", erinnert sich Gerlinde Thanner.

    Seit 1978 konzentriert sich die Firma Thanner komplett auf die Orthopädie-Schuhtechnik

    Der dritte spielentscheidende Wendepunkt: Arthur Thanner hörte auf seine Frau, denn sie wies ihn darauf hin, dass beides zusammen, das Einzelhandelsgeschäft und die Schäfte-Produktion, nicht mehr zu schaffen war. Und so gaben die Thanners 1978 ihren Laden auf, konzentrierten sich voll auf die Orthopädie-Schuhtechnik und bauten 1980 eine Fabrikationshalle am Fallenweg in Höchstädt.

    Seit 1994 führen Tochter Nicola Thanner und ihr Mann Dieter Kipfelsberger das Unternehmen, das in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gewachsen ist. Und ein Ende der mehr als 90-jährigen Erfolgsgeschichte ist nicht in Sicht, denn Sohn Luca hat inzwischen eine Ausbildung zum Orthopädie-Schuhmacher begonnen.

    Sie schreiben mit ihrer Firma eine Erfolgsgeschichte: (von links) Gerlinde und Arthur Thanner sowie Nicola Thanner und Dieter Kipfelsberger.
    Sie schreiben mit ihrer Firma eine Erfolgsgeschichte: (von links) Gerlinde und Arthur Thanner sowie Nicola Thanner und Dieter Kipfelsberger. Foto: Marcus Merk

    Die Herstellung eines maßangefertigten Schuhs ist ein komplexer Prozess, es paaren sich Handwerkskunst mit industriellen High-Tech-Abläufen. Maßangefertigte Schuhe bei Thanner haben bis zu 80 Einzelteile. Die Kosten eines Exemplars im Fachhandel liegen bei bis zu 2500 Euro, den Löwenanteil übernimmt die Krankenkasse, einen Eigenanteil bezahlt der Kunde selbst.

    Die Standorttreue gehört für die Familie Thanner zur Firmenphilosophie. "Wir stellen von deutschen Krankenkassen bezahlte Produkte her", erklärt Dieter Kipfelsberger. "Diese sollen dann auch hier gefertigt werden." Zum Spirit des Unternehmens zählt aber auch die Überzeugung, etwas Sinnvolles zu tun. Nicola Thanner sagt: "Wenn sich ein behindertes Mädchen über ein neues Paar Schuhe in verschiedenen Pink-Tönen riesig gefreut hat, ist das für uns eine schöne Bestätigung."

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