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Porträt: Liesse Ebengo aus Dillingen ist kein Fräulein mehr

Porträt

Liesse Ebengo aus Dillingen ist kein Fräulein mehr

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    Liesse Ebengo ist aus der Demokratischen Republik Kongo geflohen. In ihrer neuen Heimat Dillingen spaziert sie besonders gerne entlang der Donau. Um anderen Menschen mit einer Fluchtgeschichte Mut zu machen, hat sie ein Buch geschrieben.  	„Manche Bewohner haben mich gefragt, ob ich abfärbe.“
    Liesse Ebengo ist aus der Demokratischen Republik Kongo geflohen. In ihrer neuen Heimat Dillingen spaziert sie besonders gerne entlang der Donau. Um anderen Menschen mit einer Fluchtgeschichte Mut zu machen, hat sie ein Buch geschrieben. „Manche Bewohner haben mich gefragt, ob ich abfärbe.“ Foto: Vanessa Polednia

    Liesse Ebengo ist in Dillingen angekommen. Für Außenstehende schien ihre Zukunft in Deutschland ungewiss, sie selbst hat nie an sich selbst gezweifelt und möchte Menschen mit einer ähnlichen Geschichte Mut machen.

    Porträt: Liesse Ebengo flüchtete aus dem Kongo

    Im November 2008 kam Ebengo in Dortmund an. Die damals 33-Jährige war hungrig, durstig und müde. Man gab ihr Essen, Trinken und einen Schlafplatz. Man hieß sie willkommen, sagt sie. „Das Gefühl werde ich nie vergessen.“ Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen und mit einem Zettel in der Hand, ging es mit dem Zug weiter nach München. Drei Monate verbrachte sie in einem Übergangslager. Beim Vorsprechen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge musste Ebengo erklären, wieso sie aus dem bürgerkriegsgeplagten Kongo geflohen ist. Die persönliche Anhörung ist der wichtigste Termin innerhalb eines Asylverfahrens.

    Anfang 2009 wird Liesse Ebengo in den Landkreis Dillingen geschickt. Es ist Samstag, als sie mit einer weiteren Frau aus dem Kongo vor der Gemeinschaftsunterkunft an der Kohlplatte in Höchstädt ankommt. Mit klammen Fingern hält sie den Griff ihres Koffers. Darin befinden sich gespendete Kleider, Hygieneartikel und ihr einziger, persönlicher Gegenstand: eine Bibel in französischer Sprache. Der schwarze Einband ist von der Reise halb zerfleddert. Halt gab ihr das Buch, das von Flucht und Vertreibung handelt. Mental anstrengend nennt sie das Ankommen in

    Liesse Ebengo hat es geschafft

    Eine halbe Stunde dauert der Termin am Amtsgericht Augsburg, der 2012 über Liesse Ebengos Leben entscheiden soll. Die Kongolesin ist nicht die einzige Asylsuchende, über deren Aufenthaltsstatus an diesem Tag entschieden wird. Zusammen mit ihrer Anwältin wartet sie im Vorraum zum Sitzungssaal. Die Tür öffnet sich. Eine Frau kommt weinend heraus. Weitere sollen folgen. Ebengo ist nervös, zweifelt trotzdem keine Sekunde daran, dass ihr Schicksal ein anderes ist. Endlich bitten die Richter sie in den Saal. Wie im Zeitraffer rattern die Juristen die Paragrafen hinunter. Die Frau aus dem Kongo hat vier Jahre auf diesen Moment gewartet. Sie versteht kaum etwas – bis ihr Dolmetscher die erlösenden Worte sagt: „Sie haben es geschafft.“ Liesse Ebengo darf in Deutschland bleiben. Überglücklich verlässt sie den Gerichtssaal. Acht Jahre später kommt ihr alles wie im Film vor.

    Der Landkreis Dillingen ist Ebengos zweite Heimat geworden. Wenn man mit ihr durch die Stadt spaziert, weist sie den Weg, grüßt Bekannte als auch Unbekannte und erzählt Anekdoten. In einer Fahrschule unweit der Großen Allee hat sie ihren Führerschein gemacht. Im Gebäude der Volkshochschule fand ihr sechsmonatiger Sprachkurs statt. Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen verfolgten dort das gleiche Ziel: diese unheimlich komplizierte Sprache zu erlernen. Ebenso schafft sie, das für eine Ausbildung notwendige B1-Level in Deutsch mit Bestnote. Doch trotz bestandener Prüfung muss die wissbegierige Kongolesin feststellen: „Ich habe die Leute trotzdem nicht verstanden.“ Ebengo lacht herzlich. Der schwäbische Dialekt stellt sie bis heute vor Herausforderungen.

    Liesse Ebengo floh aus dem Kongo und hat sich in Dillingen eine neue Existenz aufgebaut.
    Liesse Ebengo floh aus dem Kongo und hat sich in Dillingen eine neue Existenz aufgebaut. Foto: Vanessa Polednia

    Nach ihrem Integrationskurs nimmt sie sich vor, eine Ausbildung zu machen. In Kinshasa, mit 11,6 Millionen Einwohnern die drittgrößte Stadt Afrikas, hatte sie nach dem Abitur eine Ausbildung zur Informatikerin absolviert. In der schwäbischen Provinz fängt sie wieder bei null an – und sammelt Berufserfahrung in der Altenpflege an vielen Orten der Region: im Seniorenheim der AWO in Höchstädt, im BRK-Zentrum in Donauwörth, in der Hospitalstiftung Lauingen und im Haus der Senioren in Gundelfingen. An der Berufsfachschule für Altenpflege in Wertingen erfüllt sie sich den Wunsch nach einer in Deutschland anerkannten Ausbildung. Rassismus habe sie bei der Arbeit nicht erfahren, sagt sie. Die Heimbewohner seien vielmehr neugierig gewesen, da sie zuvor nur selten oder gar keinen Kontakt mit Afrikanern gehabt hätten. „Manche Bewohner haben mich gefragt, ob ich abfärbe“, erinnert sich Ebengo und lacht. Mittlerweile arbeitet sie bei der Lebenshilfe in Hausen.

    Ihr Buchtitel lässt sich mit "Fräulein" übersetzen

    Schon ihre Eltern hätten ihr beigebracht immer das Positive im Leben zu sehen. Daran hält sie bis heute fest. Über das, was vor ihrer Flucht aus dem Kongo im Jahre 2006 passiert ist, spricht sie nicht. Negative Erinnerungen scheucht sie wie die Stechmücken hier an der Donau mit einer lässigen Handbewegung weg. Lange hatte sie mit Schlaflosigkeit und Migräne zu kämpfen. Am Fluss findet sie Ruhe. Sie liest gerne. Vor allem Ratgeber. Ihre größte Leidenschaft aber ist das Schreiben. Bereits als Kind habe sie sich Geschichten ausgedacht und diese in den Sand gezeichnet. Und bereits damals wollte sie Schriftstellerin werden. Mit „Moseka – Eine Geschichte“ hat sie sich nun diesen Traum erfüllt. Über „Books on Demand“, einem Onlineverlag, lässt sich ihr erstes eigenes Büchlein bestellen.

    Die Dillingerin ist stolz und strahlt noch mehr als ihre farbenfrohe Kleidung während sie über ihr Buch spricht. Der Titel lässt sich mit „Fräulein“ übersetzen. Liesse Ebengo, ledig und kinderlos, ist demnach eine Moseka. Ihre Lebenserfahrung, die sich über zwei Kontinente erstreckt, lässt die veraltete Bezeichnung dagegen unpassend wirken.

    Das Buch, das sie auf Französisch geschrieben hat und von einem Bekannten übersetzen ließ, ist kein Bestseller. Doch für Liesse Ebengo markiert die Veröffentlichung einen neuen Lebensabschnitt. Ein Leben, in dem es sich zu träumen lohnt. Ihr großes Ziel: Irgendwann einmal auf große Lesereise mit vielen Zuschauern gehen.

    Lesen Sie den Kommentar dazu: Eine Erfolgsgeschichte, die Mut macht

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