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Interview: Strafverteidiger Georg Zengerle: Die Frage nach der Schuld „ist letztlich egal“

Interview

Strafverteidiger Georg Zengerle: Die Frage nach der Schuld „ist letztlich egal“

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    Der Dillinger Georg Zengerle ist erfahrener Strafverteidiger und weiß, ob Krimi-Fans bei einer Gerichtsverhandlung von ihrem Wissen profitieren.
    Der Dillinger Georg Zengerle ist erfahrener Strafverteidiger und weiß, ob Krimi-Fans bei einer Gerichtsverhandlung von ihrem Wissen profitieren. Foto: Sebastian Gollnow/dpa (Symbol)
    Der Dillinger Georg Zengerle ist erfahrener Strafverteidiger.
    Der Dillinger Georg Zengerle ist erfahrener Strafverteidiger. Foto: Berthold Veh (Archiv)

    Rennende Beine auf nassem Asphalt und ein helles Auge im Fadenkreuz: Spätestens wenn der kultige Tatort-Vorspann erklingt, sitzen wieder Millionen von Zuschauern vorm Fernseher. Der brave Durchschnittsdeutsche scheint sich in seiner Freizeit gerne mit den Abgründen der Gesellschaft zu beschäftigen. Georg Zengerle hat in seiner Arbeit als Fachanwalt für Strafrecht tagtäglich damit zu tun. Der 61-jährige Dillinger spricht im Interview mit der Donau-Zeitung darüber, ob Krimi-Kenner vor Gericht einen Vorteil haben und welcher Fall aus der Region ihn besonders mitgenommen hat.

    Herr Zengerle, profitieren Menschen, die jeden Sonntagabend dem neuen Tatort entgegenfiebern, wenn sie selbst einmal vor Gericht stehen?

    Georg Zengerle: Leute, die viele Krimis schauen, sorgen eher für Erheiterung vor Gericht. Es kam schon mal vor, dass ein Beteiligter unpassenderweise „Einspruch Euer Ehren!“ rief. Aber das passiert eher selten. Vor Gericht profitieren eher jene Menschen, die schon einmal in der ersten Reihe saßen. Ich habe immer mal wieder Mandanten, die nicht zum ersten Mal mit der Polizei zu tun haben oder vor Gericht stehen. Das sind die, die ihre Rechte kennen. Die kennen sie aber nicht aus dem Tatort, sondern aus dem letzten Kontakt mit ihrem Verteidiger. Die sind dann routinierter und haben sich nicht bereits verplappert, wenn sie in der Kanzlei ankommen.

    Was ist Ihr Rat, wenn die Polizei vor der eigenen Tür steht?

    Zengerle: Ich sage jetzt nicht „Die Tür nicht öffnen!“ (lacht). Lieber die Tür auf machen, höflich sein, fragen wer vor einem steht und um was es geht. Wenn man das Gefühl hat, dass man sich selbst oder nahe stehende Personen mit einer Aussage belasten könnte, sollte man zunächst schweigen und sich erst einmal von einem Anwalt beraten lassen. Es könnte sich rächen, und das tut es leider immer wieder, wenn man vorschnell Angaben macht.

    Gab es schon mal einen Fall, den Sie abgelehnt haben?

    Zengerle: Wenn ein Mandant versucht, mir eine Verteidigungsstrategie vorzuschreiben, die ich für absolut nicht zielführend halte, ziehe ich mich zurück. Aber das kommt sehr selten vor. Zum Beispiel, wenn es um eine unbestreitbar nachgewiesene Gewalt- oder Sexualstraftat geht und der Mandant möchte, dass ich auf das ohnehin schon leidende Opfer auch noch juristisch einschlagen soll, dann kommen wir nicht zusammen.

    Fragen Sie Ihre Mandanten, ob sie schuldig sind?

    Zengerle: Ich frage meine Mandanten, ob sie schuldig sind, auch wenn es letztlich egal ist. Es hat mir sogar egal zu sein, denn es geht ausschließlich darum, ob die Tat mit rechtsstaatlichen Mitteln nachgewiesen werden kann oder nicht. Wenn der Mandant mich belügt, bestraft er sich selbst. Er macht sich und der Verteidigung das Leben unnötig schwer. Ich formuliere es mal so: Wenn ich meinen Mandanten durch ein Minenfeld führen soll, dann wäre es ganz vorteilhaft, wenn er mir sagen würde, wo die Minen liegen.

    Welche Straftaten verteidigen sie im Landkreis Dillingen am häufigsten?

    Zengerle: Zahlenmäßig sind es vor allem Drogendelikte, Körperverletzung und Verkehrsstrafsachen. Vom Arbeitsumfang her sind es Wirtschafts- und Steuerhinterziehungsverfahren. Da steckt eine ganze Menge Aktenmaterial und Zusammenarbeit mit Behörden dahinter und das führt oftmals zu jahrelangen Verfahren.

    Welche Taten und Gerichtsprozesse haben die Region besonders aufgewühlt?

    Zengerle: Allgemein sind es Straftaten gegen das Leben, die die Gesellschaft am meisten bewegen. Das sind die Mord- und Totschlagfälle. Ich habe in den vergangenen Jahren in einigen dieser Fälle verteidigt. Man muss aber bedenken, dass es sich auch bei den verurteilten Tätern um Menschen handelt. Die haben teilweise schon ihre Haftstrafen hinter sich gebracht und in der Gesellschaft wieder Fuß gefasst. Ich hätte nun Bedenken, öffentlich und über diese Fälle zu sprechen, nachdem berechtigterweise Gras über die Sache gewachsen ist.

    Gibt es einen Fall, der trotzdem erwähnt werden muss?

    Auf dem Friedhof in Gundelfingen liegt das Kind begraben.
    Auf dem Friedhof in Gundelfingen liegt das Kind begraben. Foto: Bernhard Weizenegger (Archiv)

    Zengerle: Karolina, der berühmte Kindermordfall. Das war im Jahr 2004. Der später verurteilte Täter hat lange im Landkreis gewohnt. Die Tat hat sich aber in Weißenhorn abgespielt und wurde deswegen vor dem Landgericht Memmingen verhandelt. Die dreijährige Karolina, übrigens in Gundelfingen beerdigt, wurde über Tage hinweg vom Stiefvater derart gefoltert, bis sie an den Folgen verstarb. Das Verfahren zog sich lange durch die Instanzen. Im Landgericht Memmingen wurde er zunächst wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu zehn Jahren Freiheitsstrafe plus Unterbringung in der Psychiatrie verurteilt. Die Staatsanwaltschaft akzeptierte das Urteil nicht. Die Bevölkerung war empört. Der Fall ging an den Bundesgerichtshof und von da zurück zum Landgericht München. Dort wurde mein Mandant wegen Mordes mit besonderer Schuldschwere verurteilt. Er wird einen erheblichen Teil seines Lebens im Gefängnis verbringen.

    Diese Tat lässt einen auch als erfahrenen Verteidiger nicht kalt, oder?

    Zengerle: Als Prozessbeteiligter erlebt man stückweise nach, wie dieses Kind gelitten haben muss. Man sieht die Bilder und liest die Akten. Das lässt einen natürlich nicht kalt.

    Wurden Sie als Verteidiger im Fall Karolina angefeindet?

    Zengerle: Viele Menschen waren damals der Meinung, dass der Täter eine Todesstrafe oder Ähnliches erhalten sollte. Ich habe in Dillingen dann einen Vortrag zum Thema Rechtsstaat gehalten. Auf dieser Veranstaltung wurde ich gefragt, wie ich denn einen solchen Mandanten mit dem Wissen um seine Schuld vertreten könne. Im Strafprozess geht es, unabhängig von der Tat, einzig darum, ob der Mandant mit rechtsstaatlichen Mitteln überführt werden kann. Er hat zum Beispiel auch ein Schweigerecht und wenn dieses Schweigen zum Freispruch führt, dann hat man ihm als Verteidiger auch genau dieses zu empfehlen. Rechtsstaat bedeutet nicht Gerechtigkeit um jeden Preis. Das Recht des Gerichts, einen Menschen ins Gefängnis zu schicken, besteht nur im Rahmen eines fairen Verfahrens.

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