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EU-Austritt: „Der Brexit? Hauptsache, der FCA bleibt in der Ersten Liga“

EU-Austritt

„Der Brexit? Hauptsache, der FCA bleibt in der Ersten Liga“

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    Sie sehen dem Brexit gelassen entgegen, was die Außenhandelsbeziehung angeht: der Exilbrite L. Christopher Fryars und seine Tochter Eva. Seit 32 Jahren vertreiben sie mit ihrer Firma CLF Plant Climatics GmbH Geräte für die Pflanzenbiologie. Privat haben sie allerdings vorgesorgt. Damit die englische Küche aufrechterhalten werden kann, wurden Zutaten und Nahrungsmittel auf Vorrat gekauft. 	„England ist einer unserer stärksten Partner.“
    Sie sehen dem Brexit gelassen entgegen, was die Außenhandelsbeziehung angeht: der Exilbrite L. Christopher Fryars und seine Tochter Eva. Seit 32 Jahren vertreiben sie mit ihrer Firma CLF Plant Climatics GmbH Geräte für die Pflanzenbiologie. Privat haben sie allerdings vorgesorgt. Damit die englische Küche aufrechterhalten werden kann, wurden Zutaten und Nahrungsmittel auf Vorrat gekauft. „England ist einer unserer stärksten Partner.“ Foto: Bärbel Schoen

    Den Union Jack sieht Eva Fryars jetzt am liebsten eingerollt im Schrank. Ein kleiner Protest und ganz deutsch. Die Geschäftsführerin von Plant Climatics GmbH sieht sich als glühende Europäerin und lehnt den Brexit vehement ab, spricht gar von einer Katastrophe. Ihr Vater, Christopher L. Fryars, sieht dem Austritt seines Vaterlandes aus der EU wesentlich gelassener entgegen als seine Tochter. „Ich kann das bis heute nicht verstehen, aber wir können den Prozess nicht beeinflussen. Wichtiger ist doch jetzt, dass der FCA in der 1. Bundesliga bleibt“, sagt er – ganz britisch (hier finden Sie alle unsere Berichte rund um den FC Augsburg). „Wenn England drinbleibt, dann finde ich das gut, wenn nicht, dann mit allen Konsequenzen raus.“ Brüssel sollte sich nicht verbiegen. Die Ängste vor Lieferengpässen oder Zollbarrieren würden seiner Meinung nach von vielen Medien aufgeblasen. Die Fryars gehen ungewollt als Profiteure des Brexit hervor. Die Bestellungen von Klima- und Pflanzenzuchtkammern seien unerwartet in die Höhe geschnellt, weil viele Forschungsinstitute, Labore und Universitäten mit Preiserhöhungen rechnen.

    Die Familie rechnet mit einer größeren Lieferung von Küchenzutaten

    Warum die Familie Fryars in den nächsten Tagen eine größere Lieferung von Küchenzutaten erwartet, hat auch ein bisschen mit Angst zu tun. „Der Vorrat an Marmite und Oxo darf in der englischen Küche auf keinen Fall ausgehen,“ sagt Eva Fryars und ringt dem Vater damit ein kleines Lächeln ab. Ein echter Engländer könne sich seine tägliche Ernährung ohne die würzigen Pasten kaum vorstellen.

    Vom Brexit profitiert neben den Fryars auch die Wertinger Reiseveranstalterin Elke Hoschkock. Sieben Reisen auf die Insel hat sie in diesem Jahr geplant. „Für unsere Kunden wird es billiger, denn das Hotelangebot ist größer und das Pfund günstiger als früher.“ Freude kommt bei Hoschkock deswegen nicht auf. „Mir tut es für die Engländer leid.“ Für viele befreundete Briten sei der Brexit wie ein Albtraum. Ungeklärt sei bislang noch der künftige Grenzübertritt nach Irland.

    Unternehmer aus dem Landkreis Dillingen bekommen praktische Tipps

    Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der britischen Wähler für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Eine historische Zäsur. Mitte November lag das 585 Seiten lange Austrittsabkommen vor, doch vor vier Wochen stimmte das britische Parlament gegen den ausgehandelten Austrittsvertrag zwischen der EU und Großbritannien. So bleibt weiter ungewiss, wie genau der Austritt am 29. März ausgehen wird. Die IHK Schwaben rät den rund 500 Firmen aus Bayerisch-Schwaben mit Geschäftsbeziehungen in das Vereinigte Königreich, sich auf einen ungeordneten, harten Brexit vorzubereiten. Zusammen mit dem Hauptzollamt Augsburg führt sie in den kommenden Wochen Veranstaltungen durch. Unternehmer sollen praktische Tipps an die Hand bekommen. Dabei geht es beispielsweise um Zollabwicklung und Mitarbeiterentsendung (ein Termin ist am Dienstag, 12. März, in Höchstädt). Während sich in manchen Firmen Unsicherheit breitmacht, gehen andere pragmatisch vor.

    Firmen lassen sich nicht verunsichern

    Der Pressesprecher von Schüco in Wertingen, Thomas Lauritzen, bestätigt gegenüber unserer Zeitung, dass der Spezialist für Fenster und Türen in seiner Zentrale Bielefeld „alle Eventualitäten“ im Blick hat. Sollte der harte Brexit kommen, rechnet die international aufgestellte Firma mit Beeinträchtigungen des Lieferverkehrs. Ob sich dies negativ auf die Umsatzzahlen auswirken werde, könne man nicht vorhersagen. Den Wertinger Standort trifft der Brexit sowieso nicht. „Von hier aus wird lediglich der süddeutsche Markt beliefert“, sagt Lauritzen. Überhaupt bleibt der deutsche Markt der größte und stabilste. „Hier werden jedes Jahr für rund 14 Millionen Euro Fenster gefertigt.“

    So wird sich der Brexit in Bayern auswirken

    Das ifo-Institut hat für die IHK für München und Oberbayern die Auswirkungen des Brexit für Bayern untersucht.

    Ins Vereinigte Königreich wurden von 2008 bis 2017 sieben Prozent der deutschen Exporte geliefert.

    Nur die USA, Frankreich und China importieren mehr deutsche Waren.

    58 Prozent der bayerischen Produktion wurden 2017 exportiert.

    Laut der Studie würde die Wirtschaftleistung bei einem harten Brexit in Deutschland um 0,23 Prozent zurückgehen, in Bayern sogar um 0,24 Prozent.

    Sollte es ein "ambitioniertes Freihandelsabkommen" geben, würden die Negativeffekte laut der Studie nur ein Drittel davon betragen.

    Besonders die Fahrzeug- und Maschinenbauindustrie soll der Studie zufolge unter dem Brexit leiden.

    Josef Wagner, Geschäftsführer des Wertinger Textil-Versandhauses Buttinette, lässt sich durch den Brexit ebenfalls nicht verunsichern: „Uns betrifft es kaum. England zählt nicht zu den wichtigen Herkunftsländern.“ Von den über 20000 Artikeln stammen die wenigsten aus UK. Das „daylight“ beispielsweise, ein Lämpchen für Stickerinnen, werde nach dem 29. März weiterhin im Sortiment zu finden sein. Dass dafür ein erhöhter Zollaufwand nötig werden könnte, sieht Wagner gelassen: „Ehrlich gesagt praktizieren wir dasselbe schon mit Indien, der Türkei oder der Schweiz.“ Für den Europa-Gedanken sei der Austritt schlecht. „Das ist nicht im Sinne des Handels. Wir wollten doch zusammenwachsen und nicht neue Hürden aufbauen“, sagt Wagner.

    Ähnlich sieht es Walter Berchtenbreiter, Geschäftsführer der Reitzner AG in Dillingen. Er ist gleichzeitig Vizepräsident der IHK Schwaben und weiß, dass sich in vielen Firmen Verunsicherung breitmacht: „Niemand kann sagen, wie schlimm sich ein harter Brexit auswirken wird, selbst die Engländer nicht.“ Für die Wirtschaft gebe es nichts Schlimmeres als Unsicherheit. Die meisten Firmen seien betroffen. „England ist einer unserer stärksten Partner.“ Unglaublich viele Fragen würden sich täglich aufwerfen – von der Krankenversicherung bis zum Schüleraustausch. Je näher der Stichtag rücke, desto klarer werde, dass der Brexit eine Katastrophe für alle sei. Die Wirtschaft werde einen Dämpfer bekommen. „Bei dieser Nummer kann es keine Gewinner geben“, so Berchtenbreiter. Deshalb hofft er weiter, dass am Ende die Vernunft siegt und die Akteure einlenken.

    Auch Schulen im Kreis Dillingen beschäftigt der Brexit

    Nicht nur Firmen beschäftigt der Brexit. In wenigen Wochen treten 44 Wertinger Gymnasiasten eine Reise nach Broadstairs an. Die Einreisebedingungen seien unverändert, sagt Michaela Streitberger. Die Lehrerin musste deshalb keine Visa beantragen. Die Schule will am Austausch festhalten, mit oder ohne Brexit. „Unsere Schülerschaft soll weiterhin die Chance bekommen, über den Tellerrand zu blicken und sich mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen“, so Streitberger.

    Dasselbe Bild an der Wertinger Montessorischule: „Wir werden Sprachreisen grundsätzlich anbieten, da die direkte Begegnung mit Kultur, Land und Leuten durch nichts zu ersetzen ist“, sagt Schulleiterin Beate Lahner-Ptach. Ob in Zukunft am Austausch mit GB festgehalten wird, hänge von der Lage auf der Insel ab. „Wir wollen kein Risiko eingehen.“ Persönlich bedauert sie den Brexit: „Ich sehe mich als Europäerin.“

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