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Justiz: Totschlag-Prozess: Wie kam es zum Tod nach dem Vollrausch?

Justiz

Totschlag-Prozess: Wie kam es zum Tod nach dem Vollrausch?

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    Ein 36-Jähriger aus dem Kreis Donau-Ries ist 2017 gestorben, nachdem er unter anderem Heroin konsumiert hatte. Nun stehen seine Freunde vor Gericht.
    Ein 36-Jähriger aus dem Kreis Donau-Ries ist 2017 gestorben, nachdem er unter anderem Heroin konsumiert hatte. Nun stehen seine Freunde vor Gericht. Foto: Frank Leonhardt, dpa (Symbol)

    Plötzlich ist es ganz ruhig im Gerichtssaal. Die Aussage des Zeugen wirkt einige Sekunden nach. „Ich verstehe das nicht“, hatte dieser in das Mikrofon vor sich geraunt. „Es wäre so einfach gewesen, einen Krankenwagen zu rufen.“

    Hätte Pärchen Tod des Freundes verhindern können?

    Der Mann aus dem Landkreis Günzburg, ein Freund des Opfers, spricht den Punkt an, um den sich alles in diesem Prozess dreht. Es geht um die Frage, ob die Angeklagten, ein 32-Jähriger und eine 30-Jährige aus dem Kreis Dillingen, den Tod ihres Freundes hätten verhindern können. Der 36-Jährige aus dem Kreis Donau-Ries war im November 2017 gestorben, nachdem er zusammen mit den Angeklagten in deren Wohnung Drogen konsumiert hatte.

    Obwohl sich im Laufe des Abends der Zustand des späteren Opfers verschlechterte und der Mann unter anderem mit Atemproblemen zu kämpfen hatte, holten seine beiden Freunde – selbst zum Teil unter starkem Einfluss von Betäubungsmitteln – keine Hilfe. Das Augsburger Landgericht muss derzeit klären, ob sich die Angeklagten des Totschlags durch Unterlassen schuldig gemacht haben. Eine entscheidende Rolle spielt dabei auch eine Spritze mit unbekannter Flüssigkeit, die das Pärchen laut Anklage seinem Freund verabreicht und damit dessen Zustand weiter verschlechtert haben soll.

    "Alles genommen, was er in die Hände bekommen hat"

    In dieser Woche sagt unter anderem der Freund des Verstorbenen aus, der sich ebenfalls in der Drogenszene auskennt. Beide hatten sich beim Entzug im Günzburger Bezirkskrankenhaus kennengelernt. Der Mann erzählt, dass der 36-Jährige zwar nicht abhängig war, aber relativ regelmäßig die verschiedensten Drogen konsumierte. „Er hat alles genommen, was er in die Hände bekommen hat“, so seine Aussage.

    Auch an jenem Novemberabend hatte das spätere Opfer einiges eingeschmissen, geraucht und gespritzt. Ein Toxikologe berichtet vor Gericht, dass er im Körper des Verstorbenen Spuren von Cannabis, Amphetamin, Diazepam und Heroin fand. Die jeweiligen Konzentrationen seien jedoch relativ niedrig gewesen und könnten, für sich genommen, den Tod nicht erklären, so der Experte. Eine Vermutung von ihm: Das Zusammenwirken der verschiedenen Stoffe könnte, je nach Vorschädigung des Körpers, zum Tod geführt haben. Dies sei jedoch „Spekulation“ – ebenso wie die Frage, welche Rolle eine mögliche, zusätzliche Spritze Heroin gespielt haben könnte.

    Zwei Sachverständige widersprechen sich

    Die Umstände sind unklar, die tatsächliche Todesursache jedoch nicht: Ein Pathologe berichtet, dass der 36-Jährige durch Gewebewasser in der Lunge gestorben ist, was wiederum durch das Versagen des Herzens hervorgerufen worden war. Der Fachmann hat auch die Hand des Toten untersucht, an der zwei Einstichstellen zu erkennen waren. Sein Ergebnis: Die Nadel, die laut Staatsanwaltschaft einer der Angeklagten gesetzt haben soll, verletzte zwar die Venenwand des Mannes, ob sie diese auch wirklich durchdrang und somit direkt in die Blutbahn kam, könne er nicht sagen. Auch ein weiterer Sachverständiger, ein Gerichtsmediziner, beschäftigte sich mit den Einstichstellen in der Hand. Er kam zu dem Ergebnis, dass eine davon bereits Tage vor dem Tod entstanden ist – und widersprach damit dem anderen Sachverständigen, der von „zwei bis vier Stunden“ vor dem Tod sprach.

    Die Spritze, die die Angeklagten dem Opfer verabreicht haben sollen, dürfte für das Urteil von entscheidender Bedeutung sein. Ebenso wie das Video, das an jenem Abend entstand. Es zeigt nicht nur, wie berauscht der spätere Tote war, sondern vor allem auch, wie sehr der 32-jährige Angeklagte neben sich stand. Verteidiger Georg Zengerle spricht vor diesem Hintergrund von einer „erheblich eingeschränkten physischen und geistigen Leistungsfähigkeit“ seines Mandanten. Er zitiert Studien, wonach durch den Konsum von Heroin die Realität ausgeblendet sowie eine Euphorie ausgelöst wird, die Lebensprobleme als unbedeutend erscheinen lässt.

    Im Internet nach "Leichenstarre" gesucht

    Wie die beiden Angeklagten nach dem Tod ihres Freundes die Ermittler offenbar täuschen wollten, berichtet der zuständige Sachbearbeiter der Kripo Neu-Ulm. Demnach soll das Paar Chatverläufe und Backup-Daten gelöscht haben. Kurz bevor die beiden die Leiche an einem B16-Parkplatz bei Günzburg ablegten und einen (fingierten) Notruf absetzten, hatte die Angeklagte dem bereits toten Freund die Nachricht geschickt: „Wo bist du?“ Wie berichtet, hat die 30-Jährige später bei der Polizei offenbar einen Zusammenbruch vorgetäuscht, ihr Freund rasierte sich am ganzen Körper, um Untersuchungen bezüglich seines vorangegangen Drogenkonsums zu erschweren. Auswertungen der Handys ergaben: Die Angeklagten hatten am Mittag nach dem Rauschabend im Internet nach „Gestorben – wann tritt Leichenstarre ein?“ gesucht. Bereits einige Zeit vor dem vermeintlichen Notruf hatten sie sich im Netz zu den Begriffen „Notruf“ und „Notruf Krankenwagen“ erkundigt. Der Prozess wird Anfang Januar fortgesetzt.

    Lesen Sie hier Hintergründe zu diesem Prozess:

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