Es war kurz nach Weihnachten vergangenen Jahres, als die Hoffnung in der Corona-Pandemie nahte: der Impfstoff. Am heutigen Samstag ist der Impfstart im Landkreis Dillingen genau drei Monate her. Der Start verlief holprig.
Am 27. Dezember sollte es losgehen, im AWO-Seniorenheim in Höchstädt. Weil es Unsicherheiten gab, ob die Kühlkette bei der Verteilung des Impfstoffs eingehalten worden war, zog Landrat Leo Schrell zunächst die Notbremse. Der Impfstart begann schließlich erst am frühen Abend. Bewohner Anton Lang war dann der erste Impfling im Landkreis Dillingen.
„Prima“, antwortet er am Telefon auf die Frage, wie er die Impfung vertragen hat. Der Rentner würde jedem empfehlen, sich impfen zu lassen, sagt er. „Das Chaos seitens des Staates ist das Schlimmste.“ Dieter Elsässer wohnt ebenfalls im Seniorenheim. Seit der Impfung fühlt er sich sicherer. Er geht einkaufen oder einfach mal raus. „Vorher war es furchtbar, man traute sich nirgends hin.“ Die Impfung hat der 73-Jährige gar nicht bemerkt. Eine ältere Dame hatte nach der zweiten Impfung etwas Gliederschmerzen.
Anfangs, so erzählt Heimleiter Stefan Hintermayr, seien die Angehörigen besorgt gewesen, wie die Senioren die Impfungen vertragen. Inzwischen liege die Impfdichte unter den Bewohnern bei 90 Prozent. Die Mitarbeiter wurden mit AstraZeneca geimpft und hätten zum Teil Fieber bekommen. „Aber insgesamt haben sie das Mittel gut verkraftet und so ließen sich noch mehr Kollegen impfen“, sagt Hintermayr.
Von den Besuchern sei bislang kaum einer geimpft, weiß der Heimleiter. Die Hygienemaßnahmen werden deswegen weiterhin hochgehalten. „Wir testen wie die Wahnsinnigen, es gibt ja keinen Tag ohne Besucher.“ Zumal sich die gefährliche Mutante B1.1.1.7 weiter ausbreitet. Die Mitarbeiter werden drei Mal die Woche getestet, darunter ist ein PCR-Test. Auch die Bewohner sind regelmäßig dran. „Wir tragen alle weiterhin FFP2-Masken, denn wir gehen auf Nummer sicher. Und hoffen, dass wir im Frühsommer, wenn die Impfdichte insgesamt höher ist, wieder mehr Freiheiten haben“, sagt Hintermayr. An Ostern werden manche Familien ihre Lieben aus dem Pflegeheim zu sich holen. Man könne da nur appellieren, vorsichtig zu sein.
Ortswechsel: Auf dem Wertinger Ebersberg führt Lisa Huber durch das Impfzentrum, welches im vergangenen Herbst sehr kurzfristig in der alten Dreifachturnhalle und dem Hallenbad eingerichtet wurde. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte die Altenmünsterin in diesen Räumlichkeiten Sportunterricht. Jetzt ist die 26-Jährige als Ärztliche Leiterin für die Impfungen zuständig.
In den vergangenen drei Monaten hat sich für sie eine Eigenschaft in ihrer neuen Aufgabe als allerwichtigste herausgestellt: Flexibilität. Als der AstraZeneca-Impfstoff vergangene Woche kurzfristig für unsicher erklärt wurde, mussten zunächst abends im Akkord Termine gecancelt werden – nur um sie Tage später wieder frühmorgens neu auszumachen. „Wir waren nur heilfroh, dass wir an dem entsprechenden Tag keinen AstraZeneca-Impfstoff verwendet hatten“, sagt Huber. Sonst hätten die Telefone wohl gar nicht mehr stillgestanden.
Landrat Leo Schrells Einschätzung lautet so: „Wir könnten fünfmal so viel impfen – wenn wir genügend Impfstoff hätten.“ Das ist angesichts der Auslastung des Impfzentrums recht hoch angesetzt. Schon jetzt bekommen um die 200 Personen täglich ihre Impfung auf dem Ebersberg, sagt Huber. An Spitzentagen waren es auch schon rund 450. Ausgelegt ist das Impfzentrum derzeit auf bis zu 700 Impfungen täglich.
Dieser Andrang geht mit großem Verwaltungsaufwand einher, berichtet der 20-jährige Maximilian von Linden. Der Friedberger ist dafür verantwortlich, dass alle Besucher korrekt in der Software erfasst werden. Das bedeutet aber auch, dass er all diejenigen, die keine Berechtigung auf eine Impfung haben, wieder wegschicken muss. „Das kommt immer wieder vor“, sagt der junge Mann, erst kurz vor dem Gespräch musste er zwei Personen abweisen. Manche seien immer noch der Meinung, dass sie den begehrten Impfstoff auch ohne Termin bekommen könnten.
Innerhalb der Bevölkerung kursieren viele falsche Informationen und Annahmen, so empfinden es auch die Ärztin Melina Beck und die medizinisch-technische Assistentin Elisabeth Oertel. Beide Frauen berichten, dass sie mit allerlei Ängsten ihrer Verwandten und Bekannten rund um die Impfung konfrontiert werden – durch ihre Arbeit sind sie auch privat Ansprechpartner Nummer eins in derlei Dingen geworden. Ein Gerücht haben beide Frauen schon mehrfach ausgeräumt: „Viele haben Angst, durch die Impfung unfruchtbar zu werden“, sagt Melina Beck, obwohl das nicht stimme. Sie sei immer froh, wenn sie diese Angst ausräumen könne. Bei den Impfungen selbst erleben die beiden Frauen nur sehr wenig Berichtenswertes. Außer einer einzelnen, allerdings nicht besonders schweren allergischen Reaktion und einigen Patienten, die eine Panikattacke angesichts der Spritze erlebten, habe es bisher keine negativen Vorfälle während oder nach einer Impfung gegeben.
Im Gegenteil. Das alte schwäbische Lebensmotto „Nicht geschimpft ist gelobt genug“ scheint für ihre Arbeit nicht zuzutreffen. Nach dem holprigen Start des Impfzentrums – vor der Erweiterung im Februar waren die Räumlichkeiten sehr viel beengter, sodass manche Besucher draußen in der Kälte warten mussten – läuft jetzt laut Lisa Huber alles wie am Schnürchen. „Wir bekommen sehr viel positive Rückmeldung, das freut uns wirklich“, sagt Huber. Im gesamten Team herrsche das gute Gefühl vor, einen Beitrag zu leisten angesichts der weltweiten Herausforderung.
Bleibt die Frage, ob das Impfzentrum wirklich nur bis zum 30. Juni in Betrieb sein wird, so wie es derzeit noch vom Landkreis geplant ist. Die Antwort von Maximilian von Linden bringt die Lebenswirklichkeit der Mitarbeiter des Impfzentrums im Angesicht von turbulenten politischen Entscheidungen und Entwicklungen auf den Punkt: „Wissen wir denn, was nächste Woche ist?“ "Diese Woche