Startseite
Icon Pfeil nach unten
Dillingen
Icon Pfeil nach unten

Landkreis Dillingen: Wenn sie kommen, ist etwas Schlimmes passiert

Landkreis Dillingen

Wenn sie kommen, ist etwas Schlimmes passiert

    • |
    Bei tödlichen Unfällen werden auch Notfallseelsorger alarmiert, die sich um die Angehörigen kümmern.
    Bei tödlichen Unfällen werden auch Notfallseelsorger alarmiert, die sich um die Angehörigen kümmern.

    Ein tödlicher Unfall. Ein plötzlicher Tod. Ein Suizid. Wenn so etwas passiert, werden nicht nur Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte verständigt, sondern auch Notfallseelsorger. Seit 20 Jahren gibt es diese Einrichtung des Bistums Augsburg im Landkreis Dillingen. Die Helfer werden immer öfter gebraucht. Aber wer tut sich so etwas überhaupt an? Fremden eine Stütze sein, wenn für sie die Welt zusammenstürzt. Ehrenamtlich.

    Ein Lauinger sagt: Die Arbeit sei hochzufriedenstellend

    Pastoralreferent Frank Kienle aus Lauingen war damals Gründungsmitglied. Die Notfallseelsorge sei eine hochzufriedenstellende Arbeit, weil sie absolut sinnvoll sei. „Und kirchliche Mitarbeiter sollen ja für Menschen da sein. Aber klar, ohne ein besonderes Menschenbild ginge es nicht“, schränkt er ein. Weil es immer weniger Kirchenmenschen gibt, und die aufgrund ihrer Arbeit oder des wachsenden Zuständigkeitsbereichs immer schlechter zu erreichen sind, sei die Notfallseelsorge ins Leben gerufen worden. „Das fand ich damals überzeugend. Deswegen bin ich da reingerutscht. Die Hilfe in dieser Form hat für mich diakonalen Charakter, wir tun Dienst am Menschen“, sagt Kienle.

    Seit einigen Jahren muss man nicht in der Kirche tätig sein, um die Ausbildung zu machen. Aber eine kirchliche Affinität – egal ob katholisch oder evangelisch – gehöre schon dazu. Sonst könne man zum Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes (KIT). Beide Dienste arbeiten eng zusammen, sowohl beim Dienstplan als auch bei Fortbildungen.

    Ein Wertinger kam nur durch Zufall dazu

    Die Notfallseelsorge im Landkreis Dillingen feiert am Samstag in Dillingen in St. Ulrich ihr 20-jähriges Bestehen. Im Bild von links: Frank Kienle, Michael Hahn, Martin Hamann und Dagmar Lippert.
    Die Notfallseelsorge im Landkreis Dillingen feiert am Samstag in Dillingen in St. Ulrich ihr 20-jähriges Bestehen. Im Bild von links: Frank Kienle, Michael Hahn, Martin Hamann und Dagmar Lippert. Foto: Cordula Homann

    Aber wie helfen die Seelsorger denn? Ganz neu im Team ist Martin Hamann. Im April hat er die Ausbildung abgeschlossen und seitdem drei Einsätze angenommen. „Am Anfang habe ich mich gedrückt“, gesteht der Ingenieur aus Wertingen. Doch eines Tages sagte er bei einem Einsatz zu. „Ich bin viel zu schnell hingefahren, das passiert mir nicht mehr“, sagt er. „Im Nachhinein war das bescheuert.“

    Vor Ort selbst habe er schnell Sicherheit gewonnen, weil er die Inhalte der 120 Stunden langen Ausbildung (je sechs Frei- und Samstage) abrufen konnte. „Man rettet nicht die Welt, man sollte einfach da sein. Sich nicht in den Vordergrund drängen, sondern versuchen zu spüren, was die Angehörigen brauchen“, erklärt er. Es sei eine Mischung aus Dasein und Menschsein.

    Einen Alleinstehenden fragen, wer aus dem Verwandten- oder Freundeskreis noch helfen könnte. Fragen, ob man den Kontakt dazu herstellen soll. „Ich habe mich auch schon schweigend ganz nah neben einen Trauernden gesetzt, ihm einfach von der Seite Halt geboten“, sagt der Wertinger.

    Als ihn ein Trauernder aus völliger Verzweiflung heraus haute wie alles andere um sich herum, hielt der Helfer das aus. „Man lernt, dass Trauernde völlig unterschiedlich reagieren.“

    Nicht jeder, der die Ausbildung abschließt, wird Notfallseelsorger

    Hamann kam nur durch Zufall überhaupt ins Team – er hatte seine Lebensgefährtin Dagmar Lippert zu einem Informationsabend gefahren. Nicht jeder, der die Ausbildung abschließt, wird auch als Notfallseelsorger tätig – und das sei gar nicht schlimm. „Man muss psychisch schon sehr stabil sein, sonst geht es nicht“, sagt Michael Hahn aus Buttenwiesen (Er leistet erste Hilfe für die Seele bei Todesfällen). Er ist seit acht Jahren dabei. Damals dauerte die Ausbildung fünf Kalendertage, und los ging es. Alleine. „Heute ist das anders, heute kann man am Anfang mit einem erfahrenen Kollegen mitfahren und zuschauen“, sagt Hahn. 35 Bausteine umfasst die Ausbildung inzwischen.

    Neu im Team: Eine Lehrerin aus Wertingen

    „Wir wissen über posttraumatische Belastungsstörungen Bescheid, können Betroffene über körperliche und psychische Folgen von Ausnahmesituationen informieren“, erklärt Dagmar Lippert. Die Lehrerin an der Wertinger Montessori-Schule hat auch erst im April ihre Ausbildung zur Notfallseelsorgerin abgeschlossen. Für sie sei der Einsatz gelebte Nächstenliebe. „Wir sind einfach da und nehmen einen Platz ein, bis jemand anderes, etwa aus der Familie, da ist, der hilft“, erklärt sie. Sie hat gelernt, wie andere Religionen trauern, kann die Verabschiedung von einem geliebten Menschen vorbereiten. Weitere Themen der Ausbildung sind der Umgang mit Schuld, der plötzliche Kindstod oder Trauer und Wut auszuhalten.

    Die Zahl der Einsätze im Landkreis Dillingen steigt

    Bei 60 Einsätzen sind Notfallseelsorge und KIT im Schnitt pro Jahr im Landkreis Dillingen im Einsatz. Laut Kienle werden es mehr. Die Sensibilität von Rettungsdienst, Polizei und Feuerwehr für ihre Unterstützung sei höher. Hahn fügt an, dass diese Retter auch froh seien, wenn sie den Einsatz an die Notfallseelsorger weitergeben können oder diese unterstützend da sind. Polizeibeamte würden in der Ausbildung inzwischen schon lernen, eine Todesnachricht nur mit einem Notfallseelsorger zu überbringen. „Die Beamten müssen oft gleich weiter. Wir sind da“, sagt Kienle.

    Auch den Helfern wird geholfen

    Vor allem aber werden sie über die Integrierte Leitstelle alarmiert. Bei Bedarf können die Helfer selbst nachalarmieren. Wenn es zum Beispiel ein Zugunglück gab, werde fast jeder gebraucht. Dann kümmern sich die Helfer um Zugführer, Zeugen, Angehörige – innerhalb des Landkreises. „Sind Menschen von außerhalb betroffen, informieren wird dort jeweils Kollegen“, erklärt Kienle.

    Für die Helfer gilt Schweigepflicht. Sie tauschen sich aber untereinander aus. Auch Supervision sorgt dafür, dass die Menschen mit dem, was sie im Ehrenamt erleben, zurechtkommen. „Irgendwie muss man das verarbeiten“, sagt Michael Hahn. Vor allem Vorfälle mit Kindern lassen einen nicht so schnell los.

    „Wenn man einem Vater und seinen Kindern sagen muss, dass die Mutter gestorben ist – das geht an die Nerven“, sagt Hahn. Tröste man persönliche Bekannte, könne das gut sein, weil ein Vertrauen da ist – „es kann aber auch passieren, dass einen diese Nähe zuschnürt“. Manche Einsätze hätten auch etwas Schönes, meint Dagmar Lippert. Etwa zu sehen, wie eine Familie nach einem Todesfall miteinander umgeht. Oder wenn aus einer anfänglichen Distanz zwischen Helfer und Trauerndem langsam Vertrautheit wird.

    • Kontakt: Weitere Ehrenamtliche sind willkommen und werden auch gesucht. Wer sich für eine Tätigkeit als Notfallseelsorger interessiert, kann Kontakt zu Frank Kienle, frank.kienle@bistum-augsburg.de, oder Michael Hahn, michael.hahn@bistum-augsburg.de aufnehmen. Weitere Informationen über die Ausbildung und Termine stehen im Internet unter www.notfallseelsorge-augsburg.de

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Notfallseelsorger: besonderer Beistand

    Weitere Themen dazu:

    Suizid: „Wie hätte ich das denn erkennen können?“

    Ex-Diakon Eugen Schirm im Ruhestand: „Ich habe einen Cut gemacht“

    Bub stirbt nach Unfall vor Kinderheim: "Niemand hat Schuld"

    Notfallseelsorger im Landkreis Dillingen gesucht

    Er leistet erste Hilfe für die Seele bei Todesfällen

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden