Am Ende des Referats rumort es unter den rund 50 Besuchern. Ein Waldbesitzer rauft sich die Haare: Er war schließlich nach Dillingen in die Kulturkneipe Chili gekommen, um endlich ein Mittel gegen den derzeit gefürchteten Eichenprozessionsspinner zu finden. In seinem zwei Hektar großen Wald stehen Baumriesen, die befallen sind: „Meine Eichen haben viele Generationen gesehen.“ Die eingeritzten Herzchen vor 150 Jahren seien mit den Bäumen mitgewachsen. Jetzt macht er seiner Sorge Luft: „Ich kann doch nicht die Kronen, die 25 Meter Durchmesser haben, von den Nestern befreien?“ Die Raupen hätten die Blätter bis auf die Mittelrippen abgefressen: „Das sah beängstigend und schön zugleich aus. Aber wie oft halten die Eichen das aus?“ Und wer haftet, wenn Waldspaziergänger in Berührung mit den giftigen Raupenhärchen kommen? Bleibt die Fällung als letzte Lösung?“, fragt er noch. Doch niemand kauft zurzeit Brennholz von Eichen. Die Thematik um den Eichenprozessionsspinner erregt nicht nur im Chili die Gemüter von Waldbesitzern, Gemeindevertretern und Bauhofmitarbeitern. In den vergangenen Monaten hat es viel Aufregung um gefällte Bäume gegeben. Nachdem im Wertinger Stadtteil Rieblingen Ende Januar auf einen Schlag 26 Eichen der Säge zum Opfer gefallen sind, forderte die Grünen-Kreisrätin Heidi Terpoorten ein Umdenken im Umgang mit dem Schädling. „Wir brauchen andere Lösungen“, sagte sie damals. Denn der Landkreis verzeichnet viele Eichenbestände entlang der Donau, im Donauried, an Waldrändern und in Hecken.
Gibt es eine unbegründete Panik?
„Berechtigte Sorge oder unbegründete Panik?“ Dieser Frage ging jetzt in Dillingen auf Einladung der Kreisgrünen ein Fachagrarwirt für Baumpflege und Baumsanierung auf den Grund: Christopher Busch hat in seiner Heimat im fränkischen Bamberg reichlich Erfahrung gesammelt. In Franken leben die Menschen schon viel länger mit dem Insekt als in Schwaben. Außerdem leitet er das bayernweite Projekt des Bund Naturschutz „Neue Chance für alte Bäume“. In seinem Vortrag schlug er einen weiten Bogen von der Kreidezeit vor 66 Millionen Jahren bis heute. So lange existiert die Eiche schon in Europa. Deshalb sei sie so gut angepasst und biete Hunderten von Arten wertvollen Lebensraum: Schmetterlingen (366), Käfern (500), räuberischen Arten (500), Hirschkäfern (66), Vögeln und vielen weiteren – mehr als alle anderen Baumarten.
Der „Spinner“ ist demnach ein „Ur-Bayer“
Auch der Eichenprozessionsspinner fühlt sich auf der Eiche wohl, vor allem in Verbindung mit Wärme und Trockenheit. In Franken ist er seit 1782 belegt. „Ein Urbayer also“, merkte Busch humorig an. Die Quellen, aus denen Busch zitiert, seien seriös, betont er. Das Verbreitungsgebiet beispielsweise habe sich in den vergangenen zwei Jahrhunderten nicht verändert. Von 1900 bis 1980 sei der Schädling so stark zurückgegangenen, dass manche Bundesländern ihn sogar auf die Rote Liste gesetzt haben.
In den vergangenen zehn Jahren breitet er sich hingegen wieder stark aus. „Man darf die Eiche jetzt nicht verteufeln“, sagte Busch. Dass viele Leute wegen der Raupe die Motorsäge anlegen, findet er „völlig daneben“. Denn bei Eschen, Kastanien, Ulmen und Ahornbäumen sei ein Baumsterben zu beobachten. Wenn jetzt noch die Eichen gefällt würden, gäbe es bald keine Bäume mehr.
Die Empfehlung aus dem Ärzteblatt beachten
In Franken hingen fast überall seit vielen Jahren rucksackgroße Nester des Eichenprozessionsspinners. „Da ist noch nie etwas passiert.“ Verharmlosen wolle er aber nicht. Wer einmal in Kontakt mit Nestern geraten ist, sollte die Empfehlung aus dem Ärzteblatt beachten: Kleider wechseln, Duschen und Haare waschen, gegebenenfalls Augen ausspülen und bei schweren Symptomen den Arzt aufsuchen.
Zu 98 Prozent klagten Betroffene über Juckreiz, nur in 0,2 bis 0,7 Prozent komme es zu schwereren Fällen wie Asthma. Den Einsatz von Insektiziden sieht Busch naturgemäß kritisch: „Das schadet allen Arten.“ Jeder müsse sich die Frage stellen, was er will. Wer spritzt, zahlt einen hohen Preis, wer fällt, einen noch höheren.
„Man kann mit dem Eichenprozessionsspinner gut leben, wenn man aufpasst“, so Busch. Zum „Draufschmieren“ gebe es bislang nichts. Und Abfackeln bringe auch nichts. Im Schutzanzug die Nester abräumen oder absaugen seien die einzigen Alternativen. Manche Firmen würden für das Entfernen eines einzigen Nestes 40 Euro verlangen. Ein hoher Preis, wenn man weiß, dass die Firma 100 Nester am Tag schafft.
Kommunen geraten immer mehr unter Druck
Das Tier bringt Kommunen immer mehr unter Druck. An prekären Stellen wie Kindergärten, Freibädern und Spielplätzen, so riet Busch, sollten Eichen abgesaugt werden. Ansonsten appellierte er für mehr Aufklärung. „Kinder sollen auch nicht in Hornissennestern stochern oder Fliegenpilze essen.“
Am Ende konnte der Baumpfleger die Besucher beruhigen. „Der Eichenprozessionsspinner wird wieder zurückgehen.“ Seine Hoffnung schöpft er aus der Literatur.
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