2020 war ein ruhiges Jahr. Keine Volksfeste, keine Messen und Märkte: Wegen der Pandemie war der Terminkalender von Karl Neumüller blank. Für den Schausteller aus Holzheim eine Katastrophe. Normalerweise, erzählt er, habe er bis zu drei Veranstaltungen an einem Wochenende betreut. So ist sein Betrieb auch ausgerichtet. Doch Corona hatte ihm und seiner Familie einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nur auf zwei Märkten konnte er seine Speisen anbieten. „Es sah sehr schlecht für uns aus“, sagt er.
Aktuell verkauft Karl Neumüller seine Speisen in Weisingen
Das spiegelt sich auch in der finanziellen Situation wider. Zwar hatte der Schausteller gleich zu Beginn die Corona-Soforthilfen erhalten. Danach herrschte jedoch lange Ebbe. Bis zumindest eine Abschlagszahlung der Novemberhilfen auf dem Konto des 32-Jährigen ankam. Kein einfaches Jahr für die gebeutelten Schausteller. Unterstützung erhält Neumüller überraschend aus seiner eigenen Heimat. Die Gemeinde Holzheim ermöglicht es ihm seit Mitte Dezember, seine Speisen vor der Weisinger Kirche zu verkaufen. Eine große Erleichterung für den jungen Unternehmer. „Ich mache das zwar in fünfter Generation, bin aber erst seit sechs Jahren selbstständig“, erklärt er. Seine finanziellen Reserven reichen deshalb nicht über so lange Zeit.
Ohnehin sei das Schaustellergeschäft eine Saisonarbeit, betont er. Nach den Weihnachtsmärkten ist üblicherweise erst einmal Pause, bevor es im April wieder weitergeht. Die Sorge um seine Existenz belastet Neumüller. „Es ist ja nicht so, dass ich schlecht gewirtschaftet hätte und mich deshalb verschuldet habe“, erklärt er. Noch bis Ende März kann er Burger, Feuerwurst und Steak in Weisingen verkaufen. Wie es dann weitergeht, weiß der 32-Jährige aber nicht. „Es spricht nichts dagegen, dass die Gemeinde die Genehmigung noch einmal verlängert“, sagt er hoffnungsvoll. Bei den anderen geplanten Veranstaltungen sieht es dagegen eher mau aus. Vieles sei bereits abgesagt worden.
Die Hoffnung lag im vergangenen Jahr auf den Weihnachtsmärkten
Die Hoffnung, schnell wieder verkaufen zu können, gab es auch im vergangenen Jahr schon. Besonders auf die Weihnachtsmärkte hatte Neumüller gesetzt. In Neu-Ulm hatte er damals seine vier Buden schon aufgebaut. Mit den letzten finanziellen Reserven sei es möglich gewesen. Doch dann waren die Infektionszahlen immer weiter gestiegen und die Stadt hatte den Markt nur einen Tag vor der Eröffnung abgesagt.
Aktuell kommt Neumüller über die Runden. „Wir müssen der Gemeinde kaum Standgebühren zahlen, dafür sind wir sehr dankbar“, sagt er. Er habe wenig Kosten – ein bisschen Strom, Wasser – deshalb reiche der Umsatz, den er erwirtschafte, zum Leben. Große Sprünge kann der Schausteller momentan nicht machen. Vom Staat fühlt er sich hängen gelassen: „Uns wurde viel versprochen, aber gerade für den privaten Bereich gab es keine Unterstützung – lediglich zum Betriebserhalt.“ Noch so ein Jahr wie 2020 und es gehe an die Existenz. „Dann ist es vielleicht wirklich vorbei“, sagt er resigniert. Deshalb hofft Neumüller wenigstens auf kleine Veranstaltungen. „Besser als gar keine Einnahmen sind kleine Einnahmen“, sagt er.
Schaustellerin aus Leidenschaft: Dahlin Kreischer möchte keinen anderen Job
Dass die Situation für Schausteller aktuell ungemein belastend ist, bemerkt auch Dahlin Kreischer aus Dillingen. Die 25-Jährige ist seit vier Jahren selbstständig und hat ihren eigenen Wagen, aus dem sie frische Kartoffelchips verkauft. „Wir fühlen uns wirklich im Stich gelassen“, erklärt sie. Seit Ende 2019 hatte sie keine Einnahmen mehr. Das wirke sich auf die komplette Familie aus. Traurig sagt sie: „Ich sehe, wie alles den Bach runter geht.“
Im März hatte sie ebenfalls die Corona-Soforthilfen erhalten, auf die Novemberhilfen warte sie allerdings noch immer. Ihren Stand einfach irgendwo im Landkreis aufbauen konnte die Dillingerin bislang nicht. „Es gibt schon ein sehr großes Angebot, da fehlt dann einfach die Nachfrage“, vermutet sie. Oft gebe es aber auch einfach keine Erlaubnis. Verstehen kann sie das nicht immer. Sie sagt: „Wir halten uns doch auch an die Hygienemaßnahmen.“ Auch sie fühlt sich von der Politik im Stich gelassen. Freizeitparks durften teilweise öffnen und auch ihre Snacks verkaufen. Auch andere Essensbereiche, beispielsweise in Einkaufszentren durften öffnen. Das findet Kreischer unfair. Aktuell hält sie sich mit Arbeitslosengeld über Wasser. Versicherungen und Unterhalt für die Fahrzeuge fallen aber dennoch weiterhin an.
Ans Aufhören möchte die 25-Jährige aber auf keinen Fall denken. „Ich liebe diesen Beruf“, sagt sie. Sie sei in die Branche hineingeboren worden und von klein auf immer mit dabei gewesen. Deshalb könne sie sich nicht vorstellen, irgendwann einmal etwas anderes zu machen.
Wie es weitergehen soll, das weiß Kreischer nicht. Über einen Onlineshop hatte sie einige Zeit nachgedacht. Doch die finanziellen Reserven sind erschöpft und reichen nicht für eine professionelle Homepage. „Man kennt unseren Namen; deshalb wollen wir nicht unprofessionell rüberkommen“, betont sie. Ihre Hoffnung liegt auf einem konstant niedrigen Inzidenzwert. Wenn die Neuinfektionen pro 100000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen unter 35 bleiben, hofft sie, dass die ein oder andere Veranstaltung mit Hygienekonzept wieder stattfinden kann. „Wir erfüllen alle Regeln, sind an der frischen Luft – das muss doch eigentlich erlaubt sein“, sagt sie.
Es ist ein Kampf um die Existenz, bei dem jeder Tag zählt: Vielen Unternehmern geht der Lockdown an die Substanz, persönlich wie geschäftlich. Wer nicht als systemrelevant gilt, steht in Corona-Zeiten schnell auf dem Abstellgleis. In unserer Serie stellen wir Beispiele vor.
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