Schritt für Schritt finden derzeit wieder einzelne Kulturveranstaltungen unter strengen Auflagen statt. Erwacht damit tatsächlich wieder das Kultur-Leben? Helmut und Gerhard Sauter – Vater und Sohn und gemeinsame „Macher“ der Kleinkunstbühne Lauterbach – wünschen sich beide sehr, dass es wieder erwacht. Sie ringen darum, wieder Veranstaltungen in die Wege zu leiten. Gleichzeitig sehen sie sich mit vielen Hürden konfrontiert. Wir sprachen mit ihnen über Sterbeprozesse und Frustrationen, Möglichkeiten und Hoffnungen.
Sie sagen, dass wir nach vier „kulturlosen“ Monaten noch meilenweit von einer Normalität im Kulturleben entfernt sind? Wie definierten Sie kulturelle Normalität?
Helmut Sauter: Offene Veranstaltungen und ein Publikum, das eng beieinandersitzen darf. Zum Kabarett beispielsweise gehören Publikumszuspruch und -widerspruch. Der Kabarettist ist gefordert, auf das Publikum einzugehen. Er lebt von der Nähe zum Publikum. Davon, dass der Funke überspringt. Zur Normalität gehören bei uns zudem die persönlichen Kontakte zu vielen Künstlern, die wir bis hin zu persönlichen Freundschaften pflegen. Erst an dritter Stelle kommen die Finanzen.
Gerhard Sauter:Für die Finanzen haben wir übrigens unseren unentbehrlichen „Finanzminister“ Thomas Seefried. Insgesamt sind wir ein Team von 25 ehrenamtlichen Leuten, die im Hintergrund alles organisieren.
Sie sagten, Sie haben direkten Kontakt zu mehreren Kulturschaffenden. Wie schätzen Sie deren momentane Lage ein?
Helmut Sauter: Erst gestern hat mir einer geschrieben: Wenn’s so weitergeht, geben wir auf. Lange Zeit können sie nicht mehr durchhalten. Die A-cappella-Gruppe „Extraton“ aus München, die bereits mehrfach für uns in der Binswanger Synagoge aufgetreten ist und fest für Juni 2021 eingeplant war, hat mir vor kurzem mitgeteilt, dass sie sich aufgelöst hat. Klar gibt es Kabarettisten wie Constanze Lindner oder Martin Frank, die sich durch Auftritte im Bayerischen Fernsehen noch über Wasser halten können. Oder Hans Well, der gerade mit seinen Kindern eine CD aufnimmt. Daneben gibt es aber auch 70 Prozent, die derzeit nichts haben. Sie leben normalerweise von ihren Wochenenden, die jetzt alle ausfallen.
Was konkret schränkt die Lauterbacher Kleinkunstbühne und ihre Künstler derzeit in ihrem Tun ein?
Helmut Sauter: Die Abstands- und Hygieneregeln, dazu strenge Lüftungsvorschriften, ganz zu schweigen vom personalisierten Kartenvorverkauf, der nicht nur die Corona-Regeln, sondern auch den Datenschutz stringent einhalten muss. Agenten fragen seit Wochen an, ob wir nicht vielleicht Freiluftveranstaltungen anbieten können. Doch wenn wir 60 bis 80 Leute nach allen Regeln in einem Biergarten untergebracht haben, brauchen wir mindestens alle unsere 25 Leute zum Kontrollieren.
Gerhard Sauter: Und dann regnet’s womöglich … – Wir überlegen seit vier Wochen, was wir tun können, haben eine Open-Air-Veranstaltung schon mehrmals durchgeplant. Es ist alles schwierig zu organisieren. Dazu werden wir von der Öffentlichkeit sehr beäugt – wie geben wir Essen und Trinken raus, halten die Regeln ein.
Sie hatten bereits im März das neue Spieljahr von September 2020 bis Juli 2021 komplett geplant. Können Sie bereits abschätzen, wie viel davon stattfinden beziehungsweise auf keinen Fall durchgeführt werden kann?
Helmut Sauter: In Aussicht stellen können wir derzeit „Herrn Stumpfes Zieh-&Zupf-Kapelle“ aus Baden-Württemberg am 19. September. Sie war schon vier- oder fünfmal da bei uns und ist bekannt. Dafür bekommen wir sicher auch Leute. Allerdings können wir die Veranstaltung nur in der Riedblickhalle durchführen und müssen sie auf 150 Besucher beschränken. Wenn sie mit einem verminderten Honorar einverstanden sind, wäre das ein Anfang. Die Halle müssen wir ja auch noch zahlen. Wir hoffen hier auf die Gemeinde, zumal Bürgermeister Hans Kaltner immer hinter uns steht. Von den drei bereits ausverkauften Veranstaltungen der vergangenen Monate haben wir „Quadro Nuevo“ auf Juni 2021 verschoben. Letztendlich sind uns die Hände gebunden. Wir sind daher leider etwas niedergeschlagen und pessimistisch gestimmt.
Inwieweit empfinden Sie die derzeitigen Hygienemaßnahmen als sinnvoll?
Helmut Sauter: Eine sehr schwierige Frage. Ich gehöre mit 77 Jahren zu den Risikopersonen, befürworte daher klar Abstand, Hygiene und Lüftung.
Gerhard Sauter: An der Schule, an der ich als Seminarrektor arbeite, hat mit einem aufwendigen System bisher alles geklappt. Wir sind ohne Fall durch den Sommer gekommen. Letztendlich fand allerdings kein Unterricht, sondern nur eine Beschulung statt.
Helmut Sauter: Solche strengen Regeln gelten natürlich auch für Kulturveranstaltungen. Wenn du sie nicht einhältst, bist du dran.
Gerhard Sauter: Den psychischen Faktor dürfen wir auch nicht vergessen. Wir haben viele ältere Kunden. Wer traut sich von denen, mit Freude zu kommen? Ich als Veranstalter fühle mich ebenfalls unter Druck, bin angespannt. Das ist keine gute Voraussetzung für Genuss und Freude.
Zwei Todesfälle – die Straub-Wirtin und mit Dietmar Panitz einer der Mitgründer der Lauterbacher Kleinkunstbühne – drücken vermutlich ebenfalls die Stimmung …
Helmut Sauter: Der Tod der Wirtin hat uns als Mannschaft sehr getroffen. Corona hat die Frage, wie’s im Gasthaus Straub weitergeht, etwas zugedeckt. Obwohl uns zugesichert wurde, dass die Wirtschaft für unsere Termine wieder aufgemacht wird, sehen wir, dass momentan alles in der Schwebe hängt. Mit Dietmar Panitz waren wir eng befreundet, haben seine Anfänge als Teil der Mehlprimeln ganz eng mitbekommen – beim Mengele auf dem Ofen sitzend.
Wie können Sie sich ein „Erwachen des Kulturlebens“ vorstellen?
Gerhard Sauter: Nächstes Ziel ist wie gesagt der 19. September. Wir wollen damit ein Lebenszeichen geben. Wenn alles klappt, kommt Constanze Lindner im November, tritt ebenfalls nur vor 150 Besuchern auf. Weiter können wir im Moment nicht planen.
Kleinkunst, Kabarett – hier treffen doch eigentlich politische und gesellschaftliche Kritik aufeinander. Wie sehen Sie das?
Gerhard Sauter: Das sehe ich als größten Verlust der Kabarett-Kultur, dass die Meinungsfreiheit, ein Pluralismus an Meinungen, derzeit nicht ausgelebt werden kann. Kabarettisten können den Finger in die Wunde legen. Sie zeigen, wie ein System sich entwickelt. An der Schule nehme ich derzeit beispielsweise stark die Hierarchie wahr. Von oben kommen Befehle, die befolgt werden. Kabarett ist eine Form von politischer Kritik, die dem Volk auch bei der Meinungsbildung hilft. Momentan besteht die Gefahr, dass das Fernsehen die Macht übernimmt bei der Meinungsbildung. Wenn die Vielfalt fehlt, sehe ich die Gefahr, dass Gesellschaftskritik verarmt, weil nichts mehr zum Nachdenken anregt, alle im gleichen Trott gehen. Wir sorgen uns nicht um die Besucher. Die werden wiederkommen. Doch vielleicht wird’s die Vielfalt an Künstlern nicht mehr geben.
Können Sie sich vorstellen, dass in Zeiten der Corona-Pandemie die Maske irgendwann durchs Kabarett ziehen wird?
Helmut Sauter: Sowieso, vermutlich durch alle Kabarettprogramme, das ist bereits klar …
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