Startseite
Icon Pfeil nach unten
Dillingen
Icon Pfeil nach unten

Landkreis Dillingen: "Der Handel ist kein Pandemietreiber“

Landkreis Dillingen

"Der Handel ist kein Pandemietreiber“

    • |
    Viele Einzelhändler müssen derzeit die Türen ihres Geschäftes geschlossen halten. Supermärkte und Drogerien freuen sich dagegen über gute Umsätze.
    Viele Einzelhändler müssen derzeit die Türen ihres Geschäftes geschlossen halten. Supermärkte und Drogerien freuen sich dagegen über gute Umsätze. Foto: dpa (Symbol)

    Der Einzelhandel in Deutschland steht seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie und dem damit verbundenen zweimaligen Lockdown vor der größten Herausforderung nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir sprachen darüber mit Bernd Brenner aus Dillingen. Der Buchhändler ist Vizepräsident des Einzelhandelsverbandes in Bayern (HBE) und Bezirksvorsitzender in Schwaben.

    Der Lockdown wird für den Handel immer bedrohlicher. Was fordern Sie von der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung, um eine Insolvenzwelle im Handel aufzuhalten, ohne die Ansteckungsgefahr der Bevölkerung zu erhöhen?

    Bernd Brenner: Allein im Bezirk Schwaben sind 1000 Einzelhandelsunternehmen in ihrer Existenz bedroht und rund 8000 Arbeitsstellen stehen auf der Kippe. Wie sich bei der letzten Öffnung im Mai/Juni des vergangenen Jahres gezeigt hat, ist der Handel kein Pandemietreiber. Es besteht keine Ansteckungsgefahr. Deshalb lautet unsere Forderung: sofort öffnen.

    Etwa 200 Einzelhändler haben sich bis zum 19. Februar gemeldet, um gemeinsam mit dem HBE Bayern und verschiedenen Rechtsanwaltskanzleien rechtlich per Eilantrag gegen die Corona-Maßnahmen vorzugehen. Denken Sie, dass dies trotz der Verbreitung von hoch ansteckenden Virus-Mutanten der richtige Weg ist?

    Brenner: Richter sind keinesfalls die besseren Virologen. Doch Richter sprechen Recht, daher der Klageweg. Denn der Einzelhandel fühlt sich von der Politik ungerecht behandelt. Vergleichen Sie doch nur einmal die körperlichen Abstände im Handel und bei Friseuren. Wo kann hier von Chancengleichheit gesprochen werden, wenn beim Einzelhändler nicht mal unter peinlichster Einhaltung der Hygienemaßnahmen eingekauft werden kann.

    Wenn der Handel öffnet, wie soll der Menschenansturm hauptsächlich in den Ballungsgebieten kanalisiert werden? Laut Fachleuten wie Karl Lauterbach sei in Bahnen und Bussen die Ansteckungsgefahr besonders hoch?

    Brenner: Wir in Bayern haben das Tragen von FFP2-Masken im ÖPNV gesetzlich zum Schutz vor Ansteckung mit Covid-19 eingeführt. Ebenso für den Einzelhandel als einziges Bundesland. Das schützt die Kunden besser als im übrigen Bundesgebiet. Wir brauchen dringend eine Öffnungsstrategie, denn die Politik hat jedenfalls nach zwölf Monaten Zeit nicht geliefert.

    Nur Geimpfte in die Läden? Verband will keine Empfehlung geben

    Sollte der Handel Menschen, die bereits geimpft wurden, bevorzugt behandeln, wie es mittlerweile in Israel praktiziert wird?

    Brenner: Jeder Einzelhändler hat das Hausrecht. Somit darf er entscheiden, wer in sein Geschäft reinkommt und wer nicht. Wir als Verband werden keine Empfehlung geben.

    „Die Gesellschaft wird nie mehr die gleiche sein wie vor Corona.“ Diese Meinung ist in jüngster Zeit häufig zu hören und zu lesen. Wie denken Sie darüber?

    Brenner: Ich denke, die Gesellschaft wird sich nachhaltig verändern, und ich hoffe, dass die Wertschätzung für die alltäglichen Dinge des Lebens von Dauer sein wird. Die Krise zeigt auch, dass Menschen wieder zueinanderstehen und dabei lernen, sich gegenseitig zu unterstützen.

    Jetzt hat die Bayerische Staatsregierung beschlossen, auch Gärtnereien, Gartenmärkte, Blumenläden und Fußpflegedienste ab 1. März wieder zu öffnen. Sehen Sie darin ein Signal für den Einzelhandel?

    Bernd Brenner, Vorsitzender des HBE im Bezirk Schwaben.
    Bernd Brenner, Vorsitzender des HBE im Bezirk Schwaben. Foto: Pawlu

    Brenner: Das ist ein gutes Signal, doch auch nur der erste Schritt. Wenn es die Entwicklung der Pandemie zulässt, müssen sofort und ohne weitere Umstände die Einzelhandelsgeschäfte folgen.

    Berliner Amtsärzte fordern trotz Inzidenzwerten von 20 oder 30 eine Abkehr von allen Lockerungen. Einige Virologen fürchten eine dritte Corona-Welle. Denken Sie, dass dennoch der Handel eine Chance bekommen sollte, seine Pforten zu öffnen?

    Brenner: Das Schlimmste für uns Einzelhändler wäre ein ständiges Auf und Zu, jeweils abhängig von der Sieben-Tage-Inzidenz. Das wäre der Super-GAU für den Handel und seine Kunden. Da scheint mir ein Stufenplan, wie vom Verband bereits seit Monaten vorgeschlagen, bedeutend besser.

    Versorgung nur mit Lebensmitteln: "Bei der Bevölkerung wächst da die Unzufriedenheit"

    Öffnungen seien angesichts der schnellen Ausbreitung von Corona-Mutanten fatal, meinte jetzt die Virologin Melanie Brinkmann.

    Brenner: Da wir in Bayern aus bekannten Gründen mit der Massenimpfung leider nicht so richtig vorankommen, wäre eine effiziente Teststrategie mehr als wichtig. Aber auch hier werden wir jetzt erneut von der Politik enttäuscht. Die groß angekündigten privaten Testmöglichkeiten wurden vom Bundeskanzleramt ohne Begründung einfach wieder kassiert.

    Bundeskanzlerin Merkel schlug am Montag bei den Öffnungen „Paketlösungen“ in verschiedenen Bereichen vor. Über den Handel fiel kein Wort.

    Brenner: Ich hätte mir gewünscht, dass der Einzelhandel ebenfalls Teil dieser jüngsten „Paketlösung“ der Kanzlerin ist. Doch wieder einmal stehen wir außen vor, obwohl wir es sind, die Tag für Tag die Bevölkerung mit allem versorgen. Wir sind der drittstärkste Wirtschaftszweig im Land mit Millionen von Beschäftigten. Auf die Dauer geht ohne den Einzelhandel einfach nichts. Von Lebensmitteln allein können die Menschen in Deutschland nur bedingt und über einen begrenzten Zeitraum leben. Ansonsten wächst die Unzufriedenheit.

    Müssen wir warten, bis die Impfung der Bevölkerung durch ist? Oder sollte das öffentliche Leben und somit auch der Handel vorher eine Chance bekommen?

    Brenner: Die Politik muss täglich die Pandemie-Situation neu bewerten und entscheiden. Leider hat dies in der Vergangenheit nicht nach unseren Vorstellungen gegriffen. Es gibt noch genügend andere Geschäftszweige und Branchen, die ebenfalls darunter leiden. Doch der Einzelhandel fehlt meiner Ansicht nach nicht nur der Bevölkerung sehr, sondern auch ganz besonders der Wirtschaft. Eine Herdenimmunität zur Eindämmung der Pandemie erhalten wir sicherlich nur über die Impfung der Bevölkerung. Bis dahin muss jedoch die Politik mit durchdachten, klugen und nachvollziehbaren Entscheidungen unser Leben endlich erträglicher gestalten. Einschränkungen wie Mund-Nasenschutz und Abstandsregeln selbstverständlich inbegriffen.

    Lesen Sie auch:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden