Die junge Frau, Anfang 30, hat Angst. Sie wird verfolgt. Von ihrem Ex-Freund. Die Beziehung ist beendet, doch der Mann lässt sie nicht in Ruhe. Mal steht er plötzlich vor ihrer Haustür, dann passt er sie nach dem Supermarkteinkauf ab. Die Frau wird an allen möglichen Orten von ihm überrascht – ungewollt und unangenehm. Der ehemalige Partner hat zudem immer seinen Kampfhund dabei, die Stimmung ist aggressiv. Solche und ähnliche Situationen häufen sich immer mehr. Was soll sie nun tun? Zwar kann die Polizei helfen und möglicherweise eine Verwarnung gegenüber dem Mann aussprechen. Aber solange keine Straftat vorliegt, sind die Möglichkeiten begrenzt.
Es ist ein Ehrenamt für Menschen in Not
Dieser Fall ist keine erfundene Geschichte. Sie ist genau so einer Frau aus dem Landkreis Dillingen passiert, wie Walter Gögelein schildert. Denn sie hat sich bei ihm gemeldet und ihn um Hilfe gebeten – und sie bekommen. Gögelein arbeitet seit Jahren für den Weißen Ring und ist der Außenstellenleiter des Vereins für den Landkreis Dillingen. Eines Vereins, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Hilfen für Menschen, die von Straftaten betroffen sind, zu stellen. Ehrenamtlich. „Das ist ein umfassendes Gebiet“, sagt Gögelein, der hauptberuflich Unternehmensberater ist. Er wollte sich schon immer im sozialen Bereich engagieren und, wie er sagt, „gesellschaftsschwächeren Menschen etwas zurückgeben“. Der Weiße Ring tue genau das, betont der Höchstädter, und: „Diese ehrenamtliche Arbeit gibt mir sehr viel, weil ich etwas bewegen kann. Die Menschen, die sich bei uns melden, haben in erster Linie Angst. Und Angst hemmt die Gehirnströme, Alltagsdinge sind plötzlich kaum noch möglich.“ Mit der Unterstützung und den Angeboten des Vereins könnten Opfer aber genau dahin wieder zurückkehren: ins normale Leben. „Das gibt einem dann ein gutes Gefühl.“
Frauen, die von ihren Männern abhängig sind
Seit 40 Jahren gibt es den Weißen Ring. Mehr als 3000 Frauen und Männer engagieren sich deutschlandweit, aufgeteilt auf die verschiedensten Landkreise, ehrenamtlich für Menschen, die in die Opferrolle geraten sind. Sie bieten Hilfe für Personen, die durch mit Strafe bedrohte Handlungen geschädigt worden sind. Das reicht von häuslicher Gewalt, sexuellem Missbrauch, Tötungsdelikten, Diebstählen bis hin zu Stalking oder Betrug. Aber, das gelte auch für den Landkreis Dillingen, der Großteil der Menschen, die Hilfe brauchen, sind Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind. Und die habe zugenommen. Auch bei uns. Gögelein: „Seit Ausbruch der Corona-Pandemie hat es einen Anstieg gegeben. Man kann weniger ausweichen, die sozialen Kontakte sind eingeschränkter.“ Betroffen sind meist Mütter, die von ihrem Partner abhängig sind.
In solchen Fällen ist der Weiße Ring die richtige Anlaufstelle, wie Walter Gögelein betont. Einerseits bietet der Verein materielle Hilfe, heißt: Wenn alle gesetzlichen Leistungen ausgeschöpft sind, kann der Weiße Ring finanziell unterstützen, sei es in Form einer 300-Euro-Soforthilfe. „Wenn der Mann ins Gefängnis kommt und über die Konten verfügt, kann der Monat, bis es Sozialhilfe gibt, lang sein“, nennt Gögelein ein Beispiel.
Eine noch größere Rolle spielt aber die immaterielle Hilfe. Oft helfen erste Gespräche am Telefon. Im Mittelpunkt steht die Hilfe zur Selbsthilfe. Aber auch der Weg zur Polizei, die Gerichtsbegleitung oder die Unterstützung bei der Jobsuche. „Wir haben einen sehr guten Kontakt zur Schutzpolizei und zur Kriminalpolizei“, betont Gögelein, und weiter: Die Polizei kümmert sich um die Täter, wir um die Opfer.“
Stalking, Heiratsschwindler und sexueller Missbrauch
Dafür investiert der Höchstädter Unternehmer mindestens fünf Stunden pro Woche – ehrenamtlich. Aktuell noch mehr, da er momentan der einzige Ansprechpartner für den Weißen Ring im Landkreis Dillingen ist. Zwei seiner Mitarbeiter haben aufgehört, Gögelein sucht deshalb dringend neue Ehrenamtliche. „Man sollte ein wenig Zeit mitbringen und flexibel reagieren können. Aber im Grunde ist die einzige Voraussetzung, dass man gut mit Menschen kann“, erklärt er.
In speziellen Kursen würden die Ehrenamtlichen Leitfäden an die Hand bekommen, wie man in welcher Situation wie am besten reagiert. Wichtig: Kein Opfer sollte sich ehrenamtlich beim Weißen Ring engagieren, die finanzielle Unabhängigkeit hilft ebenfalls und das polizeiliche Führungszeugnis wird überprüft.
Wie oft die Ehrenamtlichen gebraucht werden, kann der Außenstellenleiter pauschal nicht sagen. „Manchmal gibt es Monate, da meldet sich niemand, und dann kommen drei Opfer auf einmal. Die Dunkelziffer ist aber wesentlich höher“, sagt er. Viele schämen sich und wagen nicht den Schritt, sich Hilfe zu holen.
Ähnlich geht es der jungen Frau, die von ihrem Ex-Partner verfolgt wird. „Täter suchen sich immer Schwächere“, erklärt Walter Gögelein. Deshalb gehe es auch darum, die Opfer in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken. Das kann mithilfe von Psychologen oder auch Angeboten wie Selbstverteidigungskursen funktionieren. Der Weiße Ring vermittelt. „Gerade im Bereich Stalking gibt es immer mehr Opfer. Zumindest werden die Fälle nun öffentlicher“, sagt Gögelein. Seit rund einem Jahr gibt es eine Handy-App, die Stalkingopfern noch mehr helfen soll. Sie heißt „No Stalk“. Betroffene, so erklärt es Walter Gögelein, können alle Handlungen des Täters mit ihrem Handy dokumentieren – Fotos, Videos, Chatverläufe und so weiter. Die App funktioniere wie ein digitales Tagebuch, das auf einem geschützten Server gespeichert ist. Gögelein: „Die lückenlose Dokumentation ist die Voraussetzung für eine Strafverfolgung. Und die ist mit der App möglich und wird bei der Justiz anerkannt.“
Opfertelefon ist ständig besetzt
Egal bei welchem Fall, das ist dem Ehrenamtlichen besonders wichtig, stehe immer der Opferschutz im Mittelpunkt, dem ein Gesetz zugrunde liegt. Gögelein erklärt: „Wenn es eine massive Bedrohung gibt und diese sich wiederholt, dann kann sich ein Opfer wehren. Dabei ist der Datenschutz oberstes Gebot. Man kann sich auch ohne Namen bei uns melden.“ Kein Opfer müsse für die Hilfe des Weißen Rings bezahlen. Der Verein finanziert sich durch Spenden und Erlöse, die durch Gerichte verhängt werden. „Wir helfen immer.“
Ehrenamtliche, die sich angesprochen fühlen und sich gerne beim Weißen Ring im Landkreis Dillingen einbringen möchten, können sich bei Walter Gögelein melden unter Telefon 09074/91403 oder per E-Mail unter goegelein.walter@mail.weisser-ring.de; Wer Hilfe braucht, kann sieben Tage die Woche von 7 bis 22 Uhr beim Opfertelefon kostenlos und anonym anrufen. Die Nummer: 116006; Stalkingopfer können sich über die neue App unter www.nostalk.de informieren.
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