Ein Samstag im Sommer. Um Schulen und Ämter herum ist es still. Bis auf die Theresia-Haselmayr-Schule. Der Pausenhof ist voller Kinder und Eltern, die gespannt auf einen gemeinsamen Ausflug warten. Es geht an die Donau, durch den Wald, zur Kneippanlage. Zeit für ein Gespräch über Vorurteile, Inklusion aber auch das Scheitern.
Ist dein Kind bescheuert?
„Wenn ein Kind auf die Förderschule geht, dann heißt es gleich, das ist doch behindert“, sagt Sonja Heller, Mitglied im Elternbeirat. Auch ihr Mann war skeptisch, ob sein Sohn auf die Förderschule soll. Doch nach dem Elternabend war ihm klar. „Da geht unser Sohn hin.“ Dass der sich nun Tag für Tag auf die Schule freut, sei für die Dillinger Familie eine große Erleichterung. Auch Vorurteile wie „Deppenbus“ – die Kinder werden in der Regel mit dem Bus zur Schule gebracht – oder „ist dein Kind bescheuert?“ kennen die Eltern von Förderschülern. Aber auf der Wanderung wird schnell klar, warum es ihnen schlicht egal ist.
Schulleiter Jürgen Stella gibt den Startschuss fürs „Eltern-Kind-Wandern“. Der Trupp setzt sich in Bewegung Richtung Auwald. Viele Paare laufen mit, Männer und Frauen bilden teils Gruppen und die Kinder mischen sich dazwischen.
Einige von ihnen waren vorher auf der Regelschule. „Unser Sohn kam auf der Grundschule nicht zurecht. Es lag nicht am Stoff, sondern am Zwischenmenschlichen“, erzählt ein Vater. Der Junior sei eben ein „aufgewecktes Kerlchen“. Aber der litt und mit ihm die ganze Familie. Bis zum Wechsel auf die Förderschule. Das sei für alle eine Riesenerleichterung gewesen. Solche Geschichten erzählen viele. „Mein Sohn hat sich geweigert zu lesen. Er wurde auch gemobbt und kam jeden Tag noch trauriger heim“, erzählt eine Mutter. Also nahm sie in von der Regelschule. Jetzt, nach wenigen Monaten in der neuen Klasse, nehme ihr Sohn sich sogar ein Buch zum Lesen mit ins Bett. Die Familie sei glücklich und bedauere es nur, dass das Kind noch viel früher zur Förderschule ging.
So sollte Inklusion aussehen
Manuela Wirth aus Wolpertstetten hat mit ihrer Tochter erst einen anderen Weg gewählt: Inklusion in einer Regelschule. Das habe überhaupt nicht funktioniert, nicht mal auf dem Land. „Statt Schule für alle mit Inklusion sollte das System der Förderschule auf alle Schulen übertragen werden, nur so kann es gehen“, meint Wirth, ebenfalls Mitglied im Elternbeirat. Inklusion sei ein großer Begriff, der in der Realität nicht oft bestehen könne, meint Petra Greck aus Dillingen. Ihr Sohn wird auf die Mittelschule wechseln – nicht weil er will, sondern weil er kann, betont sie.
Wir kommen an der Naturkneippanlage an. Es wird laut, Wasser spritzt. Die Kinder ziehen ihre Schuhe aus und hüpfen juchzend in das kalte Wasser oder waten in den vorsorglich mitgebrachten Gummistiefeln nebenher. Am Ufer steht auch Tina Fischer, Jugendsozialarbeiterin. Während der Wanderung können Eltern und Kinder locker mit ihr ins Gespräch kommen. Alle machen einen entspannten Eindruck. Schulleiter Stella sagt aber offen, auch Themen wie häusliche Gewalt oder Sucht beschäftigen manche, Eltern wie Schüler und Lehrer. Datenschutzgrundverordnung oder Schweigepflicht machen der Schulleitung würden einen notwendigen Austausch teils erschweren: Wird ein Jugendlicher etwa straffällig, erfährt es die Schule nicht immer. Auch der offene Kontakt mit Ärzten wäre wichtig. Manche Kinder, die an ADHS erkrankt sind, nehmen Tabletten. Doch wenn die Vergabe zuhause nicht klappt, müssten die Lehrer dass wissen. „Ein Zweitklässler hat mal zu mir gesagt, er habe Bienen im Kopf. Er hat selbst gemerkt, dass die Tablette fehlt – schon in dem Alter“, sagt Tina Fischer. Sie ist jeden Tag an der Schule, seit 1. Mai in Vollzeit. Für Stella ist die Erweiterung der Stundenzahl ein „Quantensprung“. Ein früher Kontakt sei hilfreich, wenn es später etwa in der Pubertät Probleme gibt. Fischer bekommt schon viel mit, weil ihr Büro direkt bei den ersten Klassen ist.
Der Wald ist eine Alternative
Der Ausflug in den Auwald bei Dillingen hätte aber noch weitere Vorteile: „Wir können den Eltern auf so einem Spaziergang zeigen, welchen Spaß Kinder dabei haben. Man muss nicht ins Legoland fahren“, erklärt Stella und deutet auf die juchzenden Kinder. Der Wald sei zudem eine Alternative zum Smartphone, ergänzt Zweiter Konrektor Michael Christoph.
Wir gelangen zur Kneippanlage an der oberen Quelle. Die Eltern setzen sich ins Gras und auf die Bänke, es wird gepicknickt. Für die Zukunft ihrer Kinder machen sich die Eltern keine Sorgen: „Alle gehen in eine Ausbildung oder Anschlussmaßnahme, die Schüler sind anständig und beliebt“, sagt Manuela Wirth. Walter Dörle aus Dillingen, wie sie im Elternbeirat, findet, man brauche kein Abitur.
Ein Kind sollte vor allem gern zur Schule gehen und habe dann später über weiterführende Bildungseinrichtungen immer noch die Möglichkeit, einen Titel zu holen. „Ich habe gelernt, wer freundlich ist und die Augen offen hält, der macht seinen Weg.“
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