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Schicksal: Vom Problemkind zum Einserschüler: Wie Frank das geschafft hat

Schicksal

Vom Problemkind zum Einserschüler: Wie Frank das geschafft hat

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    Frank lebt im Gundelfinger Kinderheim. Für ihn sind die Menschen dort zur Familie geworden. Der 14-Jährige hat keine Eltern mehr.<b>  </b>
    Frank lebt im Gundelfinger Kinderheim. Für ihn sind die Menschen dort zur Familie geworden. Der 14-Jährige hat keine Eltern mehr.<b>  </b>

    Die Kosten für die Jugendhilfe im Landkreis Dillingen steigen. Woran liegt das? Auf der Suche nach Gründen sind wir auf die Vielfalt von Hilfen für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern gestoßen. Diese stellen wir in einer losen Reihe vor.

    Die teuerste Maßnahme für Kinder und Jugendliche ist die Betreuung in einem Heim, sagt Schwester Maria Elisabeth Marschalek. Sie leitet seit Jahrzehnten das Gundelfinger Kinderheim, das preislich im mittleren Bereich liege. Die Unterschiede zwischen den Heimen seien teils erheblich. Doch grundsätzlich ist die Schwester davon überzeugt, dass diese Form der Unterbringung Kindern helfen kann. Aber nicht allen. „Man muss jeden Fall prüfen, immer wieder.“

    Das Amt für Jugend und Familie in Dillingen kümmert sich generell darum, ob ein Kind in Obhut genommen werden soll. Die Entscheidung darüber fällt laut Michael Wagner, Leiter des Jugendamtes, gegebenenfalls das Familiengericht. Das Elternrecht sei vom Grundgesetz geschützt, ein Eingriff nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig.

    17 Kinder wurden 2017 in Obhut genommen 

    17 Kinder und Jugendliche sind 2017 durch den Landkreis in Obhut genommen worden. Vier davon hatten sich selbst beim Jugendamt gemeldet. Manche Kinder kommen ins Heim und kehren irgendwann zu ihrer Familie zurück. Andere leben in einer Pflegefamilie. Und manche bleiben im Heim. So wie Frank. Er hat einen Vormund, eine Mitarbeiterin des Jugendamtes. Sie kümmert sich um ihn und trifft ihn auch regelmäßig.

    Frank lebt seit acht Jahren in Gundelfingen. Für ihn gab es keine Alternative. Seine Mutter starb, als er noch klein war. Zu seinem Vater konnte er nicht. Zu einer Pflegefamilie auch nicht. „Es war die richtige Entscheidung, dass er zu uns kam“, sagt Schwester Maria Elisabeth Marschalek. Der schmale 14-Jährige mit coolem Shirt und runder Brille schaut auf die Tischplatte, spielt mit seinen Fingern und erzählt. Er besucht das Dillinger Bonaventura-Gymnasium und gehört mit 1,8 in Mathe zu den Besten seiner Klasse. Naturwissenschaften sind genau seins. „Latein nicht so.“ Und er liest viel. Sein Wissensdurst sei unbegrenzt. Er habe viele Begabungen, sagt Schwester

    Er sei hochaggressiv gewesen 

    Frank sagt: „Ich war schwierig.“ Schwester Maria Elisabeth sagt: „Das war nicht harmlos.“ Der Junge sei hochaggressiv gewesen. Leicht zu provozieren, schwer zu kontrollieren. An einer Regelschule nicht mehr beschulbar. Also kam Frank in eine besondere Klasse an der Höchstädter Mittelschule. Dort hätten sich die Lehrer viel Mühe mit ihm gegeben. Dieser hohe Einsatz der Lehrerin und Sozialarbeiterin führte nach zwei Jahren zu einem großen Erfolg: Frank konnte an das St. Bonaventura Gymnasium in Dillingen wechseln. Eine Pflegefamilie wäre mit dem Kind überfordert gewesen. Nur lieb sein reiche in so einem Fall einfach nicht. „Frank hat Hilfe bekommen und bekommt sie bis heute“, erzählt Schwester Maria Elisabeth.

    47 Plätze gibt es im Kinderheim. Alle Kinder, die in Gundelfingen wohnen, kamen über ein Jugendamt dorthin. Alle Fälle wurden geprüft. Für jeden angebotenen Platz gibt es einen sogenannten Pflegesatz, der mit dem Staat, einer Pflegesatzkommission, jährlich verhandelt wird. Rund 75 Prozent davon seien reine Personalkosten, der Rest für Sach- und Investivkosten, erklärt Schwester Maria Elisabeth.

    Ein Mal pro Woche ist Frank bei einer Therapeutin. Die Sitzungen bezahlt die Krankenkasse. In Gundelfingen gibt es feste, familienähnliche Strukturen. So ein Fall wie Frank, sagt die Schwester Maria Elisabeth, erfordere Zentimeterarbeit. Es gehe nur sehr, sehr langsam voran. Zudem brauche Frank den Mut, seine Eigenschaften, seine Stärken zu erkennen. „Dafür geben wir ihm den Rahmen. Das ist der Vorteil in einer Gruppe.“ Die Schwester legt großen Wert darauf, dass die Kinder sich eine eigene Meinung bilden und lernen zu argumentieren. Auch Frank diskutiere eifrig mit, wenn am Sonntag nach dem Gottesdienst in der Vollversammlung alle sagen dürfen, was sie gerade beschäftigt.

    Er flippte schnell aus

    Doch selbst dieses Wissen, die Arbeit im Heim und die Therapie alleine hätten nicht geholfen: Ohne seinen Schulleiter Franz Haider, betont die Schwester, wäre Frank längst nicht mehr auf dem Gymnasium. Der Schüler habe lernen müssen, sich zu benehmen. Und seine Klassenkameraden, warum er so empfindlich war. Als seine Klasse eine Woche Skifahren ging, durfte Frank nicht mit. Das Risiko, dass er mitten in den Bergen ausflippt, war den Betreuern zu groß. Doch er musste die Zeit auch nicht allein im Klassenzimmer absitzen, sondern durfte zuhause bleiben und bekam eine sinnvolle Beschäftigung. Das war der Kompromiss.

    Bei der nächsten Schulfahrt nach Rom wird Frank dabei sein. Er hat sich schon vorangemeldet. Darauf sind beide stolz, er und Schwester Maria Elisabeth. „Unsere Kinder sind so wie andere Kinder auch, lapidar gesagt, so gut und so schlecht. Sie brauchen Hilfe und Unterstützung, um ihr eigenes Potenzial zu entwickeln.“ Sie müssten lernen, ihr Leben in den Griff zu bekommen und ihren Platz in der Gesellschaft finden. Das dürfe keine Frage der Kosten sein. Die Kinder hätten sich ihre Lebenssituation, nicht in der eigenen Familie aufwachsen zu können, nicht ausgesucht. Auch deshalb sei es wichtig, tatsächlich die Hilfe zu bekommen, die zu ihnen passt.

    Er spielt gern Schafkopf 

    Frank will mehr. Er ist schon 61,4 Kilometer von Oberstdorf nach Immenstadt gerannt und mal 56 Kilometer geradelt. Der Teenager ist großer Dortmund-Fan, spielt selbst seit Jahren Fußball und würde demnächst gern einem Gundelfinger Verein beitreten, um dort zu kicken. Er spielt gern Schafkopf mit Schwester Maria Elisabeth. Hat immer vier, fünf Bücher zum Lesen dabei. Vielleicht, so vermutet die Heimleiterin, hat er trotz oder gerade aufgrund seines schweren Schicksals gelernt, dass er sich selbst etwas aufbauen muss. Eine junge Frau aus dem Kinderheim, die inzwischen Mathe studiert, ist sein großes Vorbild.

    Und der Schüler ist viel entspannter geworden. „Es gibt jetzt nicht mehr so viele Sachen, die mich stören“, sagt er leise und schaut auf die Tischplatte. Vor ein paar Monaten ist sein Vater gestorben, den er kaum kannte. „Ich wusste, dass er nicht alt wird“, sagt der Junge. Mit Schwester Maria Elisabeth fuhr er zur Beerdigung. Es gibt nicht mal Fotos von den Eltern. „Man kann sich sein Leben nicht aussuchen“, meint der 14-Jährige. Das Gundelfinger Kinderheim ist sein Zuhause geworden. „Ich bleibe hier, bis ich wegmuss“, sagt er entschlossen. „Ist ja schließlich mein Leben.“

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