Es ist der 10. April dieses Jahres, kurz nach 17 Uhr. In der geschlossenen psychiatrischen Abteilung 20.1 des Bezirkskrankenhauses (BKH) in Günzburg läuft eine Krankenpflegerin auf dem Weg in den Innenhof an einem Mann und einer Frau vorbei, beides Patienten der Station, und will sie gerade passieren, als der Mann seine Begleitung unvermittelt mit der Faust ins Gesicht schlägt. Die Frau fällt zu Boden, der Mann beugt sich über sie und sticht mit einem Messer in ihren Hals.
Messer hat nur knappt Halsschlagader verfehlt
Später wird herauskommen, dass das Messer nur knapp die Speiseröhre und die Halsschlagader der Frau verfehlt hat. Zu dem Zeitpunkt ist das noch nicht absehbar. Nach dem Angriff lässt der Mann von seinem Opfer ab und weicht zurück. Die Krankenpflegerin nutzt die Gelegenheit, die Frau außer Reichweite zu ziehen und Erste Hilfe zu leisten. Sie schreit um Hilfe. Währenddessen hält der Mann ein Handy vor sich, filmt sich möglicherweise, während er sich selbst mehrmals das Messer in die Brust rammt und sich so lebensgefährliche Verletzungen zufügt.
Vor dem Schöffengericht unter der Leitung von Richter Christian Liebhart in Memmingen sagt am Freitag ein Sachverständiger: „Es ist purer Zufall, dass das Opfer den Angriff überlebt hat.“ Die 30-Jährige selbst kann sich an den Angriff nicht mehr erinnern. Sie wisse nur noch, dass sie den 28-jährigen Angeklagten unmittelbar zuvor gefragt habe, ob sie sein Handy benutzen dürfe.
Schlafprobleme und Medikamente
Der 28-Jährige äußert sich nicht zu der Tat. Er war erst einen Tag vor der Tat auf eigenen Wunsch in die geschlossene Abteilung gekommen, hatte sich besonders gut mit der 30-Jährigen verstanden. Er leidet unter paranoider Schizophrenie. Am Abend seiner Ankunft erzählte er sowohl seinem späteren Opfer als auch der Krankenpflegerin, dass er sich von zwei Mitgliedern einer Motorradgang verfolgt fühle, Angst habe, dass diese ihn nachts holen würden, und erkundigte sich nach den Sicherheitsvorkehrungen der Station. Außerdem vertraute er der 30-Jährigen an, dass er unter Schlafproblemen leide, woraufhin sie ihm geraten habe, seine Medikamente zu nehmen.
Als sie ihn am folgenden Morgen angesprochen habe, habe er plötzlich aggressiv auf sie gewirkt. „Er war wütend auf mich, weil er in der Nacht wieder nicht schlafen konnte, obwohl ich ihm zu den Medikamenten geraten habe.“ Darum habe sie ihn bis zum Nachmittag nicht mehr kontaktiert. Kurz vor 17 Uhr war die 30-Jährige im Innenhof der Station unterwegs, als sie von einer anderen Patientin mit einer Flasche beworfen wurde. „Da wollte ich meinen Papa anrufen, um ihm das zu erzählen“, erklärt sie Richter Liebhart. Da sie selbst jedoch kein Handy gehabt habe, habe sie den 28-Jährigen angesprochen und um sein Handy gebeten. Ab hier endet ihre Erinnerung.
Sie leistete Erste Hilfe
Die diensthabende Krankenpflegerin kann sich dagegen noch gut an den Moment erinnern, als sie den Angriff bemerkte: „Ich hatte Todesangst und wusste zuerst nicht, ob ich hingehen oder wegrennen soll.“ Da der 28-Jährige dann von seinem Opfer abließ, rief sie nach ihren Kollegen und leistete Erste Hilfe. „Die Patientin hat viel geredet und immer wieder nach ihrer Mama geschrien“, erzählt sie am Freitag.
Auf die Hilferufe der Krankenpflegerin hin kamen Kollegen und überwältigten den Mann. Die wenig später eintreffenden Polizisten fanden den 28-Jährigen mit gefesselten Händen auf einem Bett vor, wo er apathisch vor sich hingestarrt habe, wie ein Beamter vor Gericht sagt. Mit einem Mal habe der Patient ihn mit aufgerissenen Augen direkt angeschaut und gesagt: „Ich musste es tun, sonst hätten sie mich gefoltert und umgebracht.“
Ob der Angeklagte sich damals tatsächlich mit seinem Handy gefilmt hat, wurde am Freitag nicht mehr geklärt. Der nächste Termin in Memmingen ist für den 24. November angesetzt.
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