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Landkreis Dillingen: Jüdischer Kulturtag: Vom Gotteshaus zur Begegnungsstätte

Landkreis Dillingen

Jüdischer Kulturtag: Vom Gotteshaus zur Begegnungsstätte

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    Am Europäischen Tag der Jüdischen Kultur war auch der sonst verschlossene Friedhof zugänglich. Klaus Melber und Helga Sturm-Melber aus Possenried nutzen die Gelegenheit für einen Ausflug.
    Am Europäischen Tag der Jüdischen Kultur war auch der sonst verschlossene Friedhof zugänglich. Klaus Melber und Helga Sturm-Melber aus Possenried nutzen die Gelegenheit für einen Ausflug. Foto: Vanessa Polednia

    Wer in die Judengasse in Binswangen abbiegt, gerät ins Staunen. Trotz dichter Bebauung ragt dort eine Synagoge im neomaurischen Stil empor und verleiht der Gasse einen Hauch Orient. Am vergangenen Sonntag sind die Türen des ehemaligen Gotteshauses geöffnet.

    Synagoge in Binswangen gehört zur Geschichte der Gemeinde

    Hausmeister Anton Rupp steht vor dem Portal. Auf dem gegenüber liegendem Hof geht ebenfalls die Türe auf. Seine Frau Annelies Rupp schaut raus. Die beiden kümmern sich seit Jahren um die Synagoge. Als der Bau Mitte der 1990er-Jahre renoviert wurde, schaute sich Nachbarin Rupp auf der Baustelle um. „Aus Neugierde habe ich geholfen“, erinnert sich

    Annelies und Anton Rupp (links) wohnen gegenüber der ehemaligen Synagoge.
    Annelies und Anton Rupp (links) wohnen gegenüber der ehemaligen Synagoge.

    Die dichte Bebauung war das Glück im Unglück für die Binswanger Synagoge: In der Pogrom-Nacht 1938 wurde sie zwar von Nazis geschändet und zerstört, jedoch nicht angezündet. Mit der Deportation der letzten Juden, war die Synagoge verwaist. Zuerst diente sie als Lagerhaus für Getreide und Heereslager. Nach dem Krieg war sie Kohlenlager, Werkstätte und letztlich ein Lager für einen Baustoffhandel. Als der Landkreis Dillingen den Kultusbau endlich ersteigerte, wucherte die Brennnessel auf dem Grundstück. „Es sah fürchterlich aus“, sagt Anton Rupp.

    In der Binswanger Synagoge finden Konzerte statt

    Das Gotteshaus ist nun eine Begegnungsstätte. Am Abend soll ein Konzert stattfinden. Vor Ort ist auch Ingomar Sieghart-Waldbrunn. Der Klavierlehrer aus Binswangen kann es nicht lassen, ignoriert die Absperrung und setzt sich vor das Piano. Ein Walzer von Chopin erfüllt den Raum. „Die Akustik ist hervorragend“, sagt er tiefenentspannt. Das wüssten auch viele Künstler zu schätzen, die bereits in der Binswanger Synagoge aufgetreten seien. Er selbst habe bereits Unterricht in dem Gebäude mit der außergewöhnlichen Atmosphäre erhalten. Sieghart-Waldbrunn wohnt selbst seit 2002 in einem denkmalgeschützten jüdischen Haus. Er zeigt nach seiner kleinen Konzerteinlage auf eines der verzierten Kapitelle, auf dem die hölzerne Frauenempore ruht. „Hier sieht man noch das alte Material.“ In der ältesten Synagoge im neomaurischen Stil ist noch nicht viel los. Nur eine Frau und ihr Kind bestaunen die orientalische und doch vertraute Gestaltung des Innenraums.

    Der jüdische Friedhof ist ein mystischer Ort

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    Ein paar Autominuten entfernt, „Auf der Schwärtz“, in der Nähe des Wertinger Freibad, versteckt sich der Friedhof der Binswanger Juden. Dieser ist normalweise geschlossen. Nur lizenzierte Führer dürfen einen Schlüssel besitzen. Anton Kapfer ist Vorsitzender des Förderkreises Synagoge Binswangen und darf den Friedhof öffnen. Heuer sei weniger am Kulturtag los als sonst, sagt er. Auf dem Friedhof findet gerade eine Führung statt. Die Szenerie auf der bewaldeten Anhöhe mit Grabsteinen in zweisprachiger Schrift, uraltem Baumbestand und wilden Gestrüpp wirkt mystisch. „Fehlt nur noch der Donaunebel“, meint

    Binswanger Friedhof als "Haus des Lebens"

    Klaus Melber und Helga Sturm-Melber aus Possenried standen schon oft vor dem geschlossenen Eisentor der Anlage, umso gespannter sind sie nun. „Der Tod ist ein wichtiger Teil des Lebens und der Kultur“, sagen die Possenrieder. Der Friedhof habe auf sie eine tolle Wirkung. „Angehörige, die heutzutage Binswangen besuchen, sind vor allem am Haus des Lebens interessiert“, erklärt Anton Kapfer. So wird der Friedhof im Judentum auch genannt. Während der Nazi-Zeit wurden die Grabsteine und die Mauer entwendet und zweckentfremdet. Ein Teil der erhaltenen Grabsteine wurde nach 1945 wieder aufgestellt.

    Alexandra Fiebig zeigt Tochter Lea die religiösen Stätten.
    Alexandra Fiebig zeigt Tochter Lea die religiösen Stätten. Foto: Polednia

    In Buttenwiesen werden an diesem Tage ebenfalls Führungen auf dem jüdischen Friedhof, in der ehemaligen Synagoge und der Mikwe angeboten. Einige Besuchern wandern durch das jüdische Ensemble. Darunter findet sich auch wieder das Mutter-Tochter-Gespann, das sich bereits in Binswangen umgesehen hatte. Alexandra Fiebig aus Rieblingen will Tochter Lea so einen wichtigen Teil der Heimatgeschichte vermitteln. Die Achtjährige ist vor allem vom Binswanger Waldfriedhof beeindruckt und hat einiges dazugelernt. „Statt Blumen bringen Juden Steine an die Gräber.“

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