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Landkreis Dillingen: Ärztemangel: „Mit dieser Berechnung werden wir beschissen“

Landkreis Dillingen

Ärztemangel: „Mit dieser Berechnung werden wir beschissen“

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    Haben wir genügend Hausärzte im Landkreis Dillingen? Laut Statistik schon. Regelversorgung heißt es dort. Doch viele Mediziner sehen das anders. Grund für die Diskrepanz ist die Art der Berechnung.
    Haben wir genügend Hausärzte im Landkreis Dillingen? Laut Statistik schon. Regelversorgung heißt es dort. Doch viele Mediziner sehen das anders. Grund für die Diskrepanz ist die Art der Berechnung. Foto: Patrick Pleul, dpa (Symbol)

    Für Patienten sind dies keine leichten Zeiten. Wer zum Arzt muss, wartet oft vor der Tür, die Wartezeiten nehmen gefühlt zu, überall gilt Maskenpflicht. Manch einer traute sich wegen der Pandemie gar nicht zum Arzt. Und die Ärzte selbst haben noch mehr zu tun, als ohnehin schon. Immerhin sind sie die erste Bastion im Kampf gegen das Virus. Im Interview, das Sie auf Seite 26 lesen, weist der Dillinger Versorgungsarzt Dr. Alexander Zaune auf die niedrige Zahl an Hausärzten im Landkreis hin. Wie stellt sich die Situation also dar?

    Wie viele Hausärzte es in einer Region gibt, hat nicht ausschließlich mit dem Nachwuchs zu tun. Auch die Bedarfsplanung gibt vor, wie viele Hausärzte sich niederlassen dürfen. Gibt es in einem Planungsbereich zu viele, gilt er als überversorgt. Dann werden keine neuen Arztstellen zugelassen. Im Landkreis Dillingen, der in die Planungsbereiche Dillingen und Lauingen aufgeteilt wird (wobei Bissingen in den Bereich Nördlingen fällt) stellt sich die Situation offiziell so dar: Im Bereich

    Hausärztemangel im Landkreis Dillingen: "Gewisse Schönrechnung"

    Also alles gut? Zaune sagt: Nein. Denn zum einen werden in die Statistik auch sogenannte atypische Hausärzte eingerechnet, wie etwa Diabetologen mit Kassenhausarztsitz, die überwiegend auf Überweisung tätig werden. Und: „Gefühlt besteht ein Hausärztemangel schon lange. Nur geben das die offiziellen Zahlen nicht wieder.“ Einen Grund erklärt der Hausarzt und Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung im Landkreis so: Seit 2019 wird der Bedarf an Hausärzten in einer Region verstärkt mit Blick auf die Krankheitslast und Altersstruktur berechnet. Und der Landkreis Dillingen gilt seinen Worten zufolge als sehr gesund und jung. Im Bereich Dillingen kommen so laut Bedarfsplanung 1748 Einwohner auf einen Arzt, im Bereich Lauingen 1698. Die gesetzlich festgelegte Verhältniszahl sieht in Deutschland einen Arzt pro 1609 Einwohner vor. 2013 waren es noch 1421. Zaune sagt: „Das heißt, jeder Hausarzt im Landkreis hat schon mal deutlich mehr Patienten, mehr Rezepte und mehr Medikamente zu überblicken. Und das mit der Begründung, dass wir hier zu gesund sind.“ Das wiederum stimme nicht. „Du glaubst ja wohl nicht, dass die Menschen in Günzburg oder im Ries kränker sind als hier.“ Dillingen sei ein ländlicher Kreis wie viele andere, entsprechend solle man die gleichen Verhältniszahlen verwenden. „Die Berechnungsmethode führt leider zu einer gewissen Schönrechnung für die hausärztliche Versorgungsebene im Landkreis.“

    Der Hausarzt spricht schon jetzt von einem „gefühlten Ärztemangel“ im Landkreis. „Es ist schon ein Unterschied, ob man 50 oder 90 Patienten am Tag sieht.“ Die Arbeitsbelastung sei derzeit, auch wegen Corona, bei allen Kollegen sehr hoch. Der Höchstädter Hausarzt Jürgen Arnhardt sagt zur Bedarfsplanung: „Mit dieser Berechnung werden wir beschissen.“ Auch er sieht einen sich verschärfenden Hausärztemangel. Und die vielen neuen Regelungen wie die elektronische Gesundheitskarte und die Eigenverantwortlichkeit bei der Beschaffung der Schutzkleidung für die Covid-Arbeit machten es nicht besser.

    Doch da ist noch mehr, was die Mediziner umtreibt: Mehr als ein Drittel der Hausärzte im Landkreis ist über 60 Jahre alt. Laut Dr. Jakob Berger, Sprecher der KVB in Schwaben, gibt es sogar einen Arzt über 80. Warum viele Ärzte bis weit über das gesetzliche Rentenalter hinaus arbeiten? Berger, selbst über 70, sagt: „Da ist das Pflichtbewusstsein, dass man seine Patienten nicht im Stich lassen kann. Und die Arbeit macht sehr viel Spaß, man kriegt ja viel zurück.“ Gerade auf dem Land knüpfen Ärzte seinen Worten nach enge Beziehungen zu ihren Patienten.

    Er schätzt die Versorgungslage, nicht nur im Landkreis, so ein: „Ich sehe uns da kurzfristig ein Tal durchschreiten.“ Immerhin dauere die Ausbildung zum Allgemeinmediziner zwölf Jahre. „Aber die Prüfungszahlen steigen wieder. Langfristig sollten wir wieder mehr Ärzte haben. Wir müssen nur schauen, wie wir die nächsten zehn Jahre überbrücken.“

    Um trotz des zunehmenden Ärztemangels die Versorgung im Landkreis zu sichern, hat Dr. Ulrike Bechtel, Chefärztin und Gesamtleitung der Inneren Medizin im Kreisklinikum Dillingen, bereits 2013 die medizinische AKADemie (Ausbildungskonzept Allgemeinmedizin Dillingen) gegründet, die Praktika, Famulaturen, das praktische letzte Jahr des Medizinstudiums sowie die Weiterbildung junger Ärzte zu Allgemeinmedizinern beinhaltet. Für ihr deutschlandweit einzigartiges Ausbildungskonzept wurde der Kreisklinik St. Elisabeth von der TU München der Titel „akademisches Lehrkrankenhaus“ verliehen. Dort werden Innere Medizin und Chirurgie gelehrt, die allgemeinmedizinische Ausbildung findet in Hausarztpraxen im Landkreis statt.

    Das Dillinger Lehrkrankenhaus soll Studenten die Region schmackhaft machen

    Mit dem Programm will man Medizinstudierenden die Vorteile des Landkreises aufzeigen – in der Hoffnung, dass sie sich irgendwann hier niederlassen. „Sieben Jahre Erfahrung haben gezeigt, dass das Konzept erfolgreich ist“, betont Bechtel. Zahlreiche junge Ärzte aus den verschiedensten Universitäten arbeiten inzwischen dauerhaft in der Kreisklinik Dillingen und in den Hausarztpraxen des Landkreises.

    Die Strahlkraft reicht so weit, dass das Programm inzwischen auf ganz Bayern ausgerollt wurde. Bechtel war 2017 deshalb sogar bei Bundespräsident Joachim Gauck und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eingeladen. Sie sagt: „Nur wenn wir mit diesem Projekt eine exzellente Weiterbildung anbieten und das eine Strahlkraft hat, haben wir die Chance, den Bedarf an Ärzten im Landkreis auch in Zukunft irgendwie zu decken. Ein Rosengarten wird das aber trotzdem nicht.“

    Um die Versorgung auch in Zukunft aufrecht zu erhalten, hat sie noch einige Ideen: Bechtel will neben den Lehrkrankenhausmessen in Deutschland auch mehr Werbung an Universitäten im Ausland, etwa in Riga oder Budapest, wo viele deutsche Medizinstudenten ihr Studium absolvieren, machen. „Wir könnten da eine zweite Pipeline legen“, sagt sie. Außerdem wolle sie die Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik Augsburg verstärken. Auch Berger vom KVB sieht in der Uniklinik eine gute Chance, Nachwuchs zu akquirieren. „Am sinnvollsten ist es aber wohl, wenn sich Ärzte frühzeitig Ausbildungsassistenten suchen, die die Praxis irgendwann übernehmen können.“

    Hausbesuche sind vielleicht bald nicht mehr so leicht machbar

    Zaune glaubt, mittelfristig müssten sich die Patienten von einigen Annehmlichkeiten verabschieden: Hausbesuche etwa seien nicht mehr so einfach machbar. „Das werden verstärkt unsere dafür ausgebildeten medizinischen Fachangestellten machen. Ohne die wäre das nicht mehr möglich.“ Trotz der Widrigkeiten: Arnhardt und Zaune sind beide voll überzeugt von ihrem Beruf: „Das ist die schönste Arbeit, die ich mir vorstellen kann“, sagt Arnhardt. In den vergangenen Jahrzehnten habe sich schon vieles zum Besseren geändert, wenn es etwa um Nachtdienste geht.

    Die Zukunft seiner Praxis ist jedenfalls gesichert: Die beiden Allgemeinmedizinerinnen in seiner Praxis wollen diese übernehmen, wenn der 61-Jährige aufhört. „Wann das sein wird, weiß ich nicht. Ein paar Jahre werden es auf jeden Fall noch.“ Eine seiner Kolleginnen fand den Weg nach Höchstädt übrigens über das Lehrkrankenhaus.

    Lesen Sie dazu den Kommentar: Schönrechnen bringt beim Ärztemangel nichts

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