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Dillingen: Flüchtlinge: Was man tun kann, wenn man nichts tun darf

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Flüchtlinge: Was man tun kann, wenn man nichts tun darf

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    Der Dillinger Helferkreis Asyl- und Migration bietet Flüchtlingen, die aus verschiedenen Gründen nicht arbeiten können oder dürfen, zweimal pro Woche einen Workshop an. Die Helfer von links: Cornelia Kügel-Merkel, Georg Schrenk, Paul Weishaupt, Franz Brichta, Manuela McIntosh und Regina Schrauf.
    Der Dillinger Helferkreis Asyl- und Migration bietet Flüchtlingen, die aus verschiedenen Gründen nicht arbeiten können oder dürfen, zweimal pro Woche einen Workshop an. Die Helfer von links: Cornelia Kügel-Merkel, Georg Schrenk, Paul Weishaupt, Franz Brichta, Manuela McIntosh und Regina Schrauf. Foto: Cordula Homann

    Der eine hatte eine Ausbildung als Altenpflegehelfer begonnen und durfte nach einem Jahr nicht mehr. Der andere hatte einen super Job, aber keinen Pass. Auch sein Tischnachbar hätte einen sicheren Arbeitsplatz. Der Chef will ihn unbedingt wiederhaben. Aber das geht aus rechtlichen Gründen nicht.

    Es sind verschiedene Ursachen, die diese jungen Männer aus völlig unterschiedlichen Ländern an diesem Nachmittag in Dillingen zusammenführen. Aber sie haben alle etwas gemeinsam: Sie können nicht arbeiten. Sie sind (noch) keine anerkannten Flüchtlinge, wohnen in der Dillinger Gemeinschaftsunterkunft und haben den ganzen Tag überhaupt nichts zu tun. 49 Menschen aus sieben Nationen wohnen in der Einrichtung, sagt Dieter Kogge, Flüchtlings- und Integrationsberater der Diakonie Neu-Ulm für den Landkreis Dillingen. Eine afrikanische Familie mit fünf Kindern behaust seit fünf Jahren ein einziges Zimmer. Immer wieder fällt das W-Lan aus. Spannungen sind da vorprogrammiert.

    Die Unterhaltung ist nicht umsonst

    Deswegen haben sich einige Helfer von der Unterstützergruppe Asyl/Migration in Dillingen vor ein paar Monaten zusammengetan und bieten zweimal pro Woche ein Programm mit dem Titel „Come on“ („Komm schon“) an. Mal sind es Ausflüge, mal Vorträge oder Deutschunterricht. Die inzwischen zehn Teilnehmer haben im Gegenzug einen Vertrag unterzeichnet, der ihnen ermöglicht, mit jeder Anwesenheit oder vollständigen Hausaufgaben Punkte zu sammeln. Zu den Regeln gehört etwa, sich rechtzeitig zu entschuldigen, wenn man nicht kommen kann. Oder einen Ordner mit den Arbeitsblättern und Hausaufgaben zur führen. Wer seine Hausaufgaben nicht macht, dem werden Punkte abgezogen. Wer kann, zahlt für „Come on“ fünf Euro pro Monat. Als Motivation einerseits, und zur Finanzierung von Unternehmungen, Snacks und Getränken andererseits, erklärt Kogge. Wer nicht über die finanziellen Mittel verfügt, hilft vor oder nach dem Treffen beim Aufräumen. Denn auch, wenn bei den Nachmittagen viel gelacht wird – die Flüchtlinge sollen etwas lernen. Und wer tut das schon, wenn er überhaupt keine Ahnung hat, wie seine Zukunft aussieht? Wer viele Punkte hat, bekommt dafür eine finanzielle Unterstützung, um ein offizielles Sprachzertifikat machen zu können.

    Bei einem Rollenspiel werden Vokabeln geübt

    Heute steht bei „Come on“ ein Arztbesuch auf dem Programm. Jeder Teilnehmer hat einen Zettel mit Symptomen bekommen. Es ist ein Rollenspiel. Nacheinander treten die Männer bei Manuela McIntosh an, die als Sprechstundenhilfe fungiert. Von „Frau Doktor“ Cornelia Kügel-Merkel bekommen sie dann eine Diagnose. Die Ärztin spricht langsam und deutlich. Manche der „Patienten“ können sich auch schon sehr gut ausdrücken, andere behelfen sich mit Gesten oder nuscheln etwas. Einer kann kaum seine Symptome erklären, aber dialektfrei „Paracetamol“ sagen. „Schwindel“ kennen alle, „Übelkeit“ erklärt Helfer Franz Brichta. Einer weiß nicht, was Massagen sind. „Physio“ ruft einer der Flüchtlinge und alle lachen. „Brauchen Sie eine Krankmeldung?“, fragt die Ärztin einen Patienten. Da kommt von einem anderen: „Brauchen wir nicht, wir sind alle arbeitslos.“ Wieder hat er die Lacher auf seiner Seite, so traurig es für sie ist. Doch die Flüchtlinge haben Spaß und die Stimmung ist gut. Jeder Patient bekommt für seinen Auftritt in der Praxis Applaus. Rucksäcke und Blöcke liegen auf den Tischen, die jungen Männer tragen Kapuzenpullis, man fühlt sich schnell wie in einer Schulklasse.

    Auch "Harry" soll den Menschen in der Dillinger Gemeinschaftsunterkunft helfen

    Nachdem jeder in der Sprechstunde war, fragt Paul Weishaupt die Teilnehmer ab, wie es nach dem Arztbesuch weiter ging. Manche mussten zur Apotheke, andere brauchten Ruhe. Franz Brichta schreibt verschiedene Vokabeln des Rollenspiels auf die Tafel. Regina Schrauf beantwortet im Hintergrund kleine Zwischenfragen, schaut sich mitgebrachte Dokumente oder Hausaufgaben an. Draußen hört man Kinder rufen. Immer wieder kommt jemand an dem beiden Glastüren links und rechts des Raumes vorbei.

    Paul Weishaupt wirft den Beamer an und macht das Licht aus. Es wird ein kleiner Film über „Harry“ gezeigt, ein Brite, der Deutsch lernt. Das Programm hat die Deutsche Welle ausgearbeitet. 100 Folgen à acht Minuten gibt es. „Und wir wollen alle schaffen“, sagt Weishaupt zuversichtlich. Schnell zeigt sich, dass das nicht so einfach ist. Der Helfer stellt Fragen zu dem kleinen Film und alle dürfen gleichzeitig antworten. Die einen können das besser, die anderen nicht. Wer bereits einen Job hatte, spricht flüssiger deutsch als die anderen. Doch der Helfer bleibt geduldig, fragt noch mal nach, gibt auch den schlechteren Schülern eine Chance.

    Warum nicht zurück in die Heimat?

    Dieter Kogge, Projektbeauftragter der Diakonie, sagt: „Mit Flüchtlingen, die anerkannt sind, läuft es gut. Aber man könnte mehr bewegen. Doch für die ohne Bleibebescheinigung haben nur wenige ein offenes Ohr. Das ist schade. Und es ist so mühsam, etwas zu erreichen.“ Normalerweise unterrichten die Teams jeweils zu zweit. Alle zwei Monate kommen die Helfer zusammen, besprechen die Workshops. Die Situation etwa afrikanischer Flüchtlinge sei zum Teil sehr vertrackt.

    Und zurück in ihre Heimat können sie nicht. Denn wer heimkehre, der gelte als gescheitert. Dieser Makel falle dann auf die ganze Familie zurück. Kogge war selbst schon in Afrika und sagt: Er kennt kaum einen, der freiwillig zurückgekehrt ist.

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