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Landkreis Dillingen: Zahnärzte müssen sich selbst helfen

Landkreis Dillingen

Zahnärzte müssen sich selbst helfen

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    Mit selbst genähten Schutzmasken versucht sich das Team der Zahnarztpraxis Morin in Dillingen zu helfen. Im Bild (von links): Jennifer Schilla, Barbara Negele-Hieber, Patricia Gruber, Nadine Lohner, Dr. Dr. Philippe Morin.
    Mit selbst genähten Schutzmasken versucht sich das Team der Zahnarztpraxis Morin in Dillingen zu helfen. Im Bild (von links): Jennifer Schilla, Barbara Negele-Hieber, Patricia Gruber, Nadine Lohner, Dr. Dr. Philippe Morin. Foto: Morin

    Selbst genähte Gesichtsmasken und aus durchsichtigen Overhead-Plastikvorlagen in Eigenproduktion hergestellte Visiere. „Löblich“, so die Aussagen von Politikern in einer Zeit der Krise, in der jedermann zum Schutz des Nächsten aufgerufen ist. Dass jedoch Zahnärzte in Bayern und auch im Landkreis Dillingen mit solchen Schutzmaßnahmen ihre Patienten behandeln müssen, sei ein unfassbarer Skandal, so die einhellige Meinung der Zahnärztinnen und Zahnärzte, mit denen wir zu diesem Thema gesprochen haben.

    Seit Wochen bemühen sich die zahnmedizinischen Praxen im Landkreis Dillingen um Schutzkleidung – mit wenig Erfolg. Dabei folgen sie den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und den Anweisungen der Standesorganisation: Sie stehen jeden Tag den Patienten zur Verfügung und sind für Notfälle bereit.

    Seit Ende Februar warten sie auf bestellte Schutzkleidung

    Dr. Philippe Morin links uns seine Frau Claudia bei der Behandlung einer Patientin mit selbst gebastelten 
Visieren.
    Dr. Philippe Morin links uns seine Frau Claudia bei der Behandlung einer Patientin mit selbst gebastelten Visieren. Foto: Horst von Weitershausen

    Dr. Philippe Morin aus Dillingen und seine Frau Claudia haben bereits um den 20. Februar herum Mund-und-Nasenschutz-FFP-2-Masken bestellt, ebenso Behandlungsvisiere, Schutzkleidung und Desinfektionsmittel. „Bekommen haben wir bis heute nichts“, so die beiden Zahnmediziner. Deshalb greifen sie zum Teil auf selbst gefertigte Visiere und von Bekannten genähten Gesichts- und Nasenschutzmasken zurück. Desinfektionsmittel komme in kleinen Mengen aus der Apotheke. Handschuhe und Schutzkleidung sei in ihrer Praxis noch in kleinen Mengen vorhanden.

    Abstand halten bei der Zahnarztbehandlung? Wie denn?

    „Dabei sind wir ja neben den Patienten auch für die Gesundheit unserer Mitarbeiter verantwortlich“, sagt Claudia Morin „und wenn wir diese nicht mehr gewährleisten können, müssen wir die Praxis schließen.“ „Das Coronavirus hält sich vor allem im Mund und Rachenraum auf“, sagt Dr. Morin. Abstand zu halten sei aber für das zahnmedizinische Personal und den Zahnarzt nicht umsetzbar, wodurch für beide Seiten, Patient und Praxisangehörige, jede Behandlung ohne ausreichendes Schutzmaterial zu einem unkalkulierbaren Risiko werde.

    „Zahnärzte arbeiten direkt am offenen Mund mit einem Maximalabstand von 25 bis 40 Zentimetern“, sagt Dr. Rudolf Goletzko aus Höchstädt. Dabei sind nach den Worten des Zahnarztes Turbinen und Ultraschallgeräte im Einsatz, wodurch Aerosole in und außerhalb des Patientenmundes entstehen, die zu potenziellen Virenverteilern werden, sollte ein Patient mit dem Coronavirus infiziert sein. „Hierbei hilft nur effiziente Schutzkleidung und FFP2-Schutzmasken, die den Coronavirus auch nachweislich abhalten können“.

    Diese im notwendigen Umfang zu bekommen sei jedoch einfach nicht möglich, berichtete die Kassenzahnärztliche Vereinigung Bayerns (KZVB) in einem Schreiben vom 1. April an ihre Mitglieder. Darin wird wörtlich angeführt: „Die von Jens Spahn vollmundig versprochenen Zuteilung von Schutzmasken an die Kassenzahnärztliche Vereinigung war eine Luftnummer.“ Weiterhin wird in dem Schreiben mitgeteilt, dass die Verteilung von FFP2-Masken ausschließlich über die Katastrophenschutzbehörden (Kreisverwaltungsbehörden) erfolge, jedoch in der Regel nur für Zahnärzte die am Notdienst teilnehmen, sofern tatsächlich die Schutzmasken vorhanden sein sollten. „Damit zieht sich die KZVB als Standesorganisation für ihre Mitglieder wieder einmal aus ihrer Verantwortung“, beklagt Andra Krauß, Zahnmedizinerin mit Praxis in Wertingen. Wie bei ihren Kolleginnen und Kollegen im Landkreis, fehle es auch in ihrer Praxis beinahe an allen Arten von Schutzmaterialien. Ohne zu improvisieren und die Behandlung von Patienten auf das Notwendigste herunterzufahren, sprich nur Notfälle und Schmerzpatienten zu behandeln, müsste diese Berufsgruppe in Bayern eigentlich zu machen.

    Zahnärzte sind als Empfänger von Schutzkleidung nicht vorgesehen, erfährt eine Wertinger Ärztin

    Wie von der KZVB vorgeschlagen, habe sie als teilnehmende Praxis für den Notdienst bei der Katastrophenschutzbehörde im Landratsamt Dillingen wegen der FFP2-Schutzmasken und anderer Schutzausrüstung nachgefragt. Die Antwort: Zahnärzte seien nicht als Empfänger für die FFP2-Schutzmasken und andere Schutzmaterialen vorgesehen. Erst nachdem sie länger am Telefon insistiert habe, da sie sonst ihren zahnärztlichen Notdienst für die Bevölkerung im Landkreis nicht mehr aufrecht erhalten könne, seien ihr zwei Packungen mit den Schutzmasken zugesagt worden. Zahnärztinnen und Zahnärzte seien ihrer Meinung nach von Gesundheitsminister Jans Spahn bisher mit noch keinem Wort für ihre Hilfsbereitschaft in Zeiten der Coronakrise an der Bevölkerung öffentlich erwähnt worden.

    In diesem Zusammenhang meldet sich auch der zahnärztliche Obmann aus dem Donau-Ries, Dr. Uwe Kaspar aus Monheim: Rein fachlich sei einfach festzustellen, dass es medizinisches Personal in vielen Bereichen gebe, das nicht ansatzweise einem Patienten-Kontakt in dem Maße ausgesetzt sei wie die Zahnärzte mit ihren Mitarbeitern. Trotzdem würden jedoch beinahe alle anderen medizinischen Fachrichtungen vor den Zahnärzten durch den staatlichen Rettungsschirm bevorzugt. „Zur Zeit werden von den Zahnarztpraxen in der Region sowieso nur Notfälle oder Schmerzpatienten behandelt“, sagt Dr. Kaspar. Dabei fordert er jedoch auch die Mitarbeit der Patienten ein, die sich vor dem Besuch der Zahnarztpraxis sicher sein sollten, frei vom Coronavirus zu sein.

    Eine Gundelfingering klagt: Geht das Schutzmaterial aus, muss die Praxis schließen

    Dr. Christina Wagner aus Gundelfingen berichtet, dass sie momentan noch über das erforderlich Schutzmaterial, darunter auch noch einige FFP2-Schutzmasken, verfüge, das sie noch vor der pandemischen Ausbreitung des Virus’ bestellt und bekommen habe. Sie behandele dennoch ihre Patienten nur noch per festgeschriebenem Termin. „Denn, wenn das Schutzmaterial aus ist und kein Nachschub kommt, kann ich meine Praxis ebenso schließen wie bereits einige Kollegen im Landkreis.“ Viele Zahnärzte fragen sich, warum sie von der Politik ausgegrenzt werden. Sie fühlen sich vergessen. Denn so im Stich gelassen zu werden bei der Verteilung von Schutzmaterialien könne doch einfach keinen anderen Grund haben.

    Darüber hinaus sollte sich die Politik im Klaren sein, dass die aktuelle Situation auch für die Zahnärzte existenziell sei. Denn nur noch Notfälle und Schmerzpatienten zu behandeln, führe zu einem Ausfall der Leistungen von bis zu teilweise 90 Prozent. Folge: „Wenn nicht schnell die erforderlichen Schutzmaterialien geliefert werden, müssen Praxen im Landkreis schließen und Beschäftigte in Kurzarbeit geschickt werden, die auch häufig Familien zu unterhalten haben. „Dies kann und darf es nicht sein, denn der Sicherstellungsauftrag für die zahnmedizinische Versorgung der Bevölkerung muss weiterhin bestehen bleiben“, so das Dillinger Zahnarztehepaar Claudia und Philippe Morin.

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