Sexueller Missbrauch von Kindern lautet die Anklage – wieder einmal, möchte man sagen. Vor der Jugendkammer des Augsburger Landgerichts muss sich derzeit ein 48-Jähriger aus dem westlichen Landkreis verantworten, der nicht nur zahlreiche Fotos und Filme von Kindern in aufreizenden Posen auf seinen Festplatten gespeichert hatte. Er soll sich auch an den Kindern seines besten Freunds vergangen haben.
2016 oder 2017 soll der Mann nach Worten des Staatsanwalts Ralph Zenger einem damals sechs- oder siebenjährigen Buben mit seinem Finger in den Po eingedrungen sein, um sich selbst sexuell zu befriedigen. Der Angeklagte dementierte die Anschuldigungen am ersten Verhandlungstag noch. Kinderpornografische Bilder habe er zwar besessen, Kinder missbraucht habe er aber nicht. Er vermutete eine Intrige der Mutter gegen sich wegen verletzter Gefühle.
Von einem Mädchen ist er Taufpate
Den Jungen, um den es im Prozess in erster Linie geht, kenne er gut und auch dessen vier Geschwister, mit deren Vater er sogar entfernt verwandt sei. Er habe auch immer wieder mit den Kindern Kontakt gehabt, habe sie besucht, sie zu Gast gehabt, sie beaufsichtigt, mit ihnen gespielt, ihnen eine Schaukel gebaut. Von einem der Mädchen sei er der Taufpate. Auch könne er sich an den Vorfall mit dem Buben entfernt erinnern: Zunächst behauptete der Mann, er habe mit den Kindern in seiner Wohnung gespielt. Als der Junge auf die Toilette ging, habe dieser nach ihm gerufen, damit der Angeklagte ihm beim Abwischen helfe. Das habe er auch getan, aber ohne jede böse Absicht. Ebenso wies der Angeklagte den Vorwurf zurück, er habe vor den kleinen Schwestern des Jungen seine Hose geöffnet, sich zur Schau gestellt und sich in einem Fall an einem der Kinder selbst befriedigt.
Bei seiner ersten Aussage vor Gericht gab der Angeklagte noch zu verstehen, dass die Mutter der Kinder die Vorwürfe aus Rache an ihm erhob. Die Frau – Ehefrau seines Freundes – und er hätten ein Verhältnis gehabt. Doch während es ihm nur um Sex gegangen sei, wollte sie seinen Worten zufolge mehr. Die Folge: Er wies sie ab, sie wollte Rache. Die Familie habe um seine Vorgeschichte und die Bestrafungen wegen exhibitionistischer Neigungen gewusst. Bei einem Treffen wenige Tage vor seiner Verhaftung im Frühjahr 2019 seien die Vorwürfe nicht zur Sprache gekommen. Die Frau wiederum bestritt die Affäre in ihrer Zeugenaussage: Sie habe ihm lediglich per Handy geantwortet, wenn er sie mit sexuellen Fantasien oder exotischen Praktiken kontaktiert habe.
Am zweiten Verhandlungstag dann überraschend das Geständnis: Der Angeklagte gab die Tat zu. Dafür war ihm im Zuge einer Verfahrensabsprache eine Freiheitsstrafe zwischen vier und viereinhalb Jahren zugesagt worden.
Gerichtssaal per Video
Wie war es dazu gekommen? In einem Rechtsgespräch wurde zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft, den Nebenklägern und Verteidigung ausgelotet, ob es einen Weg zu einer verfahrensvereinfachenden Absprache („Deal“) gebe. Die Aussage des heute achtjährigen Mädchens, die im Gerichtssaal per Video gezeigt wurde, war laut Richter Hoesch zu unklar, um eine Bestrafung zu begründen. Gegebenenfalls müsste das Kind vor Gericht erscheinen und dort aussagen – etwas, was jeder dem Mädchen ersparen wollte.
Laut Hoesch war die Videoaussage des achtjährigen Buben für das Gericht deutlich klarer. Den plötzlichen Sinneswandel seines Mandanten begründete Verteidiger Moritz Bode mit den veränderten Vorzeichen vor Gericht. Demnach habe der Angeklagte beim Strafmaß „auf eine Drei vor dem Komma“ gehofft, letztlich der Vereinbarung aber zugestimmt. Auf Antrag von Staatsanwalt Zenger wurden zwei Anklagepunkte fallen gelassen: die zwei Fälle von Exhibitionismus, die der Angeklagte gegenüber seinem Patenkind begangen haben soll, indem er der damals Sechsjährigen einmal während einer Autofahrt und einmal vor dem heimischen Fenster seinen Penis gezeigt haben soll.
Der Mann stand seit den 90er-Jahren mehrfach wegen seiner ärztlich festgestellten exhibitionistischen Neigungen vor Gericht und landete auch schon im Gefängnis. Im Zuge der Ermittlungen war dessen Wohnung zwei Mal durchsucht worden. Dabei fanden sich auf Festplatten seines Computers über 10000 kinder- und jugendpornografische Fotos sowie einige Dutzend Filme. Die habe er aus dem Internet heruntergeladen,ohne genau zu wissen, was da zu sehen sei. Sein Hobby sei es gewesen, via Bildbearbeitung die Köpfe von Menschen aus seiner Umgebung – auch der Kinder seiner Bekannten – auf die Körper mehr oder weniger unzüchtig Posierender zu montieren. Nur habe er eben vergessen, das Bildmaterial zu löschen.
Tausende Fotos und Filme auf dem Computer
Angehört wurden am zweiten Verhandlungstag die Eltern der geschädigten Kinder. Der 35-jährige Vater bestätigte den stets guten Kontakt zu seinem damals besten Freund. Auch seine 36-jährige Ehefrau sagte: „Er hat fast zur Familie gehört.“ Beide Eltern schilderten dem Gericht die Vorgänge, die zur Verhaftung des Angeklagten geführt hatten, ergänzt wurden diese vom ermittelnden Beamten der Dillinger Kripo. Nach dessen Worten habe alles durch eine Mitteilung einer amerikanischen Kinderschutzorganisation seinen Anfang genommen, die die Polizei auf kinderpornografischen Datenverkehr beim Angeklagten hingewiesen habe. Bei den Durchsuchungen habe die Polizei auch Fotos von der geschädigten Achtjährigen gefunden. Der Beamte habe daraufhin die Eltern des Kindes kontaktiert, daraufhin habe der ältere Bruder von dem Vorfall erzählt. Mithilfe der Mutter habe man andere Mädchen aus der Umgebung ausfindig machen können, deren Gesichter der Angeklagte für seine Bildbearbeitungen verwendet hatte. Teils sei der Angeklagte selbst nackt auf Bildmontagen hinzugefügt zu sehen gewesen.
Der forensische Psychiater Dr. Bernd Münzenmayer konnte bezüglich des Angeklagten keine sichere Diagnose erstellen. Laut dem Gutachter lägen weder die Kriterien für verminderte Schuldfähigkeit vor, noch sehe er die Notwendigkeit einer Einweisung in eine Psychiatrie. Auch eine Sicherungsverwahrung sei nicht zu bejahen, da keine zuverlässige Vorhersage über künftige Taten durch den Angeklagten zu treffen sei. Das Verfahren wird nächste Woche fortgesetzt. Dann soll ein Urteil fallen.
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