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Prozess: Mann bedroht Eltern mit Luftpistole

Prozess

Mann bedroht Eltern mit Luftpistole

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    Weil er seine Eltern mit einer Waffe bedroht hat, stand ein Mann aus dem Landkreis Dillingen vor Gericht.
    Weil er seine Eltern mit einer Waffe bedroht hat, stand ein Mann aus dem Landkreis Dillingen vor Gericht. Foto: Alexander Kaya (Symbolfoto)

    Er werde kämpfen, sagt der Angeklagte unmittelbar vor dem Urteil. „Ich werde die Zähne zusammenbeißen.“ Zuvor ist vor dem Amtsgericht in Augsburg deutlich geworden, wogegen er ankämpfen muss: seine Alkoholsucht. Der 23-Jährige ist trockener Alkoholiker. Bis zu dem Tag, weswegen er jetzt vor Gericht steht.

    Im Gerichtssaal 112 wird „Nötigung und Sachbeschädigung“ verhandelt, so ist im Aushang zu lesen. Nichts Spektakuläres möchte man meinen. Ein Irrtum, je länger man der jungen Staatsanwältin beim Verlesen der Anklage zuhört.

    Der Vater lässt sich nicht einschüchtern

    Es ist ein Abend im Februar, als der junge Mann die Wohnung der Eltern im Landkreis Dillingen betritt. Als sein Vater sich weigert, ihn nach Augsburg zu fahren, rastet Erwin B., dessen Name geändert wurde, aus – und zieht eine Luftpistole. Er schießt auf Wände, dann auf den Fernseher, bevor er seinen Vater am Hemdkragen packt, ihm den Pistolenlauf in die Wange drückt. Doch der 67-jährige Rentner lässt sich trotz der gefährlichen Situation nicht einschüchtern. Auch nicht, als sein Sohn droht, ihn umzubringen.

    Die Mutter des Angeklagten hat sich zwischenzeitlich im Bad verbarrikadiert, telefoniert mit der Polizei. Ihr Sohn tritt die Tür ein, schießt wahllos herum. Wieder verlangt er, nach Augsburg gefahren zu werden, will andernfalls den Autoschlüssel. Doch ebenso couragiert wie ihr Mann behält die Mutter die Nerven, sagt Nein. Sogar dann noch, als ihr Sohn sich die Waffe an den Kopf hält, damit droht sich umzubringen. Minuten später rennt der 23-Jährige aus der Wohnung. Als er zwei Stunden später zurückkehrt, ist die

    Ebenso erstaunlich ist der Auftritt der Eltern vor Gericht. Überraschend erklärt der Vater, sein Sohn, aus der U-Haft vorgeführt, könne jederzeit wieder bei ihm einziehen. Mehr will er nicht sagen, um diesen nicht zu belasten. Und als die Mutter auf dem Zeugenstuhl Platz nimmt, verraten ihre ersten Worte: Auch sie hat ihrem Sohn verziehen. Beim Betreten des Gerichtssaals hatten beide sich sekundenlang angesehen, beide lächelten.

    "Eine tickende Zeitbombe"

    Aus den Fragen des Gutachters und den Antworten der Mutter wird das Verhalten der Beteiligten verständlicher: Erwin B. war seit seiner Geburt ein Problemkind. Geistig beeinträchtigt, möglicherweise die Folge einer Hirnhautentzündung, Förderschüler. „Er ist fast Analphabet“, sagt die 61-jährige Mutter. Ihr Sohn hat als Dachdecker gearbeitet, auch am Tag, als es passierte.

    „Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht mehr viel“, hatte der junge Mann zu Prozessbeginn versichert. Er sei nach der Arbeit erst zu seinem Bewährungshelfer gegangen. Er hatte wieder Mist gebaut, fürchtete, erneut ins Gefängnis zu müssen. „Und mit meiner Ex-Freundin hatte ich so Stress.“ Er war unglücklich, sie hatte ihn kurz zuvor aus ihrer Augsburger Wohnung geworfen. „Sie war seine erste große Liebe gewesen. Er wollte sie heiraten, war unheimlich verliebt“, wird später die Mutter berichten. Der 23-Jährige erinnert sich noch, dass er an einem See Wodka trank, den er sich zuvor im Supermarkt besorgt hatte. Nach dem Zwischenfall bei seinen Eltern kehrte er dorthin zurück. Die Waffe warf er dort, eingewickelt in sein T-Shirt, ins Wasser.

    Der Angeklagte hat sich vor und während des Prozesses bei seinen Eltern mehrmals entschuldigt. „Es ist mir unbegreiflich, so etwas getan zu haben.“ Und noch eines ist ihm wichtig, wie er unter Tränen betont, er will seine Arbeit als Dachdecker nicht verlieren. Dies wäre aber der Fall, käme er ins Gefängnis. Sein Verteidiger Andreas Tomalla legt dazu dem Gericht ein Schreiben seines Arbeitgebers vor. Dort heißt es, dieser würde ihn sofort wieder einstellen.

    Der Psychiater sieht eine hohe Rückfallgefahr

    Es wird für den Angeklagten eine Illusion bleiben. Zwar wäre die Tat ohne Alkohol nicht passiert, ist sich Gutachter Oliver Kistner sicher. Aber das Gehirn von Erwin B. sei durch den Alkoholmissbrauch vorgeschädigt. Der Psychiater sieht eine hohe Rückfallgefahr beim Angeklagten, dass er wieder zu trinken beginnt, alkoholisiert Straftaten verübt. Kistner und der Angeklagte kennen sich aus einem früheren Verfahren.

    Wenig überraschend folgt das Gericht der Empfehlung des Gutachters. B. wird zu einer zehnmonatigen Haftstrafe verurteilt, muss jedoch nicht ins Gefängnis, sondern wird gleich als sogenannter Maßregelvollzug in eine geschlossene Suchtklinik eingewiesen. Für wie lange, das ist ungewiss. „Es ist nicht viel passiert, kann aber wieder passieren“, sagt Richterin Susanne Scheiwiller im Urteil. Der Angeklagte sei unbehandelt „eine tickende Zeitbombe“.

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