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Dillingen: Familie findet keine Pflegekräfte für den schwerkranken Finn

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Familie findet keine Pflegekräfte für den schwerkranken Finn

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    Finn ist tapfer. Seit seiner Geburt im Mai ist er auf der Intensivstation im Zentralklinikum Augsburg. Seine Familie will ihn endlich nach Hause holen.
    Finn ist tapfer. Seit seiner Geburt im Mai ist er auf der Intensivstation im Zentralklinikum Augsburg. Seine Familie will ihn endlich nach Hause holen. Foto: Familie

    Das kleine Bettchen steht im Wohnzimmer neben dem Sofa. Kissen, Bettdecke und Kuscheltier liegen darin. Unbenutzt. Seit Monaten. Dabei ist der kleine Finn schon fast ein halbes Jahr auf der Welt. Doch sein eigenes Bettchen, das bei Mama und Papa in der Wohnung in Dillingen steht, hat er noch nie gesehen, geschweige denn benutzt. Das Zuhause von Finn ist seit seiner Geburt am 30. Mai das Intensivzimmer im Zentralklinikum in Augsburg. Seit der kleine Mann seine Augen zum ersten Mal öffnete, muss er um sein Leben kämpfen. Nach Monaten im Krankenhaus hat er den Kampf noch nicht endgültig gewonnen. Aber er könnte nach Hause, in sein Bettchen. Vorausgesetzt, es gibt ein Pflegeteam, das sich 24 Stunden um Finn kümmert. Und das gibt es nicht. Noch nicht.

    "Wir sind davon ausgegangen, dass wir einen gesunden Jungen bekommen"

    Nicole steht auf und holt ein eingerahmtes Bild. Eine der ersten Aufnahmen von ihrem Finn kurz nach der Geburt. Zu sehen ist ein durchschnittlich großes und normal gewichtiges Baby mit roten Bäckchen. Und vielen, vielen Kabeln und Schläuchen. „Das war für uns eine heftige Situation“, sagt die 38-Jährige und macht eine Pause. Denn damit haben sie und ihr Mann nicht gerechnet. Niemand. „Wir sind davon ausgegangen, dass wir einen gesunden Jungen bekommen.“ Finn ist aber krank, schwer krank. Er kam am 30. Mai um 19.09 Uhr nach drei Tagen, an denen vier Mal versucht wurde, die Geburt einzuleiten, per Notkaiserschnitt im Zentralklinikum in Augsburg mit einer viel zu kleinen Lunge auf Welt. Mit dem ersten Atemzug kollabierte das Organ, und Finn musste sofort intubiert werden. Es war fraglich, ob er seine erste Nacht überlebt. Die Diagnose: beidseitige Lungenhypoplasie mit pulmonalem Hochdruck. Finn muss seither 24 Stunden beatmet und über eine Magensonde künstlich ernährt werden. Im Fachjargon spricht man von einem tracheostomierten Kind mit perkutaner endoskopischer Gastrostomie. Dabei war doch die letzte Aussage eines Arztes vor der Geburt: Das Kind ist gesund.

    Die Dillingerin erzählt ihre Geschichte nüchtern, sie hadert nicht mit dem Schicksal ihres Buben. Immer wieder lächelt sie, sie alle seien doch froh, dass Finn da ist. „Ich dachte ja, dass ich mal eine lockere Mama bin und mit Rucksack und Kind auf Reisen gehe. Machen wir vielleicht irgendwann, dann aber wohl nicht in Afrika“, sagt sie und lacht. Finn ist ein Überraschungsei, und die Eltern haben sich riesig darauf gefreut.

    Dreimal haben sich die Eltern von ihrem Kind fast schon verabschieden müssen

    Ob Tee, Bauchtanz, Fachliteratur oder Akupunktur – Nicole hat in ihrer Schwangerschaft alles gemacht, was man eben so machen soll. Sogar Untersuchungen über den normalen Rahmen hinaus, da sie mit damals 37 Jahren als Risikoschwangere eingestuft wurde. Auch Genfehler in ihren Familien haben die Eltern ausschließen lassen. Entdeckt wurde im Vorfeld einzig, dass Finn nur mit einer Niere zur Welt kommt. Das sei, aber kein Problem. „Die Technik ist Fluch und Segen zugleich. Man weiß alles. Aber ob das immer so gut ist?“, sagt die Mama und schaut auf das eingerahmte Bild ihres Sohnes. Ohne Technik gebe es Finn nicht. Aber was bleibt? „Die Hoffnung, dass die Lunge von Finn wächst und heilt“, sagt sie. Dreimal haben sich die Eltern von ihrem Kind schon fast verabschieden müssen. „Ich bin realistisch und weiß, dass das auch passieren kann. Deshalb genießen wir jeden Tag mit unserem Finn.“ Und das doch endlich daheim in Dillingen.

    Finn muss 24 Stunden überwacht werden

    Doch genau darin liegt das Problem. Die Familie braucht dringend Pflegekräfte, die Mama und Papa zu Hause unterstützen. Finn muss 24 Stunden überwacht werden. „Ich würde ihn sofort nach Hause holen, aber ich muss irgendwann mal aufs Klo, schlafen oder einkaufen. Deshalb brauchen wir Hilfe.“ Seit Wochen sucht Mama Nicole, klappert sämtliche Pflegedienste ab – bundesweit. Erfolglos. Niemand kann oder will helfen. Deshalb hat die 38-Jährige vor wenigen Tagen eine kleine Anzeige in der Heimatzeitung geschaltet – und die Reaktionen waren enorm. In den sozialen Medien wurde ihr Hilferuf unzählige Male verbreitet.

    Was Finn braucht? Ein Team von acht bis zwölf Personen, das sich im Schichtmodell mit der Betreuung abwechselt. Vor allem die Nächte sollen immer abgedeckt sein. Hilfreich ist es, sich im Bereich der Kinderintensiv auszukennen, aber für Mama Nicole zählt viel mehr: „Learning by doing. Das sage ich auch als Mutter. Das kriegt man schon hin. Man muss sich ja immer individuell auf den Patienten einstellen.“ Es müsse vor allem darauf geachtet werden, dass die Sauerstoffschläuche nicht verrutschen. Denn wenn Finn weint, hört man ihn nicht. Die Pflegekräfte müssen alle bei einem entsprechenden Pflegedienst angestellt sein, sei es auch aus versicherungstechnischen Gründen.

    Das Problem: Bislang gab es nur Absagen von Pflegediensten – entweder ganz grundsätzlich oder zwecks Personalmangel. „Da stimmt doch was in unserem System nicht. Es muss sich was ändern. Das gilt doch nicht nur für meinen Fall. Wir Menschen werden immer älter und uns geht das Pflegepersonal aus“, alarmiert die Mutter. Deshalb auch ihr öffentlicher Hilfeschrei. Sie wolle auf den Pflegenotstand und die damit verbundene schlechte Bezahlung der Fachkräfte hinweisen. „Mir geht es nicht darum, dass wir unser Schicksal in den Vordergrund stellen. Wir werden es schon alles schaffen. Aber so kann es nicht weitergehen.“ Auch nicht für Finn. Es gibt zwar keinen konkreten Zeitdruck, aber die Eltern brauchen schnell eine Lösung. „Das Zentralklinikum ist kein Hotel, sondern ein Akut-Krankenhaus.“

    Wie ein normales Kind - nur mit zwei Schläuchen, die sein Leben erhalten

    Jeden Tag pendeln die Eltern zu ihrem Finn, schlafen dort und verbringen auf der Intensivstation ihre Zeit. Dort habe der kleine Frechdachs seinen Harem an Krankenschwestern schwer im Griff, erzählt die Mama und lacht. „Ich habe vor der Geburt immer gesagt, dass ich hoffe, dass ich keine so eine Mama werde, die nur von ihrem Kind redet. Aber das ganze Leben dreht sich darum. Ob gesund oder nicht gesund. Aber ich bin trotzdem noch eine lockere Mama. Hoffe ich zumindest“, sagt Nicole und schmunzelt. Denn bei all dem Kummer gebe es auch viele Lichtblicke: Finn ist fast sechs Monate alt, er macht – obwohl er schon zwei Mal im Koma war – wahnsinnige Fortschritte, er lächelt, strampelt und reagiert. Wie ein ganz normales Baby. Nur mit zwei Schläuchen, die sein Leben erhalten. So beschreibt ihn seine Mama.

    Dank der Anzeige in der Zeitung habe sie bereits einige Bewerbungen von Pflegekräften erhalten. Diese sammelt Nicole nun und verhandelt mit Pflegediensten, die Fachkräfte einstellen könnten. Sie hat wieder Hoffnung, dass eine Lösung gefunden wird. „Damit Finn an Weihnachten zu Hause ist“, sagt sie. Und dann ist es ihr doch zu viel. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, ihr Blick geht zum leeren Babybettchen neben dem Sofa. Finn soll endlich nach Hause kommen.

    Kontakt: Sie können Finn und seiner Familie helfen? Dann melden Sie sich bei unserer Redaktion per Mail an redaktion@donau-zeitung.de. Wir leiten die Nachrichten dann an Mama Nicole weiter.

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