Herr Zaune, wegen des Coronavirus müssen gerade die Ärzte auf Hygiene achten. Schutzausrüstung wie Masken sind Pflicht, die Versorgung war anfangs nicht leicht. Wie hat sich das entwickelt?
Dr. Alexander Zaune: Wir hatten anfangs ein Problem. Das wurde beseitigt. Inzwischen sieht die Regelung aber wieder vor, dass wir Hausärzte selbst verantwortlich für die Beschaffung sind. Und der Markt ist nach wie vor eng. Wir fordern deshalb zentralen Bezug, etwa über die kassenärztliche Vereinigung. Wir haben eine Pandemie, sollte sich die Situation verschärfen, weiß ich nicht, wie’s weitergeht, wenn wir uns selbst kümmern müssen. Im Moment ist die Versorgung jedoch grob gesichert.
Sie haben vorab bereits erklärt, dass etwa sechs von sieben Corona-Patienten ambulant betreut werden...
Zaune: In dem Zusammenhang vielleicht ein paar Kennzahlen: Wir haben in Deutschland mehrere Millionen Tests gemacht, circa 280.000 positive Patienten, knapp 9400 Tote. Das Durchschnittsalter der Toten lag bei 82 Jahren. In den gesunden, jungen Altersstufen hatten wir kaum Tote. Wir sehen also deutlich, welche Personengruppen betroffen sind. Nach dem Höhepunkt im März/April hatten wir niedrige, zuletzt leicht steigende Infektionszahlen. Wobei die Krankheitsverläufe aus meiner Sicht leichter geworden sind. Die aktuelle 7-Tage-Inzidenz im Landkreis liegt bei 6,25, bayernweit bei 18,25. Wir haben in Deutschland etwa 30.000 Intensivbetten, 22.000 sind belegt und wenige hundert davon belegen Covid-Patienten. Das soll wirklich keine Verharmlosung sein. Und wir dürfen auch nicht nachlässig werden. Allerdings kennen wir die Erkrankung inzwischen etwas besser. Das heißt, dass bestimmte Dinge jetzt klar sind, etwa wenn es um die Thromboseprophylaxe bei Schwerkranken geht.
"Die Isolierungsmaßnahme ist notwendig"
Viele Covid-Patienten werden von Hausärzten betreut.
Zaune: Ja. Von 100 positiven Patienten sind 85 bei Hausärzten behandelt worden. 15 Prozent sind hospitalisiert worden. Und davon sind ungefähr 20 Prozent gestorben. In unserer Praxis, und da sind die Zahlen bei den großen Versorgerpraxen überall in etwa ähnlich, überblicke ich grob 2000 Patienten pro Quartal. Wir hatten acht Fälle, keiner musste ins Krankenhaus, ein Fall verlief schwerer, war aber ambulant zu betreuen.
Gerade aus der Politik werden möglichst viele Abstriche gefordert. Und auch im Landkreis sollen sich jetzt mehr Menschen testen lassen können.
Zaune: Manchmal habe ich den Eindruck, dass Abstriche mit zu viel Druck gefordert werden. Es ist nicht immer notwendig, den Abstrich zum Beispiel gleich am Samstag zu machen. Die Isolierungsmaßnahme hingegen ist notwendig. Dann kann der Abstrich auch am Montag folgen. Das wäre auch vernünftiger. Denn selbst wenn die Patienten positiv getestet sind, sind sie in aller Regel ja nicht wirklich gefährdet. Die Risikopatienten wiederum sollte man zügig abstreichen. Da gehört eine engmaschige Kontrolle und das Erkennen des Allgemeinzustands und möglicher Komplikationen dazu. Und da sind wir beim Thema Ressourcen: Die Frage ist, welche Leute wir überhaupt abstreichen wollen. Da sehe ich eine Differenz zwischen dem politischen Willen und dem medizinisch sinnvoll Möglichem. Das Angebot war vielleicht eine Zeit lang gut. Aber die Labore sind zunehmend überlastet.
Das heißt?
Zaune: Vielleicht müssen wir unsere Kapazitäten auf das beschränken, was wirklich notwendig ist. Also symptomatische Patienten, Risikopatienten, Heimpatienten und die amtsärztlichen Indikationen. Dass sich jemand anlasslos ohne Symptome schrotschussartig testen lässt, das ist aus meiner Sicht epidemiologisch und medizinisch nicht sinnvoll.
Aber genau das ist die Linie, die man derzeit in Bayern fährt.
Zaune: Die ist halt politisch so vorgegeben, damit der Bürger das Angebot hat. Aber vielleicht denkt der Bürger da vorher über den Sinn nach. Ein Test ohne Grund macht wenig Sinn, bezahlt wird er am Ende mit Steuergeld. Es gibt da den schönen Satz: ’Wer viel misst, misst auch viel Mist.’ Dahinter versteckt sich das Phänomen der falsch positiven und falsch negativen Tests. Anlasslose Tests sind also nichts, was wir dauerhaft wollen. Und wenn sich die Lage verschlechtert, wird man vielleicht auch über eine deutliche Priorisierung reden müssen. Dann testen wir womöglich nur noch die Patienten, bei denen wir einen echten Verdacht haben.
Wie sieht es mit den Schulen aus?
Zaune: Da könnten wir ein Problem kriegen. Auf uns kommt die übliche Grippewelle zu. Da werden wir nicht jedes Kind abstreichen können und das ist auch nicht erforderlich. Es gibt klare Pläne, wie man nach lokaler Inzidenz vorgeht. Bei hohen Inzidenzraten wird eher abgestrichen. Primär wichtig ist die Beobachtung des Verlaufs, nicht der Abstrich gleich am Anfang. Den kann man dann immer noch machen. Wir wissen inzwischen, dass Corona ein bis zwei Tage vor Symptombeginn ansteckend ist. Die Infektiosität lässt im Lauf der Erkrankung nach. Beim Test kann man aber immer noch positiv sein. Und dann gibt es noch den Manifestationsindex: Von 100 Positiven merken circa 30 gar nichts. Ob die überhaupt infektiös sind? Vermutlich eher wenig.
Im Landkreis Dillingen fehlen Hausärzte
Vor einigen Wochen war die Inzidenz im Landkreis Dillingen recht stark gestiegen, aktuell ist der Wert wieder gesunken. Wie bewerten Sie die Lage?
Zaune: Wir haben’s im Griff. Die Hausarztpraxen streichen die symptomatischen Patienten ab und bedienen zum Teil das bayerische Testangebot, das Testzentrum in Dillingen ist bisher primär darauf ausgerichtet, amtsärztliche Indikationen und Söderabstriche zu machen.
Söderabstriche?
Zaune: So nennen wir das intern etwas flapsig. (lacht). Im Testzentrum, das der Öffentliche Gesundheitsdienst zügig eingerichtet hat, haben wir zwei Teststraßen. Bei Bedarf könnte man das auch noch erhöhen. Und wir haben noch mehr Möglichkeiten. Nur auch da gilt: Mit wem willst du das besetzen? Das wären die, die nicht hier in der Praxis sitzen. Wir sind im Landkreis nicht mehr so viele Hausärzte. Ich sehe da aber keinen Grund zur Beunruhigung. Die Zahlen sind ja transparent und werden auch weiter veröffentlicht. Und einen lokalen Ausbruch mit verschärften Maßnahmen detektiert man ja auch.
Allerdings naht der Herbst...
Zaune: Wir sind nicht mehr auf dem Stand vom Frühjahr. Alle Versorgungspraxen haben bestimmte Maßnahmen getroffen, praktische Abläufe sind eingespielt. Und wir haben die Teststation, die ausbaubar ist. Insofern muss man das abwarten. Wir werden bei Kindern auch gezielt nach Inzidenz und relativ klar gestaffelt vorgehen. Man kann aber nie sagen, was bei einer Riesenwelle passiert. Wobei ich die auch nicht für wahrscheinlich halte. Wir wissen, welche Gruppen wir schützen müssen.
Sie wurden zum Versorgungsarzt berufen und sind jetzt auch ärztlicher Koordinator. Welche Aufgaben haben Sie?
Zaune: Man hat schnell gesehen, dass ein lokaler Ansprechpartner für die Hausärzte fehlt. Deshalb das Amt des Versorgungsarztes, das Kollege Schindler und ich ausgefüllt haben. Und viele Kolleginnen und Kollegen haben sich in Zusammenarbeit mit dem FügGK und anderen dankenswerterweise wirklich vorbildlich an der Abstrichstelle und bei anderen Organisationsfragen ehrenamtlich mitengagiert. Um für den niedergelassenen Bereich einen Ansprechpartner zwischen Hausärzten, Fachärzten, Krankenhaus und dem öffentlichen Gesundheitsdienst, aber auch den Altenheimen, Pflegediensten und Gemeinschaftseinrichtungen bei speziellen Fragestellungen zu schaffen, hat die Kassenärztliche Vereinigung den ärztlichen Koordinator geschaffen.
Im Landkreis Dillingen gab es nur wenige Tote
Wie ist Ihr Eindruck. Gehen wir mit dem Virus inzwischen zu locker um?
Zaune: Wir sehen Unvernünftige, wir sehen aber auch viele sehr Vernünftige. Ich persönlich muss in kein Risikogebiet in Urlaub fahren, muss keine großen Partys feiern. Aber natürlich will die Jugend auch mal weggehen, das verstehe ich auch. Aber wir wissen, dass in geschlossenen Räumen die Übertragungsrate am größten ist. Das Infektions- und dann Vektorenrisiko ist entsprechend hoch. Ich sehe aber auch berechtigte Kritik in bestimmten Dingen. Und wenn man die vernünftig äußert, ist das auch in Ordnung.
Wie hat sich der Landkreis bisher geschlagen?
Zaune: Wenn man sich die Zahlen ansieht, waren wir ungefähr im schwäbischen Durchschnitt – und unter dem bayerischen. Wir hatten 387 Infektionen, bayernweit waren es 509 pro 100.000 Einwohner im Durchschnitt. Wir hatten ein Altenheim in Bissingen mit schweren Verläufen, wo leider viele gestorben sind. Aber sonst gab es nur wenige Tote.
Wird die Arbeit der Hausärzte aus Ihrer Sicht ausreichend wertgeschätzt?
Zaune: Lokal ist alles gut, die Patienten und Kollegen sind sehr dankbar. Und auch der Landrat hat uns ja gedankt. Aber in Berlin sitzt ein Gesundheitsminister, der die hausärztliche Arbeit gar nicht zu schätzen scheint. Da kam kein Zeichen der Wertschätzung, weder für uns, noch für unsere Mitarbeiterinnen, die ja an vorderster Front arbeiten, zum Teil auch bei Hausbesuchen.
Sie haben den Ärztemangel schon mehrfach angesprochen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, Ärzte anzulocken?
Zaune: Das ist ein komplexes Problem: Die Verweiblichung der Medizin, der Partner findet hier auf dem Land nicht immer einen Job, zu wenig Studienplätze für den Bedarf, hohe Arbeitszeiten, die aber besser geworden sind in den vergangenen Jahren. Auf der anderen Seite nehmen die Bürokratie, Kassenreglementierungen und die Probleme durch die Spahnschen Gesetze zu. Der Ausweg wäre wie immer weniger Bürokratie, stabile Verhältnisse und die Haftung für Medikamente und Heilmittel der Patienten abzuschaffen. Das sind Gründe, warum manche sich nicht für den Beruf des Hausarzts entscheiden, obwohl er toll ist und viele positive Seiten hat. Unser Lehrkrankenhaus hat hier bisher einen noch größeren Mangel lokal verhindern können.
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