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Landkreis Dillingen: Wie man Trauernden Erste Hilfe leistet: zwei Ehrenamtliche vom BRK erzählen

Landkreis Dillingen

Wie man Trauernden Erste Hilfe leistet: zwei Ehrenamtliche vom BRK erzählen

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    Kriseninterventionsteams kommen auch medial häufig im Zusammenhang mit Autounfällen vor. Doch auch bei Todesfällen zu Hause oder bei Betriebsunfällen rücken sie aus.
    Kriseninterventionsteams kommen auch medial häufig im Zusammenhang mit Autounfällen vor. Doch auch bei Todesfällen zu Hause oder bei Betriebsunfällen rücken sie aus.

    Sie stehen am Straßenrand, man kann sie leicht übersehen und dennoch sind sie da. Und es werden mehr. An öden Bundesstraßen, auf Böschungen und in den Lücken zweier Leitplanken. Viele sehen sie sicher gar nicht mehr, wenn sie vorbeirasen, andere schauen wohl lieber bewusst weg: Kleine Holzkreuze am Straßenrand, manche umrahmt von Blumen und Grablichtern, andere beklebt mit verwitterten Fotos, sie erinnern an Menschen, die auf Straßen im Landkreis ums Leben gekommen sind. So wie der 19-Jährige, der vergangene Woche bei einem mutmaßlichen Autorennen zwischen Warnhofen und Bissingen starb.

    Manchmal ist es Leichtsinn, manchmal Schicksal, manchmal Fahrlässigkeit anderer Autofahrer. Das Ergebnis ist jedoch immer das gleiche: Ein Mensch hat sein Leben verloren und die Hinterbliebenen jemanden, der ihnen sehr nahe stand.

    Wenn bei Annette Zoller und Sabine Jahrisch eine Benachrichtigung auf der Einsatz-App erscheint, wissen sie zwar, dass ein Mensch gestorben ist, doch recht viel mehr Informationen erhalten die Frauen vom BRK-Kriseninterventionsdienst (KID) in Dillingen nicht. Erst, wenn sie bei der Leitstelle anrufen, wird klar, was passiert ist. Suizid, Betriebs- oder Verkehrsunfall, oft aber auch der natürliche Tod eines geliebten Menschen. „Egal, um welchen Fall es sich handelt, die ersten Stunden sind extrem wichtig“, sagt Annette Zoller. Sie leitet den Dillinger KID, das in dieser Form im Landkreis seit 2008 existiert. Das Team besteht inzwischen nur noch aus vier Frauen, denn ein paar Mitglieder sind in letzter Zeit ausgestiegen.

    Man muss sich uneingeschränkt auf den Einsatzpartner verlassen können

    Manchmal, so erzählen Zoller und ihre Kollegin Jahrisch, stehe man im eigenen Privatleben an einem schwierigen Punkt. Dann sei es umso schwerer, anderen zu helfen. „Man darf selbst nicht so viele Päckchen tragen, sonst funktioniert das nicht“, sagt Jahrisch. Wichtig sei ein stabiles soziales Umfeld, das Halt gebe und sehe, wenn es einem schlecht geht. Wer gerade Zeit für sich brauche, der könne sie sich jederzeit nehmen, so Zoller. Zudem sei vier Mal im Jahr ein psychologisches Gespräch eingeplant, zu ihrer Betreuerin könne sie aber auch sonst jederzeit gehen, sagt die 48-Jährige. Bis man im KID auf Einsätze geschickt wird, muss man etwa 100 Schulungsstunden absolviert haben. Am Anfang geht man dann zuerst mit erfahrenen Kollegen los, auch später sei man aber immer zu zweit. Man müsse sich uneingeschränkt auf den Einsatzpartner verlassen können, sagt Jahrisch.

    Annette Zoller (links) und Sabine Jahrisch haben bei ihrer Arbeit schon viele schwierige Situationen. Wichtig sei, sich auf seinen Einsatzpartner verlassen zu können.
    Annette Zoller (links) und Sabine Jahrisch haben bei ihrer Arbeit schon viele schwierige Situationen. Wichtig sei, sich auf seinen Einsatzpartner verlassen zu können. Foto: Christina Brummer

    Im Gespräch wirken die beiden tatsächlich wie ein eingespieltes Team, vollenden gegenseitig ihre Sätze. Noch auffälliger jedoch ist die Ruhe, die sie ausstrahlen. Wenn sie sprechen, wählen sie ihre Worte mit Bedacht und wenn sie einen Punkt machen, hängt dieser auch erst einmal ein paar Sekunden lang im Raum. Vielleicht ist es genau das, was in Krisensituationen so wichtig ist: Die richtigen Worte sagen und wenn es die richtigen Worte nicht gibt, einfach schweigen.

    Man braucht Strategien gegen die Trauer

    „Manchmal ist schon ein Wort zu viel. Man muss es aushalten zu schweigen. Menschen fangen dann schon an, die kommen.“, sagt Annette Zoller und ihre Kollegin nickt. Das schwierige an ihrer Aufgabe, so berichten es die beiden ausgebildeten Sanitäterinnen, ist, sich auf immer neue Situationen einzustellen. „Der Rettungsdienst kriegt die Meldung, wo sie hinfahren und die spulen dann ihren Algorithmus ab. Die wissen, was sie tun müssen, wenn der eine oder andere medizinische Fall eintritt. Wir haben einen Algorithmus bis zur Haustüre, wir wissen nie, was uns hinter dieser Haustüre erwartet. Wir haben keinen Werkzeugkoffer“, formuliert es Jahrisch.

    Ob Trauernde schreien, schweigen oder mit Gegenständen werfen wollen sei dabei irrelevant, jeder trauere anders. Obwohl Jahrisch und Zoller sagen, dass es für ihre Arbeit keinen „Werkzeugkoffer“ gebe, so haben die beiden dennoch Strategien entwickelt, um Trauernden zu begegnen. „Ich schau mich immer um in dem Zimmer, wo wir gerade sind und suche nach Fotos, wo der Verstorbene drauf ist“, erklärt Jahrisch, „Wenn ich dann sage: das ist aber ein schönes Foto. Dann geht’s los. Dann erzählen die Angehörigen.“

    Verkehrsunfälle sind nur ein kleiner Teil der Arbeit

    Man verbindet die Arbeit von Jahrisch und Zoller meist mit tragischen Verkehrsunfällen wie demjenigen, der sich vergangene Woche im Kesseltal ereignete. Alltäglich sind solche Szenen jedoch nicht. Alltäglich sind Tode, die im „häuslichen Umfeld“ geschehen, so nennen die beiden es. Ob Unfall oder Schlaganfall, furchtbar seien solche Situationen für Angehörige immer, sagt Zoller: „Auch wenn der Opa mit 90 stirbt, ist das genauso schlimm wie andere Fälle.“ Selbst wenn man sich auf den Tod eines alten Menschen gedanklich einstellen könne, bedeute das nicht, dass man einfach damit fertig werden müsse.

    Besonders belastend für das Krisenteam seien dennoch Einsätze, bei denen Kinder oder Jugendliche verstorben seien. Eines ist den beiden jedoch wichtig, es ist eine weitere Strategie für Trauersituationen: Wir überbringen nicht die Todesnachricht.“ Zollers letztes Wort hängt eine Weile im Raum, ehe sie weiterspricht. „Das macht die Polizei.“ Sabine Jahrisch nickt. Auch wenn es von jeder Regel Ausnahmen gebe, so versuchten sie, sich akribisch an dieses Credo zu halten. „Wir sind da, um Halt zu geben und Fragen ehrlich zu beantworten“, sagt Jahrisch. Und Zoller nickt und vollendet den Satz: „Wir sind da, um mitzufühlen, nicht um mitzuleiden. Jeder darf seine Trauer auf seine Weise ausleben.“

    Auch wenn der eigentliche Einsatz schon vorbei ist, haben die beiden Strategien, um mit den Erfahrungen fertig zu werden. „Ich räume meine Einsatzjacke weg und dann gehe ich Duschen“, erzählt Jahrisch. Wenn die Gedanken an den Tag im Abfluss verschwinden, könne sie abschalten. Und Kraft tanken für den nächsten Einsatz.

    Das KID vom Dillinger BRK sucht neue Mitglieder, die sich ehrenamtlich engagieren wollen. Nähere Informationen gibt beim BRK unter Telefon 09071/7930-0

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